Der libanesische Ministerpräsident Hassan Diab hat nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut offiziell den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Das teilte Diab am Montagabend in einer Fernsehansprache mit.
Am Ende zog der Regierungschef im Libanon die Notbremse. Nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut war der Druck auf Hassan Diab und sein Kabinett so gross, dass nur noch ein Ausweg blieb: der geschlossene Rücktritt. Am Montagabend machte der Ministerpräsident in einer Fernsehansprache offiziell, was jetzt ohnehin alle erwartet hatten.
Diab wollte jedoch nicht abtreten, ohne der politischen Elite des Mittelmeerlandes noch einmal die Leviten zu lesen. Er geisselte die «chronische Korruption» in Politik und Verwaltung, die er für den Absturz des Landes und auch für die schwere Detonation verantwortlich machte. «Das System der Korruption ist grösser als der Staat», sagte Diab. «Es gibt welche, die die Fakten fälschen, vom Aufruhr leben und mit dem Blut der Menschen handeln.»
Damit meinte er wohl die anderen. Diab und seine Minister hatten gerade einmal sieben Monate nach Amtsantritt in grossen Teilen der Öffentlichkeit selbst jegliches Vertrauen verloren. Die Wut in der Bevölkerung ist immer noch enorm. Kaum jemand wollte dem Premier das Versprechen abnehmen, die Hintergründe des Unglücks mit 160 Toten und mehr als 6’000 Verletzten offen aufzuklären. Vielmehr machen viele Libanesen die Regierung für die gewaltige Detonation verantwortlich.
Mit Justizministerin Marie-Claude Nadschm und Finanzminister Ghasi Wasni hatten zuvor am Montag weitere Mitglieder des Kabinetts von Regierungschef Diab ihren Rücktritt erklärt.
Viele Libanesen machen die Regierung für die verheerenden Explosion am vergangenen Dienstag mit mindestens 160 Toten und mehr als 6'000 Verletzten verantwortlich. Die Armee erklärte am Montag, sie habe fünf weitere Leichen aus den Trümmern gezogen.
Die Detonation soll durch grosse Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat ausgelöst worden sein, die dort über Jahre ohne Sicherheitsvorkehrungen lagerten. Die Ermittlungen zur genauen Ursache der Katastrophe laufen jedoch noch.
Gewalt bei Protesten
Justizministerin Nadschm begründete ihren Schritt mit der verheerenden Explosion und den Demonstrationen, wie MTV weiter berichtete. Sie war in der vergangenen Woche bei einem Besuch am Ort der Katastrophe von aufgebrachten Menschen beschimpft und mit Wasser bespritzt worden, wie auf einem Video in den sozialen Medien zu sehen war.
Eine Trauer- und Protestkundgebung im Zentrum Beiruts war am Wochenende in Gewalt und Chaos umgeschlagen. Aufgebrachte Demonstranten wollten Absperrungen zum Parlament durchbrechen, Sicherheitskräfte setzen massiv Tränengas ein. Über Stunden kam es zu Zusammenstössen. Ein Polizist wurde nach offiziellen Angaben getötet, mehr als 200 Menschen erlitten Verletzungen. Aufgebrachte Demonstranten stürmten mehrere Ministerien.
Diab hatte erst im Januar nach einer monatelangen Hängepartie das Amt des Regierungschef in dem Land am Mittelmeer übernommen. Er folgte auf Saad Hariri, der nach Massenprotesten Ende Oktober zurückgetreten war. Diabs Regierung wird unter anderem von der Iran-treuen Hisbollah unterstützt, die im Libanon extrem mächtig ist. Wegen einer schweren Wirtschaftskrise und der Corona-Pandemie sind in seiner Amtszeit grosse Teile der libanesischen Bevölkerung in die Armut abgerutscht.
Die nächste Wahl stünde Libanon eigentlich erst 2022 an. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass auch eine vorgezogenen Neuwahl des Parlaments die Lage nicht beruhigen kann. Die Demonstranten verlangten bei den Protesten weitgehende politische Reformen.
IWF will helfen
Entsprechende Forderungen sind auch aus dem Ausland zu hören. So will der Internationale Währungsfonds (IWF) dem Libanon mit einem Rettungspaket helfen, verlangt dafür aber eine politische Einigung auf umfassende Reformen. Die Finanzorganisation sei bereit, ihre Bemühungen zu verdoppeln, sagte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa.
Der deutsche Aussenminister Heiko Maas kündigte im Deutschlandfunk an, diesen Mittwoch in den Libanon zu reisen. Neben Soforthilfen, die bei einer Geberkonferenz am Sonntag gesammelt wurden, brauche das Krisenland darüber hinausgehende, längerfristige Unterstützung. Diese könne es aber nur geben, wenn auch Reformen eingeleitet würden, die seit langem angekündigt seien. Neuwahlen seien nun «das Mindeste», was die Bevölkerung erwarten könne, so Maas.
Der Iran warnte ausländische Staaten vor einer Einmischung im Libanon. «Die Explosion war ein grosser und bitterer Vorfall und es ist daher verständlich, dass die Menschen aufgebracht sind und Konsequenzen fordern», sagte Aussenamtssprecher Abbas Mussawi. Es gebe aber auch Anzeichen für Provokationen seitens ausländischer Staaten und Gruppen, die ihre eigenen illegitimen politischen Ziele im Libanon verfolgten. «Das ist inakzeptabel», sagte der Sprecher.