Israel: Gefechte gehen weiter – Ziele der Hamas attackiert
STORY: Auch in der Nacht zu Montag hielten die Angriffe der Hamas vom Gazastreifen aus in Richtung Isreal weiter an. Schäden waren unter anderem in der grenznahen Stadt Ashkelon zu sehen. Seit dem Beginn des Grossangriffs durch die Hamas am Samstagmorgen verzeichnete Israel bislang insgesamt mindestens 700 Todesopfer und die Zahl könnte noch weiter steigen. Ausserdem geht Israel von rund 100 entführten Personen aus, darunter könnten auch Deutsche sein. Aus dem Gazastreifen wurden rund 400 Tote gemeldet. Doch da die Kämpfe weiter fortgesetzt werden, steigen die Zahlen ständig. Hier Bilder von Zusammenstössen mit Sicherheitskräften am Checkpoint Qalandia an der Grenze zum Westjordanland. Allerdings konzentrieren sich die Angriffe der israelischen Armee nach eigenen Angaben weiter auf die Stellungen der Terrorgruppe im Gazastreifen im Süden Israels. Kampfflugzeuge hätten unter anderem Ziele der in der Küstenenklave herrschenden Islamisten in einem mehrstöckigen Gebäude beschossen, heisst es in einer Mitteilung.
09.10.2023
Die Hamas hat Israel und dessen scheinbar übermächtigen Sicherheitsapparat schwer getroffen. Wie das möglich war und ob Israel jetzt ein Krieg an zwei Fronten droht, erklärt Nahost-Experte Erich Gysling.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Der Grossangriff der radikalislamischen Hamas hat Israel völlig überrascht – genauso den mächtigen Sicherheitsapparat des Landes.
- Warum Israel das nicht kommen sah und ob das Land noch mit Angriffen der Hisbollah-Miliz rechnen muss, schätzt Nahost-Experte Erich Gysling für blue News ein.
Der beispiellose Angriff der Hamas vom Samstag hat Israel zutiefst erschüttert. Die Welt rätselt seither darüber, wie die islamistische Miliz den scheinbar übermächtigen israelischen Sicherheitsapparat so überrumpeln konnte. «Und das bleibt weiterhin die grosse Frage», sagt Nahost-Experte Erich Gysling am Telefon zu blue News.
Einerseits sei Israel zu sehr mit den Tumulten im Inland als Reaktion auf die geplante Justizreform beschäftigt gewesen. Die Hamas habe diese gespaltene Stimmung im Land auch wahrgenommen und für ihre Anliegen genutzt, sagt Gysling. Zudem habe der israelische Verteidigungsapparat die operativen Kräfte der Hamas unterschätzt.
All diese Faktoren dürften gemäss Gysling eine Rolle gespielt haben, dass Israel am Samstagmorgen um 6.30 Uhr auf dem falschen Fuss erwischt wurde.
Israel hält zusammen
Für Gysling ist es nicht verwunderlich, dass die Israeli jetzt ihrem Premierminister Benjamin Netanyahu die Schuld für den verheerenden Angriff geben. Dennoch vermochten die jüngsten politischen Unruhen Israels Bevölkerung nicht genügend zu entzweien. Vielmehr sei es so, dass Israel als Krisenstaat wieder zusammenhalte, beobachtet Gysling. Dienstverweigerer und Israeli aus aller Welt seien nun mobilisiert worden, um ihr Land zu verteidigen.
Zur Person
Keystone
Erich Gysling ist Publizist, Journalist und Autor aus Zürich. Er arbeitete in den 1960er-Jahren für die «Tagesschau» von SRF und gründete das Polit-Magazin «Rundschau» mit und leitete zehn Jahre die Ausland-Redaktion der «Weltwoche». Von 1985 bis 1990 amtete er als Chefredaktor von Fernsehen SRF. Seit 1996 ist Gysling freiberuflich als Journalist, Moderator und Vortragsredner tätig. Gysling absolvierte ein Arabisch-Studium und verfasste drei Bücher zum Nahen Osten.
Den Staat Israel «vernichten»
Die Hamas hat ein Ziel, und zwar: den Staat Israels zu vernichten. Auch die im Libanon ansässige Schiiten-Miliz Hisbollah teile dieses Ziel. Gemeinsam mit iranischer Unterstützung bilden Sie die sogenannte «Achse des Widerstands».
Doch die Terrororganisation Hisbollah hält sich zurück, Israel im Norden anzugreifen. Zwar schossen Hisbollah-Kämpfer am Samstagmorgen Mörsergranaten auf Stellungen in den von Israel besetzten Schebaa-Farmen, worauf die israelische Armee mit Artillerie antwortete. Die Scharmützel in der umstrittenen Grenzregion weiteten sich aber nicht auf den von israelischer Seite befürchteten Zweifrontenkrieg.
Laut dem Nahost-Experten scheint die Hisbollah gut zu überlegen, ob – und falls ja, wie – sie Israel angreifen wolle. «Die wissen genau, dass Israel gewinnen wird», sagt Gysling.
Ein Angriff seitens der Hisbollah scheint dennoch nicht ausgeschlossen, im Wissen darum, dass dies einem Grosskrieg in der Region gleichkomme, sagt Gysling. Welche Taktik die Terrormiliz dabei verfolge, könne niemand voraussagen.
Befreiung der Geiseln dürfte mehrere Wochen dauern
Beim Angriff auf Israel wurden auch zahlreiche Zivilisten und Mitglieder der Sicherheitskräfte von der Hamas verschleppt und als Geiseln genommen. Israelischen Schätzungen zufolge sind es bis Montagmorgen mehr als hundert Personen.
Laut Gysling ist es Israels oberste Priorität, die Geiseln wieder zu befreien. Das gelinge aber nur über die Entsendung von Bodentruppen in den Gazastreifen – und das könnte sich über Wochen hinziehen, so Gysling. Er äussert eine grosse Befürchtung, dass es viele zivile Opfer auf palästinensischer Seite geben werde.