Afghanistan Der Westen flieht, Russland zögert und China verspricht «freundschaftliche Beziehungen»

Von Sven Hauberg

16.8.2021

Die chinesische Botschaft in Kabul auf einem Archivbild: Peking will mit den Taliban zusammenarbeiten.
Die chinesische Botschaft in Kabul auf einem Archivbild: Peking will mit den Taliban zusammenarbeiten.
Bild: Keystone

Während Russland noch abwartet, wie es mit den neuen Machthabern umgehen soll, prescht Peking vor: Man wolle «gutnachbarschaftliche, freundschaftliche und kooperative Beziehungen» aufbauen, heisst es aus Peking.

Von Sven Hauberg

Wenn es darum geht, die USA und ihre Verbündeten verächtlich zu machen, ist der chinesischen Propaganda-Maschinerie jedes Mittel recht. Der überstürzte Abzug aus Afghanistan bietet da eine geradezu perfekte Steilvorlage: «Diese Niederlage der USA ist eine deutlichere Demonstration der Ohnmacht der USA als der Vietnamkrieg – die USA sind in der Tat ein ‹Papiertiger›», schreibt die englischsprachige Parteizeitung «Global Times». «Wenn seine Interessen es erfordern, Verbündete im Stich zu lassen, wird Washington nicht zögern, einen Vorwand zu finden, dies zu tun.»

Während die USA und andere westliche Nationen das Land wie ein geprügelter Hund verlassen, kündigte Peking an, vorerst in Afghanistan bleiben zu wollen. Man habe nicht vor, sein Botschaftspersonal abzuziehen, erklärte die Sprecherin des chinesischen Aussenministeriums, Hua Chunying, am Montag. Vielmehr arbeite man in Kabul «normal» weiter.

Die Botschaft ist klar: Der Westen ist mit seiner Afghanistan-Politik gescheitert, China aber bleibt weiterhin im Land – egal, von wem es regiert wird.

«Wir respektieren den Willen des afghanischen Volkes»

«Die Lage in Afghanistan hat sich wesentlich verändert, und wir respektieren den Willen und die Entscheidung des afghanischen Volkes», sagte Hua weiter – so als habe sich die Bevölkerung aus freien Stücken dafür entschieden, fortan von den Taliban regiert zu werden. Man wolle mit Afghanistan «gutnachbarschaftliche, freundschaftliche und kooperative Beziehungen» aufbauen, verkündete die Aussenamtssprecherin.



China und Afghanistan verbindet eine nur 76 Kilometer lange Grenze, die noch dazu auf bis zu 5000 Metern Höhe durch unwegsames Gelände verläuft. Dennoch ist der westliche Nachbar interessant für Peking, auch aus wirtschaftlicher Sicht. Afghanistan besitzt wertvolle Bodenschätze, die bislang kaum erschlossen wurden – unter anderem, weil es die Sicherheitslage im Land unmöglich gemacht hat. 

Peking werde «versuchen, seine wirtschaftliche Präsenz im Land auszuweiten», erklärte die China-Expertin Helena Legarda vom Mercator Institute for China Studies (Merics) vor Kurzem im Interview mit «blue News». Die chinesische Regierung sei sich aber «der Fallstricke eines zu starken Engagements in dem Land sehr bewusst und ist nicht bereit, einzugreifen und die USA zu ersetzen».

«Ihre Sicherheit ist für uns sehr wichtig»

Bereits 2018 hatte es erste offizielle Kontakte zwischen Peking und den Taliban gegeben, lange bevor die USA mit der Terrorgruppe ihren Deal ausgehandelt hatten, der nun zum Abzug der internationalen Truppen geführt hat. Und kürzlich erst verkündete ein Taliban-Sprecher in einem Interview, man wolle mit dem «willkommenen Freund» China zusammenarbeiten: «Wenn sie Investitionen haben, sorgen wir natürlich für ihre Sicherheit. Ihre Sicherheit ist für uns sehr wichtig.»



Immer wieder verweisen Beobachter auf das angebliche Sicherheitsrisiko, das von Afghanistan für China ausgehe. Militante Gruppen aus der Provinz Xinjiang könnten von afghanischem Boden aus Anschläge auf China vorbereiten, so Peking. «China wird die Lage in Afghanistan in der Tat unter Berücksichtigung der Stabilität seiner Region Xinjiang betrachten», heisst es nun in einem Kommentar der Propagandazeitung «Global Times».

Allerdings, so der Kommentar weiter, sei es für Terrorgruppen quasi unmöglich, die Grenze zu überqueren. Denn die chinesische Armee sei am Wakhjir-Pass, der die beiden Länder verbindet, stark vertreten.

Auf der chinesischen Seite des Passes, in der riesigen Provinz Xinjiang, geht Peking seit einigen Jahren mit massiver Gewalt gegen die muslimische Minderheit der Uiguren vor; Hunderttausende Menschen befinden sich Berichten zufolge in Gefangenenlagern, die von Peking euphemistisch als «Ausbildungsstätten» bezeichnet werden. Kritik von den Taliban an diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind indes kaum zu erwarten. Man werde sich nicht in die «inneren Angelegenheiten» Chinas einmischen, sagte ein Taliban-Sprecher vor einigen Wochen.

Russische Zurückhaltung

Anders als China hat sich Russland bislang zurückhaltend zu einer möglichen Zusammenarbeit mit den Taliban geäussert. «Die Anerkennung oder die Nichtanerkennung wird von dem Verhalten der neuen Machthaber abhängen», sagte der Afghanistan-Beauftragte des russischen Präsidenten, Samir Kabulow, dem Radiosender Echo Moskwy. Man wolle sich mit der Entscheidung Zeit lassen, zitiert die Nachrichtenagentur dpa den langjährigen russischen Botschafter in Kabul.

Russland sei überrascht gewesen von der Geschwindigkeit der Machtübernahme durch die Taliban, sagte Kabulow weiter. Ausserdem solle ein Teil des Botschaftspersonals in Afghanistan abgezogen werden.

Kontakte zwischen Russland und den Taliban gibt es dennoch bereits. So will sich der russische Botschafter in Kabul, Dmitri Schirnow, schon am morgigen Dienstag mit Vertretern der Terrorgruppe treffen. «Ich habe keine Angst», sagte er laut dpa dem russischen Staatsfernsehen.