Antworten zur Offensive Der Teufel, den ich rief – Trumps Syrien-Inferno erklärt

Von Philipp Dahm

14.10.2019

Seit sechs Tagen läuft die türkische Offensive in Nordsyrien – die Fronten haben sich seither diametral verändert. Wie genau und mit welchen Folgen, das erklärt «Bluewin».

Wie ist die militärische Lage in dem Konflikt?

Die Kurden haben sich mit Syriens Diktator Bashar al-Assad arrangiert: Dessen «Freie Syrische Armee» und die YPG bekämpfen die türkischen Truppen nun gemeinsam. Diese haben Ras al-Ain, eine der grösseren Grenzstädte, eingenommen: Obwohl mit der Eroberung die Einrichtung einer «Sicherheitszone» abgeschlossen sein sollte, rücken die Türken weiter vor. Inzwischen wurde auch die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Stadt Tall Abyad unter türkische Kontrolle gebracht.

Wie steht es um das Verhältnis USA-Türkei?

Es knistert im Gebälk, seit türkischer Artilleriebeschuss US-Truppen am Freitag nur um knapp 300 Meter verfehlt hat. Das geschah entweder ganz bewusst – oder Ankaras Militär ist schlicht inkompetent. Der NATO-Partner hatte die Koordinaten der Amerikaner, und jene werden im Zielcomputer normalerweise als «No fire areas» eingegeben. Deshalb ist es kaum zu erklären, dass die 155-Milimeter-Haubitzen die Special Forces in deren Unterstand «in die Zange genommen» haben.

US-Verteidigungsminister Mark Esper verkündete am Sonntag sodann, alle verbliebenen GIs aus Syrien abzuziehen. Weil Ankara sich nicht an gemachte Zusagen halte – und dies offenbar zur Überraschung Washingtons. «In den letzten 24 Stunden haben wir herausgefunden, dass [die Türken] wahrscheinlich planen, ihre Offensive weiter nach Süden auszuweiten als ursprünglich geplant. Und auch nach Westen», gestand Esper bei CBS ein.

US-Finanzminister Steve Mnuchin hatte am Freitag gesagt, Donald Trump habe «sehr mächtige» Sanktionen gegen den NATO-Partner ins Spiel gebracht, und auch der US-Präsident selbst deutete per Tweet am Sonntag wirtschaftliche Strafen an. Doch aussagekräftiger als die oft kernigen Aussagen erst recht dieser beiden Politiker sind in der Regel die Reaktionen der Händler – und weil die türkische Lira am Montag «nur» 0,6 Prozent an Wert verloren hat, rechnet nun wohl für den Moment niemand ernsthaft mit US-Sanktionen.

Was ist mit den IS-Kämpfern?

Vergangene Woche klagte ein Special-Forces-Soldat dem konservativen US-Sender «Fox» sein Leid. Er schäme sich für den Rückzugsbefehl und wolle die Kurden loben, die trotz des Wissens um kommende Bombardements der Türken weiter versuchten, IS-Gefangene zu bewachen. «Sie haben letzte Nacht ohne unsere Hilfe einen Ausbruch verhindert.» Der GI kam im US-Sender zum Schluss, dass die IS-Kämpfer «in den kommenden Tagen oder Wochen» befreit würden.

Das Weisse Haus hatte immerhin angewiesen, fünf Dutzend hochrangige IS-Kämpfer zu verlegen – doch zu spät: 785 IS-Kämpfer haben nach Artilleriebeschuss aus kurdischer Haft fliehen können. Mark Hertling, ein frührer Army-Generalleutnant und Irak-Veteran, rechnet damit, dass viele Befreite den islamistischen Kampf im Westen wiederaufzunehmen planen.

Wieso ist von Kriegsverbrechen die Rede?

Um Verluste in der eigenen Truppe zu vermeiden, darf an der Seite der Türken eine Gruppe arabischer Islamisten kämpfen. Einige dieser 14'000 Soldaten sollen Kriegsverbrechen begangen haben: Laut «Jerusalem Post» zeige ein Video, wie zwei kurdische Gefangene ermordet würden. Beim Töten werden die Opfer als «Kuffar», also als Ungläubige bezeichnet, was Erinnerungen an die IS-Extremisten weckt.

Ausserdem sollen diese Truppen auch für den Tod von Hevrin Khalef verantwortlich sein: Die kurdische Kommunalpolitikerin und ihr Fahrer waren am Samstag in einen Hinterhalt geraten, wie «The Independent» berichtet hatte: Khalaf sei «aus dem Auto geholt und exekutiert» worden. Neun Zivilisten sollen insgesamt am Wochenende ermordet worden sein.

US-Verteidigungsminister Mark Esper sagte, es handele sich bei den Vorfällen, «sofern sie stimmen, anscheinend um Kriegsverbrechen.» Die Zahl der Flüchtenden erhöhte sich laut der israelischen Zeitung «Haaretz» inzwischen auf 130'000 Personen.

Warum könnte sich der US-Rückzug als Fehler erweisen?

Die USA dürften in diesem Konflikt kaum noch Partner finden: Wenn zuletzt etwas auffällig war, dann dies: Die Amerikaner sind unberechenbar geworden.

Es ist zudem auffällig, dass es Donald Trump nicht wirklich um die eigenen Soldaten geht – auch wenn er stets das Gegenteil behauptet (siehe Tweets). Erst am Samstag erklärte das Pentagon, es würden 1'800 weitere Soldaten nach Saudi-Arabien geschickt: Zwei zusätzliche F-15-Geschwader und zwei THAAD-Flugabwehrbatterien sollen laut CNN den Iran abschrecken. Seit September sind somit insgesamt 3'000 zusätzliche Gis nach Riad verlegt worden, seit Mai sogar 14'000 Männer und Frauen.

Zusammengefasst: Washington hat nicht nur seine eigene Position im Nahen Osten geschwächt, sondern vor allem auch die gegnerischen Fraktionen gestärkt. Der sogenannte Islamische Staat könnte von den Toten wiederauferstehen. Russland, das zwischen Damaskus und den Kurden vermittelt hat, festigt seine Rolle, und selbst der Iran darf sich – wie geschehen – als Vermittler ins Spiel bringen. 

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