Bauchgefühle, Statistiken, ProphezeiungenSo geht die US-Wahl am nächsten Dienstag aus
Von Philipp Dahm
29.10.2024
Eine Woche vor der Wahl zeigt ein Video aus Wisconsin, wie sich Wähler in den Swing States fühlen, während Statistik-Guru Nate Silver auf Umfrageschwächen hinweist. Wie es ausgeht? Nur einer wird konkret.
Philipp Dahm
29.10.2024, 04:30
29.10.2024, 14:42
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Eine Woche vor der Wahl herrscht grosse Anspannung, aber wegen der Dauer-Werbung auch Politik-Frust und Wahlmüdigkeit.
Unverfälschter Blick aus Wisconsin: Das Video eines Bauern aus dem Swing State lässt tief blicken.
Alan Lichtman hat neun der zehn letzten Wahlen korrekt vorhergesagt: Der Historiker glaubt zu wissen, wer gewinnt.
Nate Silver erklärt als Statistik-Guru die Schwächen der Umfragen und verrät, was beim aktuellen Stand 50:50 sein Bauch ihm sagt.
Eine Woche ist es noch bis zur Präsidentschaftswahl. Die Vereinigten Staaten sind verkeilt. Das Land ist tief gespalten – und es stehen sich zwei in etwa gleich grosse Blöcke mehr oder weniger unversöhnlich gegenüber.
Diese Wahl wird wegen der Eigenart des Electoral College in den sieben Swing States entschieden, in denen der Abstand der Kandidaten beim letzten Urnengang besonders klein war. In der letzten Woche werden die Parteien alles tun, um hier die wenigen Unentschlossen zu erreichen, die ein bis zwei Prozent der Stimmen ausmachen.
Die Wählenden werden mit Werbung bombardiert, was bereits zu Fällen von Wahl-Müdigkeit, Polit-Frust oder gar Reizdarmsyndrom führt. Doch besser als Umfragen, Statistiken oder Late-Night-Shows vermittelt vielleicht ein kleines Video aus Wisconsin, wie sich das Land fühlt: YouTuber Lassie Farm hat es «Habe politische Werbung so satt» genannt.
Dieses Video eines Bauern aus Wisconsin
Es ist 95 Sekunden lang, hat bisher 70 Aufrufe und trägt die Hashtags #rant und #politicalads. Der Filmende hält Wahl-Prospekte hoch: «Glauben die Leute, die Tausende oder Millionen oder Was-auch-immer ausgeben, um diese … Wer schaut sich diese Dinge an, und ist so: Ja … Richtig … Oh nein, Immigranten.»
Der Mann wendet die Kamera. Ein Büsi trabt heran. «Ich habe Angst vor Immigranten», sagt der Bauer, nimmt dann aber das Büsi ins Auto und erklärt, sie hätten das doch nicht. «Steig ein, Bruder», sagt der Amerikaner. Er fährt langsam vom Briefkasten zum Haus zurück. Zwei Hunde tollen am Wegesrand herum.
«[Die Migranten] stehen auf der Liste meiner Sorgen nicht weit oben», sagt der Mann nun und schwenkt sein Handy zu einem Pfahl, auf dem eine Sicherheitskamera thront. Dem folgend sagt er: «In Wisconsin kümmern wir uns irgendwie …», er knallt einen Revolver aufs Armaturenbrett, «… selbst um unsere Probleme.»
Dann verlangsamen drei Gänse seine Fahrt. «Kommt schon, Leute.» Der Mann hupt. «Könnt ihr nicht aus dem Weg gehen? [Kater] Mack, was soll ich mit diesen Vögeln machen?»
Alan Lichtman: Einer wird konkret
Wer es gern etwas konkreter hätte, ist bei Alan Lichtman gut aufgehoben: Der Historiker der American University in Washington D.C. hat neun der letzten zehn Wahlausgänge korrekt vorhergesagt. Der 77-Jährige hat 13 Schlüsselfaktoren für den Einzug ins Weisse Haus ausgemacht, an denen er die Kandidaten misst.
Lichtman hat sich explizit schon vor dem TV-Duell zwischen Donald Trump und Kamala Harris geäussert und dabei betont, die Debatte habe ohnehin keine grossen Auswirkungen auf den Wahlausgang. Anfang September hat er prophezeit, dass die Demokratin den Republikaner schlagen wird.
Das hat ihm Kritik eingeheimst, stellt der Moderator des Lokalsenders Fox 5 DC fest: Bleibt er bei seiner Meinung? «Absolut», sagt der Professor: Als er 2016 den Wahlsieg Trumps vorhergesagt habe, habe es mehr Gegenwind gegeben. «Das hat mich in Washington nicht populär gemacht, wo 90 Prozent demokratisch wählen.»
Was dagegen neu sei, sei der Hass, der ihm für sein Statement entgegenschlage. «Die Sicherheit meiner Familie wurde kompromittiert.» So etwas habe es vor der «toxischen Politik von Donald Trump» nicht gegeben. Bei seiner Aussage, dass Harris gewinne, bleibe er wie im Jahr 2016, als die Umfragen Trumps Sieg auch nicht voraussahen.
Auch bei Obama 2012 hätte ihn eine verlorene TV-Debatte nicht beeinflusst. Tatsächlich müssten sechs Schlüsselfaktoren für die Republikaner sprechen, um seine Prognose zu ändern. Es seien aber nur vier Bereiche, die er ihnen zuschreiben könne.
Nate Silver war einst der wohl bekannteste Statistiker der USA: Der 46-Jährige ist Gründer des Umfrage-Portals FiveThirtyEight und hat bei der Wahl 2008 das Kunststück fertiggebracht, 49 von 50 Staaten korrekt vorherzusagen.
Der heutige Berater schreibt in der «New York Times» über die kommende Abstimmung: Da die Kandidaten in den sieben Swing States so nah beieinander liegen, sei nur 50:50 eine angemessene Vorhersage. Silver verrät allerdings, was sein Bauch ihm sagt.
Zunächst verweist der 46-Jährige mit Blick auf Umfragen darauf, dass es den «schüchternen Republikaner» heute wohl kaum mehr gebe, der sich nicht traut anzugeben, dass er für Trump stimmen werde. «Viele Leute sind stolz auf ihre Unterstützung für Trump, und wenn überhaupt ist es heute weniger stigmatisierend als jemals zuvor.»
Doch die Statistiker*innen würden viele Trump-Wähler mitunter gar nicht erreichen, weil die sich gesellschaftlich weniger engagierten und auch seltener auf Umfragen antworteten. Dass Kamala Harris' Hautfarbe eine Rolle spielen könnte, verneint der passionierte Poker-Spieler: Das sei auch bei Obama nicht so gewesen.
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Patrick Semansky/AP/dpa
Es könne aber sein, dass sich Wähler als unentschlossen ausgeben, obwohl sie ein Problem damit haben, eine Frau zu wählen: «Vielleicht sollte sich Miss Harris Sorgen vor einem Hillary-Clinton-Effekt machen.» Es sei allerdings gleichwohl auch möglich, dass die Umfragen Harris' Werte unterschätzen.
Gemäss Silvers Berechnungen gebe es eine 60-Prozent-Chance, dass ein Kandidat sechs der sieben Swing States abräumt. Und gleichzeitig könnte es wegen eines knappen Ausgangs auch eine sehr lange Wahlauszählung geben. Silvers Bauch sagt ihm, Trump gewinnt. Sein Essay trägt den Titel: «Das sagt mein Bauch über die Wahl, aber trauen Sie dem Bauch von niemandem – nicht mal meinem.»
Trump hält an Falschaussagen über Haustier-Verzehr fest
«Und sie essen andere Dinge, die sie nicht essen sollten.» Trump bezog sich auf seine Äusserungen, haitianische Einwanderer in Springfield, Ohio, würden Haustiere stehlen oder Wildtiere in Parks essen.