Ukraine-LeaksDie Blamage der US-Spione spielt Putin in die Hände
Von Andreas Fischer
11.4.2023
Datenleck zu Militärgeheimnissen alarmiert USA und Verbündete
Datenleck zu Militärgeheimnissen alarmiert USA und Verbündete
11.04.2023
Der Kreml findet sie «einigermassen interessant»: Seit Wochen kursieren im Internet geheime Dokumente von US-Stellen zum Krieg in der Ukraine. Die Folgen des Datenlecks könnten für Kiew dramatisch sein.
Von Andreas Fischer
11.04.2023, 16:54
Von Andreas Fischer
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Durch ein Datenleck bei den US-Geheimdiensten sind zahlreiche vertrauliche Dokumente mit sensiblem Material öffentlich geworden.
Die ersten Leaks sind bereits im Januar in Internetforen für das Computerspiel Minecraft aufgetaucht.
Das Datenleck könnte Einfluss auf den Kriegsverlauf und Folgen für die künftige Arbeit der Nachrichtendienste haben.
Für die US-Geheimdienste sind die Leaks nichts anderes als eine Blamage. In sozialen Netzwerken im Internet kursieren offensichtlich geheime Dokumente von US-Stellen zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Dies nicht erst seit einigen Tagen oder Wochen, sondern, wie das Recherche-Netzwerk Bellingcat herausgefunden hat, seit einem Vierteljahr.
Bereits am 13. Januar, so haben es die Investigativjournalisten rekonstruiert, seien geheime Dokumente in einem Internetforum aufgetaucht, und zwar in der Gamer-Community. In der Folge, so belegen Bellingcat-Recherchen, wurden in weiteren Foren, in denen es vornehmlich um das Computerspiel Minecraft geht, immer mehr Dokumente veröffentlicht.
We don't know exactly who leaked those 100+ Pentagon documents online. But in a new @bellingcat investigation, I talked to several people on the Discord server with 20 active users where they may have first originated.https://t.co/3AFDoXB9Km
Die Dokumente seien nicht gescannt gewesen, sondern «eilig abfotografiert». Im Hintergrund sehe man Klebstoff einer US-Marke sowie die Verpackung eines Jagdfernrohrs. Zwischen 50 und 60 geleakte Dokumente konnten bislang von Analysten und Medien gesichert werden, dazu kommen zahlreiche weitere, von denen Bellingcat-Journalisten Screenshots gemacht haben.
Moskau liest die Dokumente mit Interesse
Darum geht es bei den US-Leaks zum Krieg in der Ukraine
KEYSTONE
• Informationen zu Waffenlieferungen an die Ukraine • Angaben zum Munitionsverbrauch • Zustand und Munitionsbestände des Luftabwehrsystems der Ukraine • Landkarten mit detailliertem Frontverlauf • Standorte russischer und ukrainischer Truppenverbände mit Mannschaftsstärken • Pläne der Nato und der USA zur Vorbereitung und Bewaffnung des ukrainischen Militärs für eine allfällige Frühjahrsoffensive • Details zu Anzahl und Art geplanter Waffenlieferungen sowie die voraussichtlichen Lieferdaten • Analysen und Informationen zu anderen Ländern, wie zum Beispiel China, Südkorea und Israel
Derzeit wird noch diskutiert, was echt sei und was nicht, was als Desinformation gilt und welchen Einfluss die Leaks auf den Kriegsverlauf haben könnten. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA hat sich aber bereits deutlich positioniert: «Ist das ein Anlass zur Sorge für uns? Ja, das ist es allerdings», sagte John Kirby in Washington. Ein erheblicher Teil der durchgesickerten Dokumente wird von den US-Behörden als echt eingestuft.
Der Kreml in Moskau verfolgt die Veröffentlichung der geheimen US-Dokumente mit Interesse. «Die Leaks sind einigermassen interessant, alle studieren, analysieren und erörtern sie breit», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Nach Einschätzung von US-Medien könnten sich die Unterlagen für Moskau als äusserst wertvoll erweisen. Einige enthüllen entscheidende Schwachstellen der ukrainischen Verteidigung und bei der Bereitschaft der Bataillone zu einem kritischen Zeitpunkt im Krieg. Die «New York Times» etwa berichtet unter Berufung auf die Dokumente über Schwächen der ukrainischen Flugabwehr. Diese müsse verstärkt werden, um den russischen Angriffen standzuhalten. Die Ukraine fordert seit Langem mehr Munition und Waffen.
Andere Dokumente zeigen, wie stark die US-Geheimdienste das russische Verteidigungsministerium und die Söldnerorganisation Wagner infiltriert haben. Diese Quellen sind nun ernsthaft gefährdet.
Geheimdienst-Leak hat gravierende Folgen
Die Ukraine hat im Krieg stark von Geheimdienstinformationen profitiert. Vor allem die USA haben eng mit Kiew zusammengearbeitet und teilweise in Echtzeit Informationen übermittelt, ohne die, so mutmassen Analysten, der Krieg einen ganz anderen Verlauf genommen hätte. Kommt hinzu, dass Grossbritannien täglich Erkenntnisse seiner Nachrichtendienste veröffentlicht, um Desinformationen vorzubeugen.
Die konkreten Folgen der Leaks lassen sich noch nicht abschätzen. Gravierend sind sie aber auf jeden Fall. Nicht nur, weil Moskau wichtige Informationen bekommt, sondern auch weil sie das Vertrauen in die US-Dienste erschüttern.
Aus den Leaks geht auch hervor, dass die USA auch in den Reihen der eigenen Verbündeten spionieren. Zum anderen stellt sich die Frage, wie sicher geheime Informationen sind, die andere Länder an die USA weiterleiten.
Die Ukraine bleibt betont gelassen
Zudem habe die Ukraine wegen des Datenlecks bereits einige militärischen Pläne geändert, berichtet CNN unter Berufung auf eine dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij nahestehende Quelle. Dem hat Oleksij Danilow, Sekretär des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrats, allerdings bereits widersprochen.
In einem Interview mit der ARD sagte er, dass über den Beginn der geplanten Gegenoffensive im allerletzten Moment entschieden werde. «Wenn jemand glaubt, dass wir nur eine Option haben, dann entspricht das nicht der Realität. Sogar drei Optionen wären nicht viel.»
Die USA bezweifeln laut einem Bericht der «Washington Post» über die Leaks dennoch, dass die erwartete Frühjahrsoffensive der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland grosse Erfolge bringen wird.
Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP.