Grenze dicht Darum lässt Ägypten keine Palästinenser ins Land

gbi

18.10.2023

Für Palästinenser*innen gibt es hier kein Durchkommen: der streng bewachte ägyptische Grenzübergang Rafah. 
Für Palästinenser*innen gibt es hier kein Durchkommen: der streng bewachte ägyptische Grenzübergang Rafah. 
Bild: Keystone

Die Menschen im Gazastreifen sind gefangen im Kriegsgebiet. Der einzige Grenzübergang, den nicht die Israeli kontrollieren, führt nach Ägypten – doch Kairo hält diesen weiterhin geschlossen. Warum eigentlich?

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der Grenzübergang Rafah liegt zwischen dem Gazastreifen und Ägypten. Doch er ist seit Beginn des Krieges zwischen der Hamas und Israel geschlossen. 
  • Die ägyptische Regierung macht offiziell Sicherheitsbedenken geltend. Der Grenzübertritt wäre zu gefährlich.
  • Doch Experten zufolge hat Kairo andere Bedenken, eine grosse Zahl an Palästinenser*innen aufzunehmen.
  • UNO-Generalsekretär António Guterres will sich bei einem Treffen mit dem ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi dafür einsetzen, dass die Grenze geöffnet wird. 

Der Gazastreifen wurde schon früher ein «Freiluftgefängnis» genannt. Jetzt ist er ein Kriegsgebiet. Und für die Menschen gibt es keinen Fluchtweg.

Seit dem Grossangriff von Hamas-Kämpfern auf das israelische Grenzgebiet antwortet Israel mit massivem Bombardement aus der Luft, die Hamas und andere Islamistengruppen schiessen zurück. Dass nicht einmal zivile Einrichtungen wie Spitäler noch Schutz bieten, zeigt der Raketenschlag auf ein Spital in Gaza-Stadt. Dessen Hintergründe sind noch nicht geklärt, es werden aber Hunderte Todesopfer befürchtet.

Das israelische Militär ruft rund 1,1 Millionen Palästinenser*innen dazu auf, den nördlichen Gazastreifen zu verlassen. Das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Wohin aber sollen die Menschen in dem Küstenstreifen, der nur 365 Quadratkilometer gross ist – kleiner als der Kanton Obwalden – und zwischen Mittelmeer und Sperranlagen eingeklemmt ist?

Kein Durchlass für Menschen oder Hilfsgüter

Der einzige nicht von Israel kontrollierte Grenzübergang ist jener von Rafah und führt nach Ägypten. Doch die Regierung in Kairo macht keinerlei Anstalten, die Palästinenser durchzulassen. Schlimmer noch: Vor dem Grenzübergang stauen sich Hilfsgüter der Vereinten Nationen, die aber nicht in den Gazastreifen gelangen.

Wieso bleibt die Grenze dicht? Offiziell macht Ägypten Sicherheitsgründe geltend. Der ägyptische Aussenminister Sami Shukri erklärte der britischen BBC, dass aus ägyptischer Sicht der Grenzübergang Rafah «offiziell geöffnet» sei. Infolge mehrerer Luftangriffe sei er aber nicht passierbar, auch nicht für Hilfslieferungen.

Schon vor Kriegsausbruch hielt Ägypten an einem strengen Grenzregime fest. Zum einen, weil der Gazastreifen an die Sinai-Halbinsel grenzt – ein Problemgebiet für die Regierung in Kairo. Immer wieder musste sie sich hier Gefechte mit islamistischen Gruppierungen wie der Al Kaida liefern.

Humanitäre Situation in Gaza spitzt sich zu

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Die humanitäre Lage im Gazastreifen spitzt sich weiter zu: Während die israelische Luftwaffe ihre massiven Bombardements gegen die islamistischen Hamas-Angreifer im Gazastreifen fortsetzt, verschärft sich die akute Versorgungsnot der Hunderttausenden in den Süden geflüchteten Palästinenser.

18.10.2023

Es besteht die Sorge, dass aus dem Gazastreifen Terroristen «importiert» werden könnten – eine Befürchtung, die auch Jordanien teilt, das sich ebenfalls gegen eine Aufnahme von Palästinensern sträubt. Wobei es perfiderweise genau die Hamas-Kämpfer sind, die sich dank ihres verzweigten Tunnelsystems schon heute nach Ägypten und zurück in den Gazastreifen bewegen können.

Es gibt auch noch weitere Gründe, warum Ägypten an der harten Linie festhält: «Die Befürchtung steht im Raum, dass eine massenhafte Flucht von palästinensischen Flüchtlingen das Schicksal des Gazastreifens determinieren würde», erklärte der Politikwissenschaftler Markus Kaim der deutschen «Tagesschau».  Heisst: Israel könnte sich das Gebiet einverleiben. Dem wollten weder Ägypten noch Jordanien Vorschub leisten.

Im Endeffekt befürchte jedes Land, das eine grosse Zahl von Palästinenser*innen aufnehme, auf unbestimmte Zeit für sie verantwortlich zu sein – das gibt der Leiter der humanitären Hilfe der UNO, Martin Griffiths, bei der BBC zu bedenken. Daran habe Kairo keinerlei Interesse, eine grosse Flüchtlingszahl aufzunehmen.

Oder, wie es der ägyptische Aussenminister Shukri formuliert: «Es geht nicht darum, die Verantwortung auf Ägypten zu übertragen. Es geht darum, die Sicherheit und das Wohlergehen der Menschen im Gazastreifen auf ihrem eigenen Territorium zu gewährleisten.» 

UNO-Chef pocht auf eine Grenzöffnung

Die Menschen im Gazastreifen haben das Pech, dass ihr Schicksal nicht mit den politischen Interessenslage in der Region vereinbar ist. UNO-Generaldirektor António Guterres will das nicht hinnehmen und reist am Donnerstag nach Kairo: Er will sich auf den ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi treffen einwirken, die Grenze zu öffnen.

Dasselbe hatte auch US-Präsident Joe Biden vor, doch nach dem Raketenschlag auf das Spital in Gaza sagte al-Sisi das geplante Treffen kurzfristig ab.