Westliche Waffen kommen zu spät Darum ist die Kertsch-Brücke für Kiew kein lohnendes Ziel mehr

Philipp Dahm

7.5.2024

Am 8. Oktober 2022 explodiert ein Lastwagen mit einer Bombe auf der Kertsch-Brücke, die damals für den Nachschub russischer Truppen auf der Krim und in der Südukraine essenziell ist. Doch Zeiten ändern sich.
Am 8. Oktober 2022 explodiert ein Lastwagen mit einer Bombe auf der Kertsch-Brücke, die damals für den Nachschub russischer Truppen auf der Krim und in der Südukraine essenziell ist. Doch Zeiten ändern sich.
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Gerade erst hat Russland die Ukraine, aber auch den Westen gewarnt, man werde einen Angriff auf die Kertsch-Brücke nicht akzeptieren. Dabei ist das Bauwerk für den Krieg nicht mehr elementar, zeigen neue Daten.

Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Nachdem die Kertsch-Brücke im Oktober 2022 und Juli 2023 getroffen wurde, warnt Moskau nicht nur Kiew, sondern auch den Westen bei einer erneuten Attacke vor Konsequenzen.
  • Die Luftabwehr um die Kertsch-Brücke herum wurde ausgebaut und See-Barrieren zu Wasser gelassen.
  • Neue Daten zeigen aber, dass kaum noch militärische Güter über die Kertsch-Brücke transportiert werden.
  • Am 2. Mai ist eine alternative Bahnstrecke in Betrieb genommen worden, die am Asowschen Meer entlang zur Krim führt.

Womit hat Wladimir Putin nicht gedroht. Als im Oktober 2022 auf der Kertsch-Brücke eine Bombe auf einem Lastwagen explodiert und das Bauwerk beschädigt, über den der Nachschub der russischen Truppen auf der Krim und in der Südukraine läuft, kündigt Russlands Präsident im TV eine «ernste Antwort» an: «Daran darf es keinen Zweifel geben.»

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18.07.2023

Die Abschreckung misslingt: Am Morgen des 17. Juli 2023 explodieren zwei Seedrohnen an der Kertsch-Brücke. Erneut spricht Putin von kommenden  Vergeltungsschlägen, doch ausser einigen Raketen, die ukrainische Städte treffen, hält sich die breit besprochene Vendetta in Grenzen. Die Ukraine und viele im Westen feiern dagegen den militärischen Coup – auch mit einem viralen Song.

Das Muster zieht sich durch bis in die Gegenwart. Die Lieferung von ATACMS-Munition mit 300 Kilometer Reichweite und die Aussicht auf das Eintreffen von F-16-Jets rufen den Kreml auf den Plan: Nicht nur Kiew droht Marija Sacharowa mit «verheerenden Rache-Angriffen», wenn der Brücke etwas passiert. Die Sprecherin des Aussenministeriums schliesst am 3. Mai explizit auch «Washington und Brüssel», also die USA und die Nato, mit ein.

Doch eigentlich hat die Kertsch-Brücke gar nicht mehr die grosse Bedeutung, die ihr noch zu Beginn des Krieges im Februar 2022 zukam – zumindest militärisch. Zu diesem Schluss kommt die private ukrainische Sicherheitsagentur Molfar, die Satellitenbilder ausgewertet hat. Das Ergebnis: Russland transportiert dort kaum noch militärisches Gut.

Ein Zug mit militärischen Gütern innert drei Monaten

In einer Periode von drei Monaten in diesem Jahr ist demnach nur ein einziger Zug mit militärischer Fracht am 29. Februar über die Kertsch-Brücke gefahren, der aus 55 Tankwaggons bestanden hat. Im März und April sollen gar keine solchen Güter das Bauwerk passiert haben.

Das ist deshalb so bemerkenswert, weil die Kertsch-Brücke vor der ersten ukrainischen Attacke im Oktober 2022 Dreh- und Angelpunkt von Moskaus Nachschub war. Laut Wassyl Maljuk sind dort damals «42 bis 46 Züge, die Waffen und Munition transportieren, pro Tag langgefahren». Im März 2024 sind es laut dem Chef des Geheimdienstes SBU täglich noch «vier bis fünf», von denen vier Passagiere befördern und einer zivile Güter bewegt. 

In diesem Fall scheint ein Angriff auf die Kertsch-Brücke nicht mehr nötig zu sein – und könnte zudem noch als eine Attacke auf zivile Infrastruktur gewertet werden. Darauf verlassen will sich Moskau aber nicht: Um das rund 3,7 Milliarden Dollar teure Bauwerk zu schützen, hat Russland See-Barrieren und ein Luftabwehr-Netz installiert. In Letzteres hat Kiew jedoch bereits gezielt Löcher gerissen.

Alternativ-Route am Asowschen Meer

Doch wie kommt der Nachschub nun zur Truppe? «Mir wurde direkt am heutigen Morgen berichtet», lüftet Putin am 18. März das offene Geheimnis, «dass die Bahnstrecke von Rostow [am Don]  über Donezk und Mariupol nach Berdjansk wiederhergestellt wurde.» Sprich: Russland hat neue Gleise an der Küste des Asowschen Meeres verlegt und erreicht die Krim nun  über den Landweg.

Putin nennt die Strecke explizit eine Alternative zur Kertsch-Brücke. «Das kann ein ernstes Problem für uns werden», räumt  Kyrylo Budanow, Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR alias GUR ein. Die Bahn sei aber einfacher zu treffen als die Brücke, heisst es weiter. Dennoch rollt am 2. Mai der erste Zug über die neuverlegten Gleise Richtung Russland.

Dass die Bahn ein einfacheres Ziel ist, darf bezweifelt werden: Die russische Armee führt Eisenbahntruppen und verfügt über spezielle Ingenieurszüge, die zerstörtes Gleis routiniert reparieren oder auch Pontonbrücken bauen. Doch auch wenn Moskau nun zwischen zwei Routen zur Krim wählen kann, denkt der Kreml angeblich über einen dritten Weg nach.

Im November 2023 hat die «Washington Post» über ein Geheimtreffen zwischen Chinesen und Russen berichtet, die über den Bau eines Tunnels zwischen Krim und russischem Kernland gesprochen haben sollen. Die asiatischen Geschäftspartner haben demnach Interesse an dem Vorhaben gezeigt, wollten aus Angst vor westlichen Sanktionen eine Teilnahme jedoch nicht öffentlich zusagen.

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