Lagebild Ukraine Darum ist der Durchbruch im Süden nicht der Durchbruch

Von Philipp Dahm

26.9.2023

Kurz erklärt: Das US-Kampfflugzeug F-16

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Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat der Ukraine offiziell die Lieferung von F-16-Kampfjets zugesagt. Die Ukraine verwendet bislang über 30 Jahre alte Kampfflugzeuge sowjetischer Bauart.

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Die ukrainischen Streitkräfte rücken im Süden des Landes zwar vor, doch von einem Durchbruch kann keine Rede sein. Bei Bachmut gehen die Kämpfe weiter – und bei Enerhodar sind Kiews Spezialkräfte gescheitert.

Von Philipp Dahm

26.9.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die ukrainische Armee hat die Dörfer Novoprokopiwka und Werbowe im Süden des Landes erreicht.
  • Ein ukrainischer Brigadegeneral spricht von einem Durchbruch.
  • Doch der Vorstoss erfüllt die Kriterien dafür nicht.
  • Der Grund: Die russische Verteidigung ist nach wie vor organisiert. Zudem werden weitere Schützengräben angelegt.
  • Bei Bachmut wird nicht mehr nur südlich, sondern nun auch nördlich der Stadt gekämpft.
  • Scheitern verboten: Darum ist der Bahndamm im Süden von Bachmut so wichtig für die Russen.
  • Am Dnjepr haben ukrainische Spezialkräfte erfolglos versucht, bei Enerhodar einen Brückenkopf zu errichten.

Ukrainische Truppen sind im Süden ihres Landes in die Dörfer Werbowe und Novoprokopiwka eingerückt. Im Falle von Werbowe war das nur möglich, weil die zweite russische Verteidigungslinie im Westen der Siedlung geräumt werden konnte.

Lage von Novoprokopiwka und Werbowe.
Lage von Novoprokopiwka und Werbowe.
Bild: Youtube/Reporting from Ukraine

Laut Reporting from Ukraine zeigen russische Videoaufnahmen, wie ein westlicher Schützenpanzer Werbowe verlässt und auf eine Mine fährt. Das Fahrzeug war aber dabei, das Dorf zu verlassen: Es konnte die Infanterie also abladen. Kiews Streitkräfte versuchen aktuell, die Flanken der Nachschublinie zu schützen und auszuweiten.

Die ukrainische Armee versucht, die Flanken bei Werbowe zu stärken.
Die ukrainische Armee versucht, die Flanken bei Werbowe zu stärken.
Bild: Youtube/Reporting from Ukraine

Die russische Seite hat bei Werbowe offenbar versucht, die Angreifer mit aufblasbaren Panzer-Attrappen zu täuschen. So wollte anscheinend ein bevorstehender Angriff auf die Flanke der vorrückenden Soldaten simuliert werden. Doch die ukrainischen Drohnen-Piloten sind auf die Köder nicht hereingefallen.

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Die Fortschritte in diesem Frontabschnitt werden von Kiew als «Durchbruch» verkauft: Das Minimalziel der Gegenoffensive sei, Tokmak in der südlichen Zentralukraine zu erreichen, sagt Brigadegeneral Oleksandr Tarnawski. Der finnische Militär-Experte Emil Kastehelmi widerspricht: «Bei einem Durchbruch penetriert die Attacke nicht nur die feindliche Linie, sondern trägt zum signifikanten Kollaps der feindlichen Verteidigung in einem bestimmten Gebiet bei.» 

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Wann ist ein Durchbruch ein Durchbruch?

Ein Durchbruch sei eine Sache, die «verwertbar» sei und die man verstärken könne, so Kastehelmi. Der Angegriffene müsse reagieren, ohne auf die ursprünglichen Verteidigungspläne zurückgreifen zu können. «In dieser Situation sollte der Verteidiger unorganisiert und gezwungen sein, sich entweder zurückzuziehen oder schwere Verluste zu riskieren.»

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Ein Durchbruch ermögliche weiterhin schnelle, weite Vorstösse der mechanisierten Einheiten, weil Geschwindigkeit ein «zentrales Element» dabei sei. Die Russen seien aber nicht in der Lage, eine organisierte Verteidigung durchzuführen.

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Dass es in diesem Jahr noch einen Durchbruch gibt, hält Kastehelmi für «unwahrscheinlich»: Es hänge von Moskaus Verlusten ab. Es sei unklar, wie «herausfordernd» die aktuelle Situation sei. Auch ein ukrainischer Reserveoffizier schreibt auf X (vormals Twitter): «Ich möchte betonen, dass die russische Verteidigung nicht kollabiert ist.»

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Kämpfe nun auch im Norden von Bachmut

Hinzu kommt, dass die ukrainische Armee nach Robotyne zwar weiter vorstösst. Doch die Russen bauen hinter der Suwowikin-Linie permanent neue Schützengräben: In Tokmak, Berdjansk oder Bilmak werden die Befestigungen ausgebaut und weitere Truppen stationiert.

Gefechte gibt es nun auch im Norden von Bachmut.
Gefechte gibt es nun auch im Norden von Bachmut.
Bild: Youtube/Military Lab

Neben Robotyne und Werbowe bleibt das Gebiet um Bachmut herum ein militärischer Schwerpunkt: Verschiedene prorussische Telegram-Kanäle melden, dass Moskaus Männer im Norden der Stadt Boden gutgemacht hätten. Angeblich haben sie das Dorf Orikohovo-Vasylivka eingenommen. Überprüfen lassen sich die Angaben nicht. 

Im Süden von Bachmut tut die russische Armee alles, um den Bahndamm zu halten.
Im Süden von Bachmut tut die russische Armee alles, um den Bahndamm zu halten.
Bild: Youtube/Military Lab

Im Süden von Bachmut erhöhen die ukrainischen Streitkräfte laut Military Lab den Druck auf Kurdjumiwka, gleichzeitig versuchen die, hinter den Bahndamm nach Osten vorzustossen. Einer russischen Quelle zufolge konnten sie dabei aber keine Geländegewinne erzielen.

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Darum ist es so wichtig, den Bahndamm zu halten

Für den Kreml ist es enorm wichtig, die Kontrolle über den Damm nicht zu verlieren. Er dient einerseits als Barrikade, wie das unten stehende Video zeigt. Und andererseits gibt es östlich des Dammes keine strategische Tiefe: Dahinter folgt eine Autobahn und dann bereits die Bachmutka. Der Fluss liegt zum Teil keine vier Kilometer hinter dem Damm.

Sprich: Wenn die Russen den Damm verlieren, werden sie in dem Gebiet östlich davon, das auch noch tiefer liegt, eingequetscht. Die Lage dort ist schon jetzt schlecht für Moskau: Die Autobahn T0513 ist die südliche Lebensader des Bachmut-Nachschubs, die nun in Reichweite der ukrainischen Artillerie und Mörser liegt.

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Ein Frontabschnitt, von dem es zuletzt keine Neuigkeiten gab, ist das linke, östliche Dnjepr-Ufer: Im Oblast Cherson haben Spezialkräfte bei der Antonowski-Brücke und bei Kosatschi Laheri Brückenköpfe gebildet. Diese konnte die russische Armee bisher nicht auflösen, doch ebenso wenig scheinen die ukrainischen SSO-Spezialeinheiten vorzurücken.

Kiews Spezialkräfte scheitern in Enerhodar

Nun berichtet der ukrainische TV-Kanal 24 etwas Ungewöhnliches – und zwar von einer gescheiterten Kommando-Aktion am Dnjepr: Die Spezialeinheit Artan hat demnach erfolglos versucht, einen Brückenkopf bei Enerhodar zu errichten, das zwei Kilometer westlich des Kernkraftwerks Saporischschja liegt.

Der Dnjepr fliesst (links unten) an Cherson und Kosatschi Laheri vorbei. Rot markiert: die Stadt Enerhodar.
Der Dnjepr fliesst (links unten) an Cherson und Kosatschi Laheri vorbei. Rot markiert: die Stadt Enerhodar.
Bild: Google Earth

«Es gab Unterstützung von der Artillerie, den Streitkräften der Ukraine, kurz gesagt, viele Leute waren daran beteiligt», erklärt Andriy Melnyk, Rufname «Favorit», der Zugführer der Artan-Spezialeinheit. «Die Aufgabe war trivial: ans Ufer gehen, einen Teil davon einnehmen, Fuss fassen und anfangen, den Feind zu vertreiben.»

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Die Vorbereitungen für die Operation beginnen Wochen oder sogar Monate, bevor sie stattfindet. Verdeckte Ermittlungen sind obligatorisch. Wir erhalten Informationen von Bewohnern der noch besetzten Gebiete, möglicherweise von Kollaborateuren oder Russen, die für uns arbeiten. Davon gibt es eine ganze Menge.

Darum sind Angriffe über den Dnjepr so schwierig

Solche Einsätze würden Wochen oder gar Monate im Voraus geplant: «Verdeckte Ermittlungen sind obligatorisch», sagt Melnyk. «Wir erhalten Informationen von Bewohnern der noch besetzten Gebiete und mitunter auch von Kollaborateuren oder Russen, die für uns arbeiten. Davon gibt es eine ganze Menge.»

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So hätten auch Taucher das Ufer nach Minen abgesucht, doch am Ende war der Widerstand zu gross und der Einsatz würde abgebrochen. «Natürlich ist es wichtig, die Aufgabe zu erfüllen, aber wenn man ein kleines Stück Land auf Kosten eines halben Zuges einnimmt, trifft niemand solche Entscheidungen. Und das ist völlig normal. Im Krieg laufen die Dinge nicht immer wie geplant.»

Was ist die Herausforderung bei so einem Angriff? «Auch wenn es ein Überqueren mit Booten beinhaltet, ist es keine amphibische Operation», erklärt der Amerikaner Nick, der in der Ukraine kämpft, im obigen Video. «Man muss ein Hindernis durchbrechen. Der Fluss ist nicht anders als ein Minenfeld oder ein Hindernis mit Stacheldraht. Das grösste Problem ist, den ersten Brückenkopf zu erobern.»

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Es gebe viele russische Befestigungen. Und es sei wichtig, was hinter dem Ufer liege. Das kann eine Siedlung sein, erklärt Nick, aber auch Sumpf. «So oder so ist es ein schwieriges Terrain für Einsätze – insbesondere mit gepanzerten Fahrzeugen.» Sein Landsmann Chaz ergänzt: «Wenn man durch das Dorf [Oleschky bei der Antonowski-Brücke] durch ist, kommt nichts. Da ist eine Wüste, die grösste in Europa.»