Kriegsgefangene sind wütend auf Putin «Ich habe meine Einheit mit 20 Soldaten in den Tod geschickt»

Andreas Fischer

21.10.2024

Kiew und Moskau tauschen erneut Gefangene aus

Kiew und Moskau tauschen erneut Gefangene aus

Gebanntes Warten. Dann folgt die grosse Freude: Russland und die Ukraine haben erneut Kriegsgefangene ausgetauscht. Beide Seiten übergaben jeweils 95 Gefangene, wie das Verteidigungsministerium in Moskau mitteilt. Anfang September fand der letzte Austausch statt, bei dem jeweils 103 Kriegsgefangene freikamen.

21.10.2024

Russlands Armee verpflichtet mit hinterlistigen Methoden Ausländer für den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nun berichtet Betroffene, wie sie zum Einsatz an der Front gezwungen wurden, und wie sie sich dafür rächten.

Andreas Fischer

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ahnungslose Ausländer werden von der russischen Armee an die Front in der Ukraine geschickt.
  • Wer das Glück hat, den Einsatz zu überleben, gelangt häufig in ukrainische Kriegsgefangenschaft. Viele der gefangen genommen Ausländer können weder nach Russland noch in ihre Heimat zurück.
  • Betroffene berichten, wie sie aus wütender Verzweiflung ihre Kameraden in den Tod schickten.

Sie wurden mit perfiden Tricks an die Front gelockt und haben den Einsatz in Putins Armee knapp überlebt: Drei vom Kreml rekrutierte Ausländer berichten in Gesprächen mit «The Economist», mit welchen schmutzigen Methoden sie verpflichtet wurden – und warum sie nun auf unbestimmte Zeit in einem ukrainischen Kriegsgefangenenlager festsitzen.

Die Männer, die nicht namentlich genannt werden wollen, stammen aus Brasilien, der Slowakei und aus Nepal. Freiwillig war keiner von ihnen an der Front in der Ukraine, sie wurden überlistet und bedroht. Die Methoden der russischen Behörden ähneln sich in allen drei Fällen.

Worin sich die Aussagen der drei Männer decken: Ihnen wurde zugesichert, keinen aktiven Fronteinsatz leisten zu müssen, wenn sie einen Vertrag mit der russischen Armee unterschreiben. Unabhängig überprüfen konnten die Reporter die Aussagen nicht: Berichte von ähnlichen Fällen gab es seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges allerdings immer wieder.

«Wenn du fliehst, wirst du verhaftet oder erschossen»

Das konkrete Vorgehen haben die russischen Behörden nach den Aussagen der Betroffenen angepasst. Dem Nepalesen, der nach einem Raubüberfall mittellos und verzweifelt in die Armee eingetreten sein will, sei gesagt worden, er solle als Sanitäter eingesetzt werden.

Der Slowake habe unterschrieben, weil er davon träumte, in Sibirien leben zu können: Er sollte Schützengräben ausheben und Bunker haben: «Doch das war Bullshit: Sie haben uns belogen.» Kurze Zeit später war der Mann an der Front und irrte nach einem Angriff der Ukraine durch ein Minenfeld, ehe er gefangen genommen wurde.

Der Mann aus Brasilien wiederum, ein Softwarespezialist, hatte ein Jobangebot in Moskau angenommen. Erst vor Ort habe er erfahren, dass die Firma für das Militär arbeite. Nun musste er trainieren, Drohnen zu fliegen – und wurde schliesslich an die Front geschickt, begleitet von einer Drohung: «Wenn du versuchst, zu fliehen, wirst du verhaftet oder erschossen.»

Viele Kriegsgefangene können nirgendwo hin

Geschichten wie die der drei Männer sind kein Einzelfall. Konkrete Zahlen nennt die Ukraine nicht: In den Kriegsgefangenenlagern sitzen aber wohl so viele gefangen genommene ausländischen Kämpfer, dass sie für Kiew zur Last werden, berichtet «The Economist».

Niemand wolle sie zurück haben. Russland sowieso nicht, aber auch die Behörden der Heimatländer zeigten kaum Interesse, wird Vitalii Matvyenko zitiert. Der Sprecher der für Kriegsgefangene zuständigen Behörde in Kiew ergänzte, dass es für die meisten der Männer illegal gewesen sei, in fremden Kriegen zu kämpfen. Würden sie in ihre Heimat zurückkehren, landeten sie mit hoher Wahrscheinlichkeit im Gefängnis.

Dass sie für Putins Armee zwangsweise kämpfen mussten und an der Front verheizt wurden, hat viele Männer zur Verzweiflung getrieben. Ein ausländischer Kämpfer berichtet, er sei so wütend gewesen, dass er dem ukrainischen Geheimdienst nach seiner Gefangennahme die Standorte von 50 russischen Stellungen verraten habe. «Dank mir haben die ukrainischen Streitkräfte meine gesamte Einheit mit 20 Mann getötet.»

In ukrainischen Kriegsgefangenenlagern wissen viele Ausländer, die für Russland kämpfen mussten, nicht, wie es für sie weitergeht.
In ukrainischen Kriegsgefangenenlagern wissen viele Ausländer, die für Russland kämpfen mussten, nicht, wie es für sie weitergeht.
Keystone