Partei plante «offene Feldschlacht» «D-Day»-Papier bringt FDP-Spitze in Erklärungsnot

dpa

29.11.2024 - 04:59

FDP-Chef Christian Lindner: Ein internes Papier zeigt, wie seine Partei den Ausstieg aus der Koalition vorbereitete. (Archivbild)
FDP-Chef Christian Lindner: Ein internes Papier zeigt, wie seine Partei den Ausstieg aus der Koalition vorbereitete. (Archivbild)
Bild: Keystone/dpa/Kay Nietfeld

Hat die FDP über Wochen gezielt auf den Bruch der Ampel-Regierung hingearbeitet? Die Liberalen bestreiten das. Ein internes Papier lässt andere Deutungen zu – die Parteispitze ringt um Erklärungen.

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  • Ein detailliertes Papier der FDP zum Ausstieg aus der Ampel-Koalition bringt die Parteiführung in Erklärungsnot und stösst auch bei Liberalen auf Kritik.
  • Die FDP hatte das achtseitige Dokument im Stil einer Powerpoint-Präsentation am Donnerstag selbst veröffentlicht, nachdem ein Nachrichtenportal bereits darüber berichtet hatte.
  • Zuvor hatte eine Recherche der «Zeit» schon grosse Diskussionen über Ursachen und Urheber des Koalitionsbruchs ausgelöst.
  • In mehreren Treffen der engsten FDP-Führung wurden demnach seit Ende September Szenarien für ein Ende der Koalition durchgespielt.

Ein detailliertes Papier der FDP zum Ausstieg aus der Ampel-Koalition bringt die Parteiführung in Erklärungsnot und stösst auch bei Liberalen auf Kritik. FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte der Deutschen Presse-Agentur, angesichts der Situation in der Regierung sei es zwar richtig gewesen, sich mit Ausstiegsszenarien auseinanderzusetzen. Aber: «Die Wortwahl ist der Sache nicht dienlich, eine Verschriftlichung mit dieser Tonalität nicht nachvollziehbar.» Sie forderte Selbstkritik und Aufarbeitung, wie sie später auch noch einmal auf X betonte. Bei den früheren Koalitionspartnern SPD und Grüne löste das «D-Day»-Papier grosse Empörung aus.

Die FDP hatte das achtseitige Dokument im Stil einer Powerpoint-Präsentation am Donnerstag selbst veröffentlicht, nachdem das Nachrichtenportal «Table.Briefings» bereits darüber berichtet hatte. Zuvor hatte eine Recherche der «Zeit» schon grosse Diskussionen über Ursachen und Urheber des Koalitionsbruchs ausgelöst. In mehreren Treffen der engsten FDP-Führung wurden demnach seit Ende September Szenarien für ein Ende der Koalition durchgespielt.

Strategiepapier beschreibt Ablaufszenarien zum «D-Day»

Das nun veröffentlichte FDP-Papier stiess nicht nur wegen seines Inhalts, sondern auch wegen der Wortwahl auf Kritik. In dem Dokument taucht der durch den Zweiten Weltkrieg historisch vorgeprägte Begriff «D-Day» mehrfach auf – als Synonym für den möglichen Zeitpunkt zum Ausstieg aus der gemeinsamen Regierung mit SPD und Grünen.

«D-Day» kann aus dem Englischen mit «Tag X» übersetzt werden – oder auch «Tag der Entscheidung» meinen. Im Deutschen ist die Formulierung vor allem im Zusammenhang mit der Landung der Alliierten in der Normandie zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus bekannt. Den Auftakt dafür markierte der «D-Day» am 6. Juni 1944. Er steht aber auch für unmenschliches Blutvergiessen, Zehntausende Tote und Verwundete.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hatte in einem Interview bei RTL/ntv am 18. November mit Blick auf damalige Medienberichte über die «D-Day»-Formulierung betont: «Das stimmt nicht. Dieser Begriff ist nicht benutzt worden.» Nach der Veröffentlichung des FDP-Papiers bemühte er sich nun in der «Welt» um Schadensbegrenzung: «Das Papier ist auf Ebene der Mitarbeiter entstanden. Niemand aus der Führung der FDP kannte das Papier.» Einen Grund zurückzutreten, sehe er nicht.

Kritik und Spott gab es in sozialen Medien auch für das vielfach geteilte Bild einer «Ablaufpyramide» aus dem Dokument. Darin werden die vier verschiedenen «D-Day»-Phasen vom ersten «Impuls» – einem Presse-Statement des Parteivorsitzenden Christian Lindner – bis hin zum «Beginn der offenen Feldschlacht» genannt.

SPD fordert Entschuldigung 

Auch bei den früheren Koalitionspartnern löste das Papier Empörung aus. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch warf der FDP-Führung vor, die Öffentlichkeit wiederholt getäuscht zu haben und forderte eine Entschuldigung von Lindner. Miersch sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), es sei «zynisch», dass die FDP für den Zeitpunkt des Ampel-Bruchs in ihrem Papier das Wort «D-Day» benutzt und den nachfolgenden Wahlkampf als «offene Feldschlacht» bezeichnet habe. «Die FDP-Führung hat die Verwendung dieser Begriffe stets bestritten.»

SPD-Chef Lars Klingbeil schrieb auf der Plattform X: «Es ist gut, dass langsam alles herauskommt und die Bürger sich ein Bild machen können.» Grünen-Fraktionschefin Britta Hasselmann äusserte ebenfalls Kritik auf X: «Ein Parlament ist kein Schlachtfeld, und das Ringen um die besten Ideen und Konzepte gehört zu unserer lebendigen Demokratie. Diese FDP sollte keine Verantwortung für unser Land übernehmen.»

FDP spricht von «Vorbereitung auf Szenarien»

Die FDP verbreitete die Lesart, sie habe das Papier publik gemacht, um Transparenz herzustellen – und schrieb auf X: «Wir haben nichts zu verbergen.» In einer dazu veröffentlichten Erklärung Djir-Sarais hiess es: «Wir haben niemals ein Geheimnis daraus gemacht, dass ohne eine Wirtschaftswende ein Ende der Ampel ein möglicher Ausgang des von uns so genannten Herbstes der Entscheidungen sein könnte.» Er sprach von einer Skandalisierung der Vorbereitung auf Szenarien. «Wenn die gesamte deutsche Medienlandschaft zu diesem Zeitpunkt bereits über das Ende der Ampel spekulierte, dann ist es nur professionell, sich auf diese Option einzustellen.»

Im nun veröffentlichten Papier ist zum Beispiel davon die Rede, dass der «ideale Zeitpunkt» für einen «avisierten Ausstieg» aus der Koalition zur Mitte der 45. Kalenderwoche zwischen dem 4. und 10. November liegen könnte. Am 6. November kam es tatsächlich zum Bruch des schon lange kriselnden Bündnisses – indem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Sitzung des Koalitionsausschusses FDP-Chef Lindner als Finanzminister entliess.

Die Neuwahl des Bundestags ist für den 23. Februar nächsten Jahres geplant. Die FDP steht in Wahlumfragen derzeit bei drei bis vier Prozent, also knapp unter der Einzugshürde von fünf Prozent – und könnte somit den Wiedereinzug ins Parlament verpassen.

Wie geht es nach dem Bruch der Ampel weiter?

Wie geht es nach dem Bruch der Ampel weiter?

STORY: Die erste Ampel-Koalition auf Bundesebene in der Geschichte Deutschlands ist passé. Am Tag nach dem Bruch des Bündnisses aus SPD, Grünen und FDP formierte sich die rot-grüne Minderheitsregierung in Berlin. Als neuer Finanzminister legte der SPD-Staatssekretär und frühere Goldman-Sachs-Investmentbanker Jörg Kukies im Bundestag seinen Amtseid ab. Verkehrsminister Volker Wissing übernahm das Justizressort. Den Posten des Verkehrsministers behält er trotz des Rückzugs der anderen FDP-Minister, Wissing will stattdessen bei den Liberalen austreten. Das Ministerium für Bildung und Forschung übernimmt Bundesagrarminister Cem Özdemir zusätzlich zu seinen bisherigen Aufgaben. Nach drei schwierigen Jahren mit dem Krieg in der Ukraine, Rekordinflation und Rezession war die Ampel-Regierung am Mittwochabend zerbrochen – knapp ein Jahr vor der regulären Wahl. Eine besondere Rolle kommt nun Oppositionsführer Friedrich Merz zu. Der CDU-Chef traf sich am Mittag mit Bundeskanzler Olaf Scholz, um eine Zusammenarbeit im Parlament auszuloten, allerdings ohne greifbares Ergebnis. Merz wie auch die FDP und die AfD fordern schnellere Neuwahlen, als von Scholz geplant. Alice Weidel, AfD-Vorsitzende «Die Vertrauensfrage des Kanzlers erst am 15. Januar zu stellen, ist unverantwortlich. Man kann mit einer Rumpfregierung, aus einer Regierung, die niemand mehr wollte, nicht weitermachen.» // «Und dementsprechend fordert die AfD-Fraktion, die Vertrauensfrage bereits nächste Woche zu stellen. Das ist er diesem Land schuldig, dass er möglichst schnell abtritt.» Zu dem Schritt zwingen könne man einen Kanzler allerdings nicht, sagt der Politologe Stefan Marschall. «Und es spricht vieles dafür, dass er das im Januar erst machen wird, weil er die Zeit bis dahin nutzen möchte, noch als Kanzler einer Minderheitsregierung zumindest das zu tun, was möglich ist. Und er wird versuchen, weiter noch Impulse zu setzen, zu zeigen: 'Ich könnte auch Kanzler sein, weiterhin', mit einer rot grünen Regierung in diesem Fall. Er wird keine Zustimmung im Parlament finden, aber er wird trotzdem weiter aktiv sein können und wird das nutzen, diese Zeit, um sich auch noch mal in der Politik selbst noch mal beliebter zu machen, bei den Menschen beliebter zu machen und zu zeigen: 'Ich könnte Kanzler'. Von seiner SPD-Fraktion wurde der Kanzler am Mittwochabend für seine Entscheidung, FDP-Finanzminister Christian Lindner zu entlassen und Neuwahlen einzuleiten, mit stehenden Ovationen gefeiert. Dabei birgt der Schritt in Zeiten internationaler Unsicherheiten laut Marschall auch Risiken. «Ich denke, dass es wirklich auch problematisch ist, wenn ein wichtiges Land wie Deutschland in einer solch schwierigen Phase, die wir jetzt vor uns sehen, nicht mehr wirklich funktions- und handlungsfähig ist. Und das ist der Fall in einer solchen Situation, wenn eine Regierung quasi im Abgang ist und die neue noch nicht feststeht. Also, Deutschland wird eine Zeit lang gelähmt sein politisch, und das in einer Phase, in der ganz wichtige Antworten und Vorbereitungen für die Zeit der Regentschaft von Trump zu finden sind.» Auch beim Hauptstreitthema der Ampel droht eine Hängepartie. Dass der Haushalt für 2025 noch in diesem Jahr beschlossen wird, gilt als unwahrscheinlich. Der Nachtragshaushalt 2024 muss noch in diesem Jahr durchs Parlament. Ob die rot-grüne Minderheitsregierung dafür die nötigen Stimmen zusammenbekommt, ist unklar.

08.11.2024