Ampel-Koalition zerbrochenIst das nur der Anfang einer viel grösseren Krise?
Sven Ziegler
6.11.2024
Scholz kündigt Vertrauensfrage an und entlässt Finanzminister Lindner
Berlin, 06.11.2024: Dramatische Momente für die Ampel-Koalition: Bundeskanzlerkanzler Olaf Scholz entlässt Finanzminister Christian Lindner. Zudem will will er die Vertrauensfrage stellen. Der Bundestag solle darüber am 15. Januar abstimmen.
Lindner hatte zuvor vorgeschlagen, dass die Ampel-Parteien schnellstmöglich Neuwahlen für Anfang 2025 anstreben sollten, um «geordnet und in Würde» eine neue Regierung für Deutschland zu ermöglichen. Die Gespräche hätten gezeigt, dass keine ausreichende Gemeinsamkeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik herzustellen sei, zitieren Teilnehmer Lindner. Es sei im Interesse des Landes, schnell Stabilität und Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen.
Zuvor hatten sich die Spitzen von SPD, Grünen und FDP getroffen, um Lösungen für die Ampel-Krise zu erarbeiten. Zentrale Themen waren, das Milliardenloch im Haushalt 2025 zu stopfen und die angeschlagene deutsche Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.
06.11.2024
Die Ampel ist Geschichte, Deutschland steht vor Neuwahlen – doch wie geht es weiter? Dem Land droht eine grössere Krise, analysieren Experten in den ersten Augenblicken nach dem Bruch.
Sven Ziegler
06.11.2024, 23:03
Sven Ziegler
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die Ampel-Regierung ist zerbrochen.
Die FDP hat die Koalition verlassen.
Europa, so sind sich die Experten einig, dürften unruhige Zeiten bevorstehen.
Noch im Januar will sich Scholz der Vertrauensfrage im Parlament stellen und eine Entscheidung über eine vorgezogene Neuwahl ermöglichen. Der Bundestag solle darüber am 15. Januar abstimmen, sagte der SPD-Politiker in Berlin. Er fügte hinzu: «So können die Mitglieder des Bundestages entscheiden, ob sie den Weg für vorgezogene Neuwahlen frei machen.»
Die Wahl könnte dann «unter Einhaltung der Fristen, die das Grundgesetz vorsieht, spätestens bis Ende März stattfinden».
Die FDP kündigte an, die Ampelkoalition umgehend verlassen zu wollen. Damit ist die Regierung ihre Mehrheit im Bundestag los.
Was wird jetzt aus dem Bundeshaushalt?
Die grosse Frage ist nun, was aus dem Bundeshaushalt 2025 wird. Dafür gibt es keine Ampel-Mehrheit mehr. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Union von CDU und CSU als Mehrheitsbeschafferin fungieren wird.
Wird kein Haushalt beschlossen, würde ab Januar eine sogenannte vorläufige Haushaltsführung gelten. Dann sind vorerst nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen.
In der Praxis kann das Finanzministerium den Ministerien aber bewilligen, pro Monat einen Prozentsatz der Mittel des noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs zu nutzen.
Zusammenarbeit mit Merz kaum möglich
Scholz kündigte am Mittwochabend zudem an, auch mit Oppositionsführer Friedrich Merz sprechen und eine mögliche temporäre Zusammenarbeit ausloten zu wollen.
Doch dass sich die Union gesprächsfreudig zeigt, ist laut Experten nicht zu erwarten. Zu verlockend sind für Merz und die CDU/CSU die Aussichten auf Neuwahlen. Friedrich Merz, dem in den vergangenen Monaten dessen parteiinternen Rivalen Markus Söder (CSU) und Hendrik Wüst (CDU) den Weg für eine Kanzlerkandidatur ebneten, wird sich daher kaum auf eine Zusammenarbeit mit den mittlerweile unpopulären Ampelparteien einlassen wollen.
Ausserdem verärgerte Merz erst am vergangenen Wochenende die Ampelparteien, als er sich ausgerechnet zum Wirtschaftspapier Lindners äusserte, das nun für den Bruch sorgte. Anders als Scholz zeigte sich Merz als grosser Befürworter des Papiers und sagte, seine Ideen würden «sogar noch darüber hinaus gehen».
«Vielleicht schwierigster Moment in der Geschichte der Bundesrepublik»
Deutschlands Anspruch, eine Führungsrolle innerhalb Europas einnehmen zu wollen, schadet das Ampel-Aus indes massiv. Gerade nach dem Wahlsieg von Donald Trump und den zahlreichen Unsicherheiten fehlt Europa nun ein wichtiger Stützpfeiler.
Der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, schrieb schon am Mittwochmorgen auf der Plattform X vom «vielleicht schwierigsten Moment in der Geschichte der Bundesrepublik».
Vielleicht der schwierigste Moment in der Geschichte der Bundesrepublik, zur inneren Strukturkrise kommen nun massive außenwirtschaftliche und sicherheitspolitische Herausforderungen, auf die wir nicht vorbereitet sind (trotz der vielen Mahnungen). Wir müssen jetzt umschalten.1/n
«Zur inneren Strukturkrise kommen nun massive aussenwirtschaftliche und sicherheitspolitische Herausforderungen, auf die wir nicht vorbereitet sind.» Deutschland müsse kurzfristig massiv in europäische Verteidigungskapazitäten investieren und mit Frankreich und anderen willigen Partnern vorangehen.
Klar ist: Die Zukunft der deutschen Politik ist nach dem Bruch der Ampelkoalition am Mittwochabend völlig ungewiss. Deutschland und Europa, so sind sich die Experten einig, stehen unruhige Zeiten bevor.