«Wir sind im Paradies»West-Australien schottet sich vom Rest des Landes ab
Von Tristan Lavalette und Rod McGuirk, AP
12.9.2021 - 16:11
Um Covid-19 möglichst fernzuhalten, lassen die westaustralischen Bundesstaaten ihre Grenzen zum Rest des Landes geschlossen. Das Leben läuft weitgehend normal. Doch der Druck der Zentralregierung steigt.
Von Tristan Lavalette und Rod McGuirk, AP
12.09.2021, 16:11
13.09.2021, 08:45
dpa
Fast wirkt es, als sei die australische Westküste von Covid-19 komplett verschont geblieben. Das maskenfreie Nachtleben tobt, und Sportveranstaltungen ziehen riesige Menschenmassen an – zuletzt ein Rugby-Match in einem Stadion von Perth vor 53'000 Zuschauern. «Wir sind im Paradies», sagt eine der Besucherinnen, Andrea Williams.
Sie steht voll hinter den Regionalbehörden, die sich der Zentralregierung in Canberra widersetzen, indem sie strenge Beschränkungen an der Grenze aufrecht erhalten. So schotten sie die Gegend ab von der Corona-Pandemie, die in weiten Teil des übrigen Landes tobt.
Angesichts steigender Infektionszahlen gelten in Sydney und Melbourne im Osten harte Lockdowns. In der Hauptstadt des Staates Western Australia, Perth, dagegen blieben die Geschäfte weitgehend geöffnet – hinter geschlossenen Grenzen. Doch die Freude vieler Bewohnerinnen und Bewohner über ihr coronafreies Leben könnte bald zu Ende sein: Western Australia wie auch Queensland stehen zunehmend unter Druck, ihre Binnengrenzen wieder zu öffnen.
Denn die Zentralregierung und Industrieverbände sehen darin grosse Nachteile für die Volkswirtschaft – unter anderem einen Arbeitskräftemangel, Handelshemmnisse sowie erhöhte Baukosten. Und Einbussen für Unternehmen schlagen sich schliesslich auch in sinkenden Steuereinnahmen für die Regierung nieder. Doch eine Wiederöffnung könnte einen Anstieg der Covid-19-Fälle im Westen und unliebsame Einschränkungen nach sich ziehen. Denn Australien hat eine der niedrigsten Impfraten unter Industriestaaten.
Anstrebte Impfquote sehr deutlich verfehlt
Seit März 2020 hat das Land die Pandemie weitgehend in Schach halten können, unter anderem mit strengen Restriktionen an den internationalen Grenzen. Die Regierung will diese nun möglichst rasch beenden. Doch von ihrem Impfziel für eine Grenzöffnung ist sie weit entfernt: Von der Bevölkerung ab 16 Jahren sind statt der angestrebten 80 Prozent gerade einmal 40 Prozent voll immunisiert. Und seit der Festlegung der Marke im Juli ist die Zahl der Infektionen in die Höhe geschossen, was jede Debatte über eine Wiederöffnung überschattet.
Mitte Juni war ein ungeimpfter Limousinenfahrer positiv auf die Delta-Variante des Virus getestet worden. Er hatte sich beim Transport einer US-Frachtcrew vom Flughafen in Sydney infiziert. Seitdem wurden in den einwohnerstärksten Staaten New South Wales und Victoria, in denen die Hälfte der australischen Bevölkerung lebt, mehr als 30 000 Ansteckungen erfasst. Die Zahl der täglichen Infektionen erhöhte sich von einer Handvoll auf mehr als 1500, bei weiter steigender Tendenz.
Beim Rugby-Spiel im Stadion von Perth erinnerten fast nur Behälter mit Desinfektionsmittel an die Delta-Variante des Coronavirus, die in Teilen Ostaustraliens und einem Grossteil der Welt die Oberhand gewinnt. Zuschauerin Williams befürwortet die Grenzschliessungen, obwohl diese bedeuten, dass sie ihre Töchter nicht sehen kann, die in Sydney und im neuseeländischen Auckland leben. «Wir wollen natürlich, dass das vorübergeht, aber ich denke nicht, dass wir in absehbarer Zeit öffnen sollten», sagt sie.
Konflikte zwischen Regional- und Zentralregierung
Der Regierungschef von Western Australia, Mark McGowan, kündigte bereits an, dass sein Staat vermutlich erst Monate nach dem übrigen Land seine Grenzen öffnen werde. Mit Blick auf die Zentralregierung sagte er: «Warum verfolgen sie diese Mission, Covid nach Western Australia zu bringen, um unsere Bevölkerung zu infizieren? Bewusst das Virus hereinzulassen, würde bedeuten, dass Hunderte Menschen sterben, dass wir unsere örtlichen Freiheiten beschränken, Restriktionen einführen und weite Teile unserer Wirtschaft schliessen müssten.»
Die Zentralregierung reagierte frustriert. Sie verwies darauf, dass sie einen Grossteil der finanziellen Last trage, indem sie vom Konkurs bedrohte Unternehmen etwa aus der Tourismusindustrie unterstütze. «Jedes andere Land auf der Welt lernt, mit Covid zu leben, und in Queensland und Western Australia wird offenbar die Realität geleugnet, dass wir das tun müssen», sagte Finanzminister Josh Frydenberg. Von einer Androhung, die Grenzkontrollen in Western Australia und anderen Staaten per Gesetz aufzuheben, hat die Regierung bislang aber abgesehen.
Im Westen sind indes viele mit dem Status quo zufrieden. Der Gastronom Sergio Guazzelli aus der Hafenstadt Fremantle an der Westküste hat sein Café nur für insgesamt zwölf Tage schliessen müssen. Melbourne zum Vergleich war mehr als 220 Tage im Lockdown. Sein Geschäft laufe super, erzählt Guazzelli. «Die Leute hier gehen wegen der Entwicklung in Sydney und Melbourne mehr aus. Sie wollen das Leben geniessen, weil wir nicht wissen, was kommt.»
Regierungschef fährt Rekord-Umfragewerte ein
Regierungschef McGowan hat seine Corona-Politik Rekord-Umfragewerte und einen Promi-Status beschert, wie er in der australischen Politik selten vorkommt. Manche Anhänger haben sich sogar ein Bild McGowans tätowieren lassen. Vor allem bei jungen Leuten ist er beliebt.
Die Sorglosigkeit über das Virus spiegelt sich in Western Australia auch in der Impfrate wider: Sie ist mit 36,3 Prozent die niedrigste landesweit, gefolgt von Queensland mit 35,4 Prozent.
Die Schliessung der Staatsgrenzen fänden auch viele seiner Patienten richtig, sagt der Mediziner Omar Khorshid aus Perth, der auch Präsident der Australischen Ärztekammer ist. Ihnen sollte aber bewusst sein, dass die Delta-Variante nicht ausgesperrt werden könne, mahnt er: «Sie kommt nach Western Australia, wie sie in den Rest des Landes kommt, und darauf müssen wir uns vorbereiten.»