Impfkampagne gerät ins Stocken USA buhlen um Skeptiker und Zögerer

Von Jürgen Bätz, dpa

30.5.2021 - 18:30

High-School-Neuling Jeff Eseroma, 14, wird in einer schulbasierten Corona-Impfklinik für Schüler ab 12 Jahren in San Pedro, Kalifornien, geimpft. Die Schulen setzen auf Maskottchen, Preise und Wettbewerbe, um Jugendliche ab 12 Jahren dazu zu bewegen, sich vor den Sommerferien gegen das Coronavirus impfen zu lassen.
High-School-Neuling Jeff Eseroma, 14, wird in einer schulbasierten Corona-Impfklinik für Schüler ab 12 Jahren in San Pedro, Kalifornien, geimpft. Die Schulen setzen auf Maskottchen, Preise und Wettbewerbe, um Jugendliche ab 12 Jahren dazu zu bewegen, sich vor den Sommerferien gegen das Coronavirus impfen zu lassen.
Damian Dovarganes/AP/dpa

Die Impfkampagne in den USA verliert an Schwung. Und das obwohl es Impfstoff in Hülle und Fülle gibt. Immer weniger Menschen wollen sich spritzen lassen. Das gefährdet die Eindämmung der Pandemie.

Millionengewinne, Freiflüge und Stipendien, kostenlose Taxifahrten sowie reichlich Freigetränke: In den USA überbieten sich Bundesstaaten und Kommunen mit immer neuen Anreizen, um die Bürger zur Corona-Impfung zu bewegen. Die USA sind im globalen Vergleich das Impf-Schlaraffenland: Hier redet niemand mehr über mangelnden Nachschub, hier geht es inzwischen nur noch darum, die Spritzen unters Volk zu bringen. Doch das ist Experten zufolge ein Problem: Es gibt zu viele Unentschlossene, Skeptiker und Impfgegner.

Sollte es nicht gelingen, einen Grossteil von ihnen zu überzeugen, dürfte eine effektive Eindämmung der Pandemie in den USA scheitern. Dann drohen mehr Infektionen, Erkrankungen und Todesfälle. Auch würde die ersehnte Rückkehr zu einer gewissen Normalität – und die damit verbundene Erholung der weltgrössten Volkswirtschaft – gefährdet.

Die Warnung Bidens

In vielen Landesteilen sind grosse Impfzentren inzwischen schon wieder geschlossen worden, weil es nicht mehr genug Nachfrage gibt. Dabei wird das Impfen den Amerikanern möglichst leicht gemacht: Seit Wochen gibt es keine Priorisierung für bestimmte Bevölkerungsgruppen mehr, zudem bieten inzwischen Tausende Apotheken und Kommunen Impfungen ohne Terminvereinbarung an. US-Präsident Joe Biden und seine Corona-Experten fordern die Bürger nun fast täglich auf, sich die Anti-Corona-Spritze zu holen. «Jetzt ist die Zeit, sich impfen zu lassen», sagte Biden unlängst. «Es wäre eine Tragödie – und eine vermeidbare – falls die Covid-Fälle unter den Ungeimpften wieder ansteigen, zumal die Impfungen kostenlos und praktisch sind», mahnte Biden. «Der Kampf gegen das Virus ist nicht vorbei.»



Impfkampagne gerät ins Stocken

Die Hälfte der rund 260 Millionen Erwachsenen in den USA ist bereits vollständig geimpft. Doch nun geht der Impfkampagne der Schwung aus: An ihrem Höhepunkt wurden täglich mehr als drei Millionen Menschen geimpft, jetzt sind es im Schnitt nur noch 1,75 Millionen, Tendenz fallend. Derzeit sind alle Bürger ab zwölf Jahren impfberechtigt, also knapp 280 Millionen Menschen. Doch bisher haben erst 166 Millionen die erste Impfung erhalten. Rund 114 Millionen Impfberechtigte haben also noch nicht mal die erste Spritze bekommen. Experten befürchten daher, dass es in den USA nicht gelingen dürfte, die sogenannte Herdenimmunität zu erreichen. Das ist grob gesagt der Punkt, an dem so viele Menschen durch eine vorige Infektion oder die Impfung immun sind, dass sich das Virus nur noch schwer im Land verbreiten kann.

In den USA werden von Bundesstaaten, Kommunen und Unternehmen zahlreiche Anreize geboten, um möglichst viele Menschen zur Corona-Impfung zu bewegen.
In den USA werden von Bundesstaaten, Kommunen und Unternehmen zahlreiche Anreize geboten, um möglichst viele Menschen zur Corona-Impfung zu bewegen.
Mary Altaffer/AP/dpa

Zu wenig Spritzen auf dem Land

Bei den Impfungen gibt es ein deutliches Stadt-Land-Gefälle. In urbanen Zentren wie zum Beispiel der Hauptstadt Washington haben bereits fast 70 Prozent der Bewohner mindestens die erste Impfung erhalten. In ländlich geprägten Staaten im Süden wie Mississippi hingegen liegt die Quote gerade mal bei rund 44 Prozent. Als Gründe der zäheren Impfkampagne auf dem Land führen Experte mehrere Faktoren an: In dünn besiedelten Gebieten kann sich Corona weniger bedrohlich anfühlen, zudem gehören viele Landbewohner eher zu den skeptischeren Bevölkerungsgruppen, sei es aus religiösen oder politischen Gründen.

Ängste und Falschinformationen

In allen Bevölkerungsgruppen gibt es Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, weil sie Nebenwirkungen fürchten. Das gilt besonders für Angehörige von Minderheiten, die oft schlechter bezahlte Jobs haben, die es nicht ermöglichen, sich bei Lohnfortzahlung krank zu melden. Zudem lassen sich viele Menschen durch Falschinformationen zur Sicherheit oder angeblichen Nebenwirkungen der Impfungen wie Verlust der Fruchtbarkeit und Impotenz abschrecken.

Viele Amerikaner unter 30 sind nach Umfragen mit Blick auf die Impfung noch unentschlossen. Für die Altersgruppe ist eine Erkrankung im Schnitt weniger gefährlich, viele warten daher ab. Die Unentschlossenen machen Experten etwas weniger Sorgen, denn sie können wohl – früher oder später – mit den richtigen Anreizen überzeugt werden. Schwieriger ist es, Impfskeptiker umzustimmen. Dazu gehören laut Experten viele evangelikale Christen, Republikaner und Angehörige von Minderheiten, insbesondere Schwarze und Latinos.

Rupublikaner und Evangelikale

Umfragen zufolge gibt es bei Republikanern, vor allem bei Männern auf dem Land, ein grosses Misstrauen gegenüber der Regierung. Sie wollen sich nichts aus Washington vorschreiben lassen, auch keine Impfung. Hinzu kommt die politische Dimension: Ex-Präsident Donald Trump spielte die Bedrohung durch das Virus stets herunter, und nun ist es ausgerechnet die Regierung des Demokraten Joe Biden, die für die Impfungen wirbt. Bei den Millionen evangelikalen Christen ist die Skepsis ebenfalls verbreitet. Nach einer Pew-Umfrage wollen sich 45 Prozent der weissen Protestanten nicht impfen lassen. Das liegt, so die Experten, auch an einem Misstrauen gegenüber der Wissenschaft.

Geringe Impfquote unter Schwarzen und Latinos

Sorgen bereitet Experten die relativ niedrige Impfquote von Schwarzen und Latinos. Die beiden Minderheiten, die zusammen fast ein Drittel der US-Bevölkerung ausmachen, waren unter den am schwersten von Corona-Erkrankungen und Todesfällen betroffenen Gruppen. Aber sie hinken bei den Impfungen relativ zum Bevölkerungsanteil hinterher.

Viele Schwarze misstrauen Regierung und Gesundheitssystem, weil sie von beiden historisch betrachtet schlechter behandelt wurden als Weisse. Das übelste Beispiel dafür war die sogenannte Tuskegee-Studie, bei der schwarze und an Syphilis erkrankte Männer teils bis in die 1970er Jahr de facto als Versuchsobjekte missbraucht und nicht adäquat behandelt wurden. Schwarze sind in den USA seit gut fünf Jahrzehnten rechtlich gleichgestellt, doch die Ungleichbehandlung Schwarzer im Gesundheitswesen ist bis heute weiter ein Problem. Bei Latinos wiederum kann die Sprachbarriere, ihr Einwanderungsstatus oder die Angst vor Verdienstausfällen eine Rolle spielen.

Impfpflicht und Anreize

Universitäten und Krankenhäuser beginnen damit, eine Corona-Impfung zur Pflicht zu machen. Aber eine allgemeine Impfpflicht ist in den USA politisch undenkbar, weil es ein zu grosser staatlicher Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung wäre. Doch zunehmend einig sind sich alle Parteien darin, die Impfquote mit Anreizen nach oben zu treiben. Im Bundesstaat Ohio können fünf Geimpfte je eine Million US-Dollar (rund 900'000 Franken) gewinnen, in Kalifornien wurden unter anderem zehn Preise zu je 1,5 Millionen Dollar ausgelobt, in New York gibt es sogar die Chance auf fünf Millionen Dollar. Zudem werden die Impf-Zögerer unter anderem mit grosszügigen Stipendien, kostenlosen Wertpapieren und sogar Luxus-Kreuzfahrten gelockt.

Von Jürgen Bätz, dpa