2003 im UN-Sicherheitsrat Wie sich Colin Powell nach seiner Rede fühlte? «Schrecklich!»

Philipp Dahm

5.2.2023

Philipp Dahm

«Ich kann Ihnen nicht alles sagen, was wir wissen», erklärt Colin Powell dem UN-Sicherheitsrat am 5. Februar 2003, «aber was ich mit Ihnen teilen kann, ist zusammen mit dem, was alle von uns in den Jahren gelernt haben, tief verstörend. Tatsächlich zeigen die Fakten und Iraks Verhalten, dass Saddam Hussein und sein Regime ihre Bemühungen verheimlichen, noch mehr Massenvernichtungswaffen herzustellen.»

Zu jenem Zeitpunkt steht in Washington bereits fest, dass es Krieg mit dem Irak geben wird. Powells Rede hat das Büro von Vizepräsident Dick Cheney geschrieben, der als Falke in der Regierung von George W. Bush gilt. Am 20. März wird die Invasion beginnen, die Saddam Hussein zwar das Leben kostet, aber auch einen Kireg entfacht, der bis Dezember 2011 anhält.

US-Aussenminister Powell redet vor 20 Jahren gut 75 Minuten zum UN-Sicherheitsrat und zeigt eine Powerpoint-Präsentation. Der Ex-General beteuert mit Blick auf irakische Massenvernichtungswaffen vor den Augen der Welt: «Das sind keine Behauptungen. Was wir Ihnen geben, sind Tatsachen, sind Fakten und Schlüsse basierend auf solider Aufklärung.»

One of the slides that Secretary of State Colin Powell displayed during his presentation of evidences for the iraqi weapon program to the Security Council at the United Nations in New York on February 5, 2003, is seen in this photo. (KEYSTONE/AP Photo/Department of State) === HANDOUT ===
One of the slides that Secretary of State Colin Powell displayed during his presentation of evidences for the iraqi weapon program to the Security Council at the United Nations in New York on February 5, 2003, is seen in this photo. (KEYSTONE/AP Photo/Department of State) === HANDOUT ===
KEYSTONE

Saddam Hussein hat keine Massenvernichtungswaffen. Der Hauptzeuge, den Powell präsentiert – Abu Musab az-Zarqawi – soll das Bindeglied zwischen dem irakischen Diktator und Al-Kaida sein. Doch als der Extremist einmalig in Afghanistan war, um sich Osama bin Laden anzuschliessen, wurde er als zu schwach befunden. Die Rede wertet Extremist az-Zarqawi auf, was sich noch rächen wird.

«Sie übernehmen die Verantwortung»

Powell warnt George W. Bush vor einem Irak-Krieg. «Mister President, sie müssen verstehen, dass, wenn sie diese [Husseins] Regierung absetzen, sie die Verantwortung für die neue Regierung übernehmen», erinnert er sich 2018 im «Bloomberg»-Interview. «Sie übernehmen die Verantwortung für 27 Millionen Iraker, die auf uns schauen werden.»

Colin Powell und der damalige US-Präsident George W. Bush im Juli 2003 in Nigeria.
Colin Powell und der damalige US-Präsident George W. Bush im Juli 2003 in Nigeria.
KEYSTONE

Powell plädiert dafür, die UNO an Bord zu holen, deren Regularien verletzt worden seien. Bush stimmt zu, das US-Anliegen öffentlich vorzutragen. Der Ex-Militär fragt den Präsidenten, ob er auf einen Angriff verzichtete, wenn es keine Beweise für ABC-Waffen geben würde. Widerwillig willigt der ein – und Powell erklärt die bereit, die Rede vor dem UN-Sicherheitsrat zu halten.

Drei Tage bereitet er sich mit den Geheimdiensten vor, die die Rede absegnen. «Ich war zuversichtlich, dass es gut gelaufen ist, aber nach einigen Tagen oder ein paar Wochen begann alles, auseinanderzufallen», so Powell in der Rückschau. Er räumt ein: Es war mir mehr als peinlich. Ich habe mich geschämt.»

«Wir haben doch nicht vier unabhängige Quellen»

Es hätten zwar auch andere mit den Falschinformationen gearbeitet, aber er sei derjenige gewesen, der sie der Welt präsentiert habe: «Es ist alles auf mich zurückgefallen.» Auf die Frage, ob die Invasion ein Fehler gewesen sei, antwortet Powell: «Ich würde sagen, die Ausführung der Invasion wurde nicht ordentlich durchgeführt.»

2011 ist Powell noch anschaulicher: «Wie wir später feststellten, kam heraus, dass viele der Quellen, auf die sich die Geheimdienste berufen haben, falsch waren», sagt er «Al Dschasira». «Überlegen sie sich, wie ich mich gefühlt habe, als sie endlich vor mir standen: ‹Nun, wir haben doch nicht vier voneinander unabhängige Quellen. Es ist nur ein Typ. Er ist schräg, sitzt in einem deutschen Gefängnis, und wir haben nie mit ihm gesprochen.› Ich fühlte mich schrecklich!»

Er bereue die Falschinformationen zutiefst, die er verbreitet habe, sagt Colin Powell. Er habe das gesagt, was sein bestes Wissen gewesen sei – basierend auf dem, was ihm die Geheimdienste gesteckt hätten.

Ob er innerlich nicht gewusst hat, dass er im UN-Sicherheitsrat lügt, wird sich nie klären. Colin Powell ist am 18. Oktober 2022 im Walter Reed National Military Medical Center in Bethesda, Maryland, seinem Krebs erlegen. Die Rede wird die Narbe in einem sonst makellosen Lebenslauf des Militärs und Diplomaten sein, der 1937 in Harlem, New York, zur Welt kam.