«Es hat mein Leben ruiniert» Hauptzeuge im Fall Maddie spricht erstmals öffentlich

aru

29.6.2023

Madeleine McCann (Maddie) verschwand am 3. Mai 2007 kurz vor ihrem vierten Geburtstag spurlos aus einer portugiesischen Ferienanlage.
Madeleine McCann (Maddie) verschwand am 3. Mai 2007 kurz vor ihrem vierten Geburtstag spurlos aus einer portugiesischen Ferienanlage.
Luis Forra/LUSA/epa/dpa

Helge B. ist der einzige Zeuge im Fall Maddie McCann. In einem exklusiven Interview gibt er nun Einblicke in seine Beziehung mit dem verdächtigen Christian B.

aru

29.6.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Exklusiv spricht der einzige Zeuge im Fall Maddie McCann mit der «Bild»-Zeitung.
  • Er beschreibt, wie er den mutmasslichen Mörder getroffen hat und wie dieser ihm die Tat im Affekt gestanden hat.
  • Zum Verhängnis wurde dem mutmasslichen Mörder Christian B., dass er Videos davon gemacht hat, wie er eine alte Dame auspeitscht und vergewaltigt haben soll.

An einem geheimen Ort in Südeuropa traf die «Bild» den einzigen Zeugen im Fall Maddie zum Gespräch. «Ich habe nicht damit gerechnet, welche Dimensionen das alles annimmt», sagt Helge B. der Zeitung. «Es hat mein Leben ruiniert.»

Wie traf er Christian B.?

Der tatverdächtige Christian B. hatte Bekannten von B. bei einer Panne geholfen, was dieser sympathisch fand. «Ich hatte gehört, dass er in Hotels einsteigt, ein guter Kletterer ist, über die Balkone reingeht. Wir haben uns dann öfter gesehen. Ich hatte nie das Gefühl, dass mit dem was nicht stimmt. Als ich dahinterkam, was der wirklich macht, hat es mir die Sprache verschlagen», sagt er.

Helge B. im Gespräch mit «Bild»: «Er sagte: Sie hat ja nicht geschrien.»
Helge B. im Gespräch mit «Bild»: «Er sagte: Sie hat ja nicht geschrien.»
Screenshot Bild

Wie kam es zum Diebstahl der Videokassetten?

Seinen Verdacht, dass Christian. B etwas mit Maddies Entführung zu tun habe, sei durch belastende Videoaufnahmen entstanden. Helge B. hatte vernommen, dass Christian B. im Gefängnis ist. B. wusste, dass Christian B. noch 1000 Liter Diesel an seinem Wohnort lagert, von denen er einige Liter wollte. Die Haustür sei offen gestanden, da habe er mit seinem Kumpel das Haus betreten. Beim Durchsuchen der Wohnung seien die beiden auf eine Videokamera, Filme und eine Pistole gestossen.

Bei sich zu Hause habe er dann die Videos angeschaut. Auf einem sei zu sehen gewesen, wie eine alte Frau mit verbundenen Augen ausgepeitscht wurde. Sie schrie: «You fucking bastard.» Erst habe B. gedacht, dass es sich um einen Spielfilm handle. Am Ende des Films habe sich Christian B. aber aufs Bett gesetzt und B. habe ihn erkannt.

«Auf einer anderen Kassette war das Video mit der alten Dame aus anderer Position, und noch ein Film mit einem jüngeren Mädchen, 13, 14 Jahre alt. Sie war nackt an einen Balken gefesselt. Christian B. sass dahinter auf dem Sofa und hat sich über sie lustig gemacht», sagt der Zeuge der Zeitung weiter.

Als B. Portugal verlassen habe, habe er die Kamera verkauft und die Pistole in einen See geworfen. Die Videos habe er in seinem Wohnwagen gelassen, wo die geblieben sind, sei unklar.

Was musst du über den Fall Maddie wissen?

Am Abend des 4.5.2007 verschwand Maddie McCann aus der Wohnanlage Ocean Club im Süden Portugals. Die Eltern sitzen derweil in einer Tapas-Bar. Gegen 22 Uhr wollte die Mutter nach dem Rechten sehen und fand ein leeres Zimmer mit offenem Fenster auf. Die Suche nach dem Kind hielt die ganze Welt in Atem.

Wie kam es zum Geständnis?

Das nächste Mal habe Helge B. Christian B. auf dem Dragon Festival im Jahr 2008 in Orgivia gesehen. Dieser habe nicht gewusst, dass B. ihn zuvor beklaut habe, da die Wohnung aufgelöst worden sei.

Christian B. gilt als Tatverdächtiger im Fall Maddie McCann.
Christian B. gilt als Tatverdächtiger im Fall Maddie McCann.
Polizei Milano

«Wir sind auf Maddie gekommen und ich habe gesagt: Ich verstehe sowieso nicht, wie die Kleine so spurlos verschwinden konnte.»

Christian B. habe zwei, drei Bier getrunken und gesagt: «Sie hat ja nicht geschrien.»

Weil B. zuvor das Video gesehen hat, habe er sofort gedacht, dass Christian B. etwas mit dem Mord zu tun hat. Die anderen hätten dies erst gar nicht begriffen.

«Er hat aber auch gecheckt, dass ich das verstanden habe, und ist darauf nachts abgehauen. Um drei, vier Uhr morgens ist der von einem voll besuchten Festival abgehauen, mit seinem Wohnmobil.»

Wann meldete Helge B. das Geständnis?

Bereits 2008 habe er bei Scotland Yard angerufen und unter der Maddie-Hotline gesagt, dass er jemanden kenne, der wohl etwas damit zu tun habe. Man habe seine Personalien aufgenommen und die Telefonnummer, aber er wurde nie zurückgerufen. Helge B. dachte sich: «Na ja, die werden sich schon kümmern.»

2017 sei er dann aus einer Haftstrafe in Griechenland entlassen worden und habe vom zehnten Jahrestag vom Verschwinden Maddies gehört. Da habe er nochmals bei Scotland Yard angerufen: «Da hat man mir dann mal zugehört.»

Anschliessend habe Helge B. zwei Beamte in Athen getroffen und sei danach nach London geflogen worden, wo er seine offizielle Aussage machte. B. betont, dass er die Reise aus eigener Tasche bezahlt habe. 

Wie war das Wiedersehen vor Gericht?

Das Bundeskriminalamt meldete sich 2018, weil man Helge B. als Zeugen im Fall der Vergewaltigung der älteren Dame benötige. 2019 sassen sie sich schliesslich vor Gericht gegenüber: «Mich hat diese ganze Situation ganz schön mitgenommen. Als ich ihn sah, dachte ich: Der ist ein Schwein. Der sitzt hier nicht ohne Grund.»

Seither sei das Leben von Helge B. nicht mehr wie zuvor. Damals war er auf Korsika und hatte Arbeit, doch dort seien Reporter aufgetaucht und hätten ihn befragt. Er habe seinen Job verloren, weil er von seiner Vergangenheit heimgesucht wurde. Er sehne sich nach seinem alten Leben zurück.

Wie lautet seine Theorie zu Maddies Verschwinden?

«Natürlich gilt Christian als unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist. Meine Theorie ist, dass er einen Einbruch vorhatte. Dass der schiefgegangen ist und er die Kinder im Apartment gefunden hat. Und dass er Maddie dann mitgenommen hat. Das war wahrscheinlich gar nicht geplant.» Ob er sie aber am Ende auch umgebracht hat, wisse Helge B. nicht.

Warum gibt er nun sein erstes grosses Interview?

Es würden zu viele Lügen über ihn verbreitet und es müsse nun alles mal ein Ende haben. «Warum sollte ich so etwas erfinden? Das kann man sich doch nicht ausdenken! Dann wäre ich ein noch besserer Lügner als Münchhausen! Ich habe auch von Anfang an gesagt: Die Belohnung möchte ich nicht haben. Sollen sie das Geld doch spenden.»

Zuletzt richtet er noch einen Appell an Christian B.: «Christian, ich hoffe, dass du nicht mit dieser Geschichte davonkommst. Mit dem, was du getan hast. Du leugnest, dass es diese Videos gibt. Diese Videos gab es. Leider sind sie verschollen. Aber ich habe sie gesehen.»