Late Night USABiker-Kolonne? «Wenn vorn einer niest, sind hinten alle am Arsch»
Von Philipp Dahm
11.8.2020
Arbeitslosenhilfe, Mieterschutz und Lohnentlastung: Macht die Krise aus Donald Trump einen Sozialisten? Und können sich 250'000 Biker in den USA ohne Nebenwirkungen treffen? Das Late-Night-TV zweifelt.
Auf ein Wort, liebe Leserschaft: Möchten Sie nicht gleich wieder wegklicken, wenn die Rede von Durchführungsverordnungen, Arbeitslosenhilfen und Sozialversicherungsabgaben ist?
Tönt zugegebenermassen dröge. Doch wird es nicht nur drollig, sondern wirkt auch zunehmend dreist, wenn man die amerikanischen Late-Night-Hosts erklären lässt, was es mit den vier Executive Orders auf sich hat, die Donald Trump am Samstag unterschrieben hat.
«The Late Show with Stephen Colbert»
«Nicht nur mein Filmset hat sich seit unserer letzten Show verändert», meldet sich der Gastgeber der «Late Show with Stephen Colbert» aus den Sommerferien zurück. «Die Vereinigten Staaten von Amerika hatten vier Millionen Coronafälle, und jetzt, zwei Wochen später, haben [wir] fünf Millionen überstiegen.»
Tatsächlich hat Colberts Sender CBS in der Sommerpause das Büro des Moderators aufgemotzt. Als Produzentin und lebendes Feedback für die Witze fungiert nach wie vor Ehefrau Evelyn McGee-Colbert. Obwohl dieses Setting also sehr familiär ist, wähnt der Moderator einen Haufen harter Kerle unter seinen Zuschauern, die ihm derzeit wohl aus Sturgis zusähen.
In der Stadt in South Dakota haben sich 250'000 Töfffahrer aus dem ganzen Land eingefunden, um zehn Tage miteinander zu feiern. Dass Masken wie auch Abstände rar sind, verstehe sich von selbst, so Colbert. Das erkläre auch Shirts wie «Scheiss auf Covid – ich war in Sturgis», die man offenbar kaufen kann.
Ähnlich unbekümmert in Sachen Coronavorsorge waren auch jene Zaungäste, die zugegen waren, als Trump am Samstag die Exekutive Order unterschrieben hat:
Worum geht es dabei? Die wöchentliche Arbeitslosenhilfe bleibt bestehen, wird aber von 600 auf 400 Dollar gesenkt. Ein Moratorium gegen Zwangsräumungen wird verlängert. Arbeitnehmern werden bis Ende des Jahres die Sozialversicherungsabgaben gestundet und Rückzahlungen von Studentenkrediten werden aufgeschoben. Das sieht nach einem kraftvollen Massnahmenpaket aus – mit Blick sowohl auf die aktuelle Krise wie auch den kommenden Wahltermin. Doch bei genauerem Hinsehen offenbaren sich unschöne Details.
Damit Washington drei Viertel der Kosten der Arbeitslosenhilfe übernimmt, müssen die einzelnen Bundesstaaten das fehlende Viertel nicht nur erbringen, sondern vorschiessen: Für finanzschwache Staaten bedeutet das eine beträchtliche Bürde. Und die Sozialversicherungsabgaben müssen 2021 nachgezahlt werden. Doch bei Minute 6.56 werden wir Zeuge eines kleinen Bestechungsversuchs: «Wenn ich am 3. November siegreich bin, werde ich diese Steuern erlassen und permanente Einschnitte bei den Sozialversicherungsabgaben machen.»
Man muss kein Wissenschaftler sein, um die Folge abzusehen: ein Zusammenbruch des Sozial- und Gesundheitssystems. «Keine Sorge, ihr alten Leute», imitiert Colbert Trump. «Ich habe das Gefühl, ihr braucht keine soziale Sicherheit. Kommt zu meinen Wahlkampfveranstaltungen – und lasst die Masken zu Hause.»
«The Daily Show with Trevor Noah»
«The Daily Show with Trevor Noah» beginnt ebenfalls mit dem Coronanegativrekord von fünf Millionen Fällen und ergänzt, dass sich im Juli in den ersten beiden Wochen nach Öffnung der Schulen auch noch 97'000 Schüler mit Sars-CoV-2 infiziert haben sollen.
Und auch der Südafrikaner wundert sich, dass unter diesen Umständen 250'000 nach Strugis zur grossen Töffsause geknattert sind: «Grosse Gruppen stehen zusammengedrängt in Konzerten und Bars», kommentiert ein Nachrichtensprecher die Bilder, die nach 40 Sekunden gezeigt werden.
«Natürlich kümmern sich Töfffahrer nicht um die Coronasicherheit», scherzt der Gastgeber, «das sind die Leute, die schon ‹Fuck you› zu Airbag und Anschnallgurt gesagt haben.» Einerseits könnten sich die Biker natürlich darauf berufen, dass sie an der frischen Luft fahren, andererseits führen sie gerne in Kolonne: «Wenn da vorne einer niest, sind hinten alle am Arsch.»
Dann kommt Noah auf die ökonomischen Folgen der Krise zu sprechen: Er erklärt, dass die Demokraten an 600 Dollar pro Wochen Arbeitslosenhilfe festhalten wollten, während die Republikaner 200 Dollar für angemessen hielten. «Zum Glück für Amerika gibt es einen exzellenten Unterhändler, der im Weissen Haus lebt. Aber weil sie im Rosengarten zu tun hatte, sprang ihr Ehemann ein.»
Und schon sind wir bei den Executive Orders, der Allianz gegen Zwangsräumung, die keine ist, und der Arbeitslosenhilfe, die plötzlich nicht mehr vom Kongress ausgehandelt, sondern von Trump angeordnet wird: Dass der Abgeordnete Ben Sasse das als «verfassungswidrigen Müll» bezeichnet, ist etwa nicht erwähnenswert, weil der Politiker den Staat Nebraska vertritt, sondern weil er Republikaner ist.
Schöner Gag von Noah: «Verfassungswidriger Müll – ich dachte, so nennt man die Menüs auf Spirit-Airlines-Flügen.» Nahaufnahme auf den Moderator: «Spirit Airlines – der wahre Witz ist: Bei uns gibt’s gar keine Menüs.»
Doch es sei egal, ob diese Anordnungen nicht rechtens seien: Trump wolle vor allem den Eindruck erwecken, dass er handle. Seine Wahlgeschenke seien wie jene Gutscheine, die gross ein Gratismenü versprächen, um dann in Kleingedruckten (frei übersetzt) darauf hinzuweisen: «Angebot nur gültig in Appenzell-Innerrhoden zwischen zwei und vier Uhr morgens, und wenn Ursin arbeitet, musst du deine Pommes mit ihm teilen».
Noah schliesst den Monolog mit der Geschichte von Trump und Mount Rushmore: Der 74-Jährige bewies Selbstvertrauen, als sich selbst bescheinigte, einen Platz auf dem US-Präsidenten-Monument zu verdienen.
«Late Night with Seth Meyers»
Auch Seth Meyers ist zurück aus der Sommerpause – mit einem 15-minütigen «Closer Look». Wir fassen fix zusammen: Den Auftakt machen Meyers sonderbare, animierte Sidekicks, der Seekapitän und die depressive New Yorker Park-Ente.
Das Drehen der «Late Show» im Haus der Schwiegereltern hat bei dem früheren Chefautor der legendären «Saturday Night Live»-Show die meisten Spuren hinterlassen – und der 46-Jährige kostet seine Rolle als Lockdown-Irrer auch gerne aus. Das paart sich in dem langen Monolog manchmal hervorragend mit oft intelligenter, aber immer bissiger Stakkato-Kritik des Gastgebers.
Und Meyers weist zusätzlich auf einen Komplex hin, der das Bild von «Executive Trump» erst abrundet: Es geht um den Ort der Unterzeichnung, die von Colbert schon ganz kurz erwähnten Gäste, die dabei waren, und die Pressekonferenz dazu.
Den Auftakt macht Meyers mit dem Umstand, dass Trump sich immer wieder Erfolge auf die Fahnen schreibe, die sein Vorgänger errungen habe. Beispiele seien Gesetze über die Versorgung von Veteranen oder Verbesserungen im Gesundheitswesen. Ab Minute 7.05 werden Bilder aus der Pressekonferenz vom Samstag gezeigt, bei der der Präsident im Trump National Golf Club in Bedminster, New Jersey, darauf angesprochen wird.
Trump widerspricht der Reporterin, die nachfragen will. «Nein, Sie sind fertig», watscht Trump sie ab. Im Saal ist vernehmbares Gelächter zu hören, dann wird geklatscht, gejohlt. Die Reporterin bleibt hartnäckig. «Das Veteranengesetz wurde 2014 verabschiedet, das ist eine falsche Aussage, Sir.» Trumps Reaktion? «Olay! Danke Ihnen allen. Ihnen allen vielen Dank!»
Der Präsident tritt sichtlich beleidigt ab. Meyers: «Und wie sehr er ein Mann des Volkes ist, sieht man daran, dass die Pressekonferenz in seinem privaten Golfclub stattfindet, bei dem die Mitgliedschaft 350'000 Dollar pro Jahr kostet. Trump sucht so verzweifelt nach Zustimmung, dass er jetzt seine eigene Jubel-Abteilung zu den Pressekonferenzen mitbringt.»
Im Folgenden geht es um Gesundheitsgesetze, die Obama eingeführt hat, die die Republikaner noch in diesem Jahr vor Gericht angefochten haben – und deren Verteidigung Trump nun vorgebe. Genau genommen sei der Erhalt des Arbeitslosengeldes eine Kürzung, weil es nur noch 400 statt 600 Dollar gebe.
Wirklich erstaunlich ist aber der Clip, der ab Minute 11.04 gezeigt wird: Da versucht Trumps Wirtschaftsberater Larry Kudlow auf CNN am Sonntag, die Arbeitslosenhilfe zu erklären – doch er scheitert brutal dabei. Ähnlich unbedarft schifft Kudlow noch am selben Tag im ABC-Interview ab, als er sich ab Minute 12.53 ahnungslos über den Inhalt des Moratoriums über Zwangsräumungen zeigt.
Late Night USA – Amerika verstehen
50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.