Harris auf Erfolgskurs Bidens Vizin und Kandidatin des Wandels – wie schafft sie das?

AP

27.8.2024 - 21:34

Die Richtung stimmt: Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris.
Die Richtung stimmt: Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris.
Keystone/EPA/Justin Lane

Sie verkörpert als Vizepräsidentin Bidens Politik. Zugleich verspricht sie im Rennen ums Weisse Haus einen neuen Weg nach vorn, präsentiert sich als frisches Gesicht. Das klingt nach einem Widerspruch, oder?

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Kamala Harris gibt sich um US-Präsidentschaftswahlkampf als Kandidatin des Wandels. Zugleich muss sie als Bidens Vizepräsidentin Regierunspolitik vertreten.
  • Bisher hat sie es geschafft, diese scheinbar widersprüchlichen Botschaften in Einklang zu bringen.
  • Der Spagat gelingt Harris, indem sie Erfolge Bidens auch für sich in Anspruch nimmt und sich zugleich als eine neue Führungsperson präsentiert, die Front gegen «die Politik der Vergangenheit» macht.

Sie ist die derzeitige US-Vizepräsidentin, bereits dreieinhalb Jahre im Amt. Aber seit fünf Wochen ist sie auch die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten – und verspricht einen «neuen Weg vorwärts».

Kamala Harris fährt in der entscheidenden Phase des Wahlkampfes sozusagen auf zwei Gleisen, nimmt Teile von Präsident Joe Bidens Arbeitsbilanz mit für sich als Verdienst in Anspruch, während sie sich zugleich als eine neue Führungsperson präsentiert, die Front gegen «die Politik der Vergangenheit» macht.

Trump das «Wandel»-Banner entrissen

Es ist in jedem Präsidentschaftswahlkampf üblich, dass Kandidaten auf der Klaviatur der Erfahrung oder der Frische spielen, aber Harris hat es bisher offenbar geschafft, zwei scheinbar widersprüchliche Botschaften in Einklang zu bringen – zum Ärger und Frust ihres Kontrahenten Donald Trump und dessen Verbündeten.

«Sie hat diesen mächtigen und einzigartigen und interessanten Vorteil, den wir niemals zuvor in unserer Politik erlebt haben», beschreibt es Patrick Gaspard, CEO der zu den Demokraten neigenden Denkfabrik Center for American Progress Action Fund und ein ehemaliger Direktor des demokratischen Parteivorstandes. «Sie ist sowohl ein Amtsinhaber», sagt er, und «sie war im Stande, Donald Trump das ‹Wandel›-Banner zu entreissen».

Harris' Vision für die Zukunft des Landes lehnt sich stark an Bidens Pläne an, so sehr, dass sie sogar nach seinem Ausstieg aus dem Präsidentschaftsrennen keine Änderungen daran vorgenommen hat. So enthielt die vom Parteivorstand gebilligte Wahlplattform, die auf dem jüngsten Nominierungsparteitag in Chicago verabschiedet wurde, häufige – und überholte – wörtliche Bezüge auf Bidens «zweite Amtszeit».

Ihre Selbstdarstellung als jemand, der einen «neuen Weg vorwärts» anbietet, stützt sich zum grossen Teil darauf, dass sie von der Norm abweicht. Die 59-jährige Tochter jamaikanischer und indischer Immigranten ersetzte als Kandidatin einen 81-jährigen weissen Mann, der sich vor 36 Jahren erstmals um die Präsidentschaft bewarb. Gewinnt sie im November, wären das gleich mehrere Premieren auf einmal: Sie wäre die erste Präsidentin der Nation und die erste schwarze Frau sowie Person südasiatischer Abstammung im Amt.

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Gemeinsame Wertvorstellungen

So meint denn auch Whit Ayres, ein republikanischer Meinungsforscher, dass Harris' Fähigkeit, Wandel zu verkörpern, viel mehr mit ihrem Alter, ihrer Hautfarbe und ihrem Geschlecht zu tun habe als mit politischen Positionen.

Nach Auffassung ihrer Mitarbeiter bringt Harris mit, wonach sich Wähler das ganze Jahr über gesehnt zu haben scheinen: einen neuen Botschafter beziehungsweise eine Botschafterin, aber eine, die bislang eine massvolle Evolution der Biden-Harris-Bilanz anbietet. Sie sei natürlich eine eigenständige Führungsperson, sagt Brian Nelson, ihr leitender Wahlkampfberater. «Aber sie ist eine Führungsperson, die in den vergangenen dreieinhalb Jahren Partnerin von Präsident Biden gewesen ist», und sie hätten gemeinsame Wertvorstellungen und Prinzipien.

Das Trump-Lager hat ihr wiederholt vorgeworfen, bislang keine detaillierten Angaben über ihre politischen Pläne gemacht zu haben, und versucht, sie als eine Person zu porträtieren, die bei Weitem liberaler ist als sie zugibt. Und vielleicht um die Erwartungen der eigenen Gefolgschaft zu senken, bevor die nächsten Meinungsumfragen auf den Markt kommen, hat das Trump-Team kürzlich vorausgesagt, dass Harris im Gefolge des Nominierungsparteitages in ihrer Zustimmungsrate zulegen werde.

Halbe Milliarde Wahlkampfspenden

Erneut war auch von einem «Harris Honeymoon» die Rede – Flitterwochen, die der Kandidatin – aus der Trump-Sichtweise völlig ungerechtfertigt – gewährt würden. Tatsächlich hätten sich die Medien entschieden, den Honeymoon auf nunmehr schon «über vier Wochen auszudehnen», schrieben die Trump-Meinungsforscher Tony Fabrizio und Travis Tunis am vergangenen Samstag. Das Harris-Lager seinerseits gab am Sonntag bekannt, dass es während der Parteitagswoche 82 Millionen Dollar (74,5 Millionen Euro) an Wahlkampfspenden eingenommen habe und sage und schreibe 540 Millionen Dollar, seit Biden am 21. Juli aus dem Rennen ausgestiegen ist und sich für Harris stark gemacht hat.

Harris hat versucht, sich Teile von Bidens aussenpolitischer Bilanz auch selbst gutzuschreiben. In ihrer Parteitagsrede sagte sie zum Beispiel, dass sie fünf Tage vor Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine mit deren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zusammengetroffen sei, um ihn zu warnen. Die Begegnung fand am Rande der Sicherheitskonferenz in München statt, als die USA bereits seit Monaten vor einer Invasion gewarnt hatten und dabei waren, den ukrainischen Kräften bei der Vorbereitung darauf zu helfen. 

US-Wahlen 2024 | Aktuelle Umfragewerte

Donald Trump
Donald Trump

Republican Party

47%
Joe Biden
Kamala Harris

Democratic Party

49%
An 100 fehlende Prozente entfallen auf den Kandidaten der Unabhängigen. Quelle: National Polls: Quantus Polls and News, 26.-27. August 2024

Angriffsfläche für Trump

Trump wird weiterhin versuchen, Harris mit den weniger rosigen Teilen der Biden-Bilanz zu verknüpfen. Am Montag besuchte er den Nationalfriedhof in Arlington, um die US-Soldaten zu ehren, die bei einem Bombenanschlag am Kabuler Flughafen im Zuge des chaotischen Truppenabzuges aus Afghanistan vor drei Jahren getötet worden waren. Harris hatte im August 2021 dem Sender CNN gesagt, dass sie die letzte Person im Raum gewesen sei, als Biden seine Abzugsentscheidung getroffen habe.

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Im Weissen Haus wurde Kokain gefunden.
Patrick Semansky/AP/dpa

«Dies ist ein Präsident, der eine ungewöhnliche Menge Mut hat», sagte Harris damals. Sie habe immer wieder erlebt, wie er Entscheidungen exakt auf der Basis dessen getroffen habe, was nach seiner Überzeugung richtig sei - «unabhängig von dem, was ihm politische Leute vielleicht sagen, in seinem eigenen besten Interesse liegen würde».

Indirekt klingt jetzt in ihrer Botschaft das Argument mit an, dass Biden ebenfalls ein Teil der Politik der Vergangenheit sei – auch wenn sie ihn öffentlich lobt und sich ein Stück vom guten Teil des Kuchens abzuschneiden versucht. Ihr erster landesweiter Werbespot nach dem Parteitag bringt den generationsmässigen Kontrast zu Trump – der drei Jahre jünger ist als Biden – ins Spiel. «Anstatt uns auf die Politik der Vergangenheit zu konzentrieren», sagt Harris, «müssen wir an die Zukunft denken.»

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