Putins Atomwaffen alarmbereit «Es ist eine Warnung, aber noch keine nukleare Eskalation»

Von Andreas Fischer

28.2.2022

Putin eskaliert mit Alarmbereitschaft der Atomstreitkräfte Konflikt

Putin eskaliert mit Alarmbereitschaft der Atomstreitkräfte Konflikt

In der eskalierenden Auseinandersetzung mit dem Westen hat Russlands Präsident Wladimir Putin am Sonntag die Nuklearstreitkräfte des Landes in Alarmbereitschaft versetzt.

28.02.2022

Russlands Präsident befiehlt die besondere Alarmbereitschaft der Atomstreitkräfte. Der Westen rätselt, was nun zu erwarten ist. Eine Expertin erklärt, was bekannt ist.

Von Andreas Fischer

Nach der diffusen Drohung mit Atomwaffen in der Vorwoche hat Russlands Präsident Wladimir Putin am Sonntag nachgelegt und verkündet, dass er die von ihm «Streitkräfte der Abschreckung» genannten Atomstreitkräfte der russischen Armee in ein besonderes Regime der Alarmbereitschaft setzen werde.

Was mit dem «besonderen Regime» konkret gemeint ist, weiss man in den Nato-Staaten nicht, wie Névine Schepers vom Swiss and Euro-Atlantic Security Team am Center for Security Policy der ETH Zürich im Gespräch mit blue News offen einräumt: «Wir wissen es nicht genau.»

Putins Ankündigung impliziere laut der Expertin für nukleare Rüstungskontrolle auf jeden Fall eine erhöhte Alarmbereitschaft. Die praktischen Folgen könnten laut Schepers Veränderungen im Befehls- und Kontrollsystem beinhalten, «aber auch die Entsendung zusätzlicher U-Boote mit ballistischen Raketen auf See, oder dass atomwaffenfähige strategische Bomber in Gefechtsbereitschaft versetzt werden».

Solche Aktivitäten würden allerdings von den USA und den Nato-Verbündeten nicht unbemerkt bleiben, sagt Schepers. «Dass die USA im Moment keinen Grund sehen, die eigene Alarmbereitschaft zu erhöhen, spricht dafür, dass Putins Ankündigung eher als politisches Signal denn als militärische Botschaft gesehen wird.»

Die russische Armee präsentiert bei Militärparaden gerne ihre Interkontinentalraketen. 
Die russische Armee präsentiert bei Militärparaden gerne ihre Interkontinentalraketen. 
EPA

Wann hat Russland zum letzten Mal die Alarmbereitschaft der Atomstreitkräfte erhöht?

Nach dem Kalten Krieg, als auf einem weitaus höheren Alarmlevel agiert wurde, hat es eine ähnliche Situation schon einmal gegeben. «Erhöhte Alarmbereitschaft hatten wir bereits 2014 bei der Annexion der Krim. Es ist eine Warnung, aber noch keine nukleare Eskalation», sagte Carlo Masala, Militärexperte an der Universität der deutschen Bundeswehr, im Bayerischen Rundfunk.

Allerdings, wendet Schepers ein, sei die Rhetorik damals unterschiedlich gewesen. Und: «Schon die Ankündigung einer erhöhten Alarmbereitschaft ist extrem gefährlich», erklärt sie, zumal ballistische Interkontinentalraketen extrem kurzfristig abgefeuert werden könnten. «Russland entfernt sich damit von seiner eigenen Nukleardoktrin, die besagt, dass Kernwaffen nur eingesetzt werden, wenn das eigene Land in Gefahr ist. Das ist im Moment ganz klar nicht der Fall.»

Die USA hatten ihre Nuklearstreitkräfte zuletzt 1973 in Alarmbereitschaft versetzt, wie der US-Militärexperte James Acton in einem Interview mit dem «Spiegel» erklärt. Acton glaube zwar nicht, dass ein Atomwaffeneinsatzes sehr wahrscheinlich ist. Aber er sei höher, als er es vor einer Woche war, und es bestehe ein ernsthaftes Risiko: «Risiko ist ein Produkt aus der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses und seiner möglichen Konsequenzen.»

Kann es nun versehentlich zu einem Nuklearschlag kommen?

«In Russland kann nur der Präsident den Einsatz von Nuklearwaffen befehlen. Die Befehle werden über speziell gesicherte Kommunikationskanäle gegeben», erklärt Schepers die Abläufe vor einem Einsatz von Atomwaffen.

Laut dem früheren deutschen Nato-General Egon Ramms befinden sich die entsprechenden Befehle und Codes in drei Koffern, die sich beim Präsidenten, beim Verteidigungsminister und beim Chef des Generalstabs befinden. Wie Ramms im ZDF erläuterte, brauche man die Codes aus zwei Koffern, um Atomwaffen zu zünden.

Dies wäre ein Kontrollmechanismus. Wladimir Putin könnte demnach nicht im Alleingang einen Nuklearanschlag anordnen. Allerdings sei es laut Schepers gar nicht gesichert, dass es heute noch üblich ist, mit zwei verschiedenen Codes zu arbeiten: «Es gibt viele Unbekannte in den konkreten Abläufen», sagt die Expertin. Gesichert sei nur: «Die Entscheidung über die Verwendung eines Atomcodes wird vom Präsidenten getroffen.»

Wie reagieren die Nato-Atommächte?

«Die Nato und die USA sehen im Moment keine Veranlassung, auf Putins Ankündigung zu reagieren und durch eine eigene erhöhte Alarmbereitschaft an der Eskalationsspirale zu drehen», sagt Schepers. Zumindest würden sie das nicht öffentlich tun: «Es geht bei der nuklearen Eskalation viel um Signalwirkungen.»

Mit seiner Ankündigung zeige Putin zwar, dass es ihm ernst sei. «Dass er aber wirklich einen Nuklearschlag anordnet, glaube ich nicht», ordnet Schepers ein. «Die Alarmbereitschaft zu erhöhen, heisst nicht notwendigerweise, dass sich die russische Armee auf einen Atomkrieg vorbereitet. Ich denke, Putin weiss sehr genau, welches Risiko dies auch für ihn bedeuten würde. Wie gesagt: Es geht dabei vor allem um politische Botschaften.»

Wie kann man die Situation deeskalieren?

«Das ist in der Tat die Million-Dollar-Frage», sagt Névine Schepers. Es gäbe zwar Hintergrundkanäle zwischen den Militärs, «aber wir wissen nicht, in welchem Umfang sie genutzt werden, sondern nur, dass sie existieren».

Die Aufrechterhaltung einer klaren und ständigen Kommunikation über diese Kanäle könnte eine weitere Eskalation verhindern, «da der Spielraum für diplomatisches Engagement zwischen den USA und Russland derzeit immer kleiner wird».

Wie reagiert Putin auf Druck im eigenen Land?

Putins eigener Verteidigungsminister Sergej Schoigu sah während der Ankündigung der erhöhten Alarmbereitschaft der Atomstreitkräfte nicht besonders glücklich aus (im Video oben zu sehen). Unklar ist, wie unberechenbar der russische Präsident wird, wenn er im eigenen Land vermehrt unter Druck gerät.

Das russische Verteidigungsministerium hat Putins Befehl mittlerweile ausgeführt und die entsprechenden Streitkräfte der Atommacht in verstärkte Alarmbereitschaft versetzt. Das sagte Sergej Schoigu am Montag dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, wie aus einer Mitteilung des Ministeriums hervorgeht. Konkret nannte er die strategischen Raketentruppen, die Nord- und die Pazifik-Flotte und die Fernfliegerkräfte.

Auf Nachfrage von blue News, ob dadurch die Gefahr wächst, dass Putin den roten Knopf drückt, schätzt Schepers Kollege Oliver Thränert vom Center for Security Policy der ETH Zürich ein: «Der Westen ist gut beraten, schnell darüber nachzudenken, wie man verhindern kann, dass sich Putin in eine Ecke gedrängt fühlt. Das ist eine diplomatische Herkulesaufgabe.»

Für James Acton ist es daher sehr wichtig, dass der Westen «Putin eine gesichtswahrende Möglichkeit bietet, sich aus dieser Krise zu befreien». Der US-Experte würde ihn als «böse, aber nicht als verrückt» beschreiben. «Wie dem auch sei – dagegen können wir, ehrlich gesagt, nicht viel tun.»

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