«Chok chok»-Effekt Darum schminken sich immer mehr Schweizer Männer

Bruno Bötschi

29.8.2018

Männer in Südkorea finden es schon länger normal, morgens zum Moisturizer zu greifen, denn sie wollen «taufrisch» aussehen.
Männer in Südkorea finden es schon länger normal, morgens zum Moisturizer zu greifen, denn sie wollen «taufrisch» aussehen.
Bild: iStock

Kosmetik-Kompetenz gibt es auch unter Männern in der Schweiz – die beschränkt sich aber meist auf das Rasieren. Anders in Südkorea: Nirgends geben Männer mehr Geld für Kosmetik aus. Diese Beauty-Welle rollt auf Europa zu.

Männer, die sich pudern und die Augen nachziehen? Ist das nicht eine etwas merkwürdige Vorstellung?

Nein, fand der französische Modedesigner Jean-Paul Gaultier bereits vor 15 Jahren und lancierte seine Männer-Kosmetikserie «Le Male Tout Beau Tout Propre». Manche Produkte aus dem Programm waren wirklich praktisch und vernünftig: wie der Korrekturstift, der wie ein Füllfederhalter aussah.

Gaultiers Hoffnung damals: Nachdem Männer sich an Düfte fernab von «Tabac» und «Sir Irish Moos» und an Feuchtigkeitscreme gewöhnt hatten, sollten sie nun den nächsten Schritt in der Kosmetik-Evolution nachvollziehen. Richtig funktioniert hat die Sache nicht – heute gibt es nur noch das Parfum «La Male» zu kaufen.

Südkoreaner wollen «taufrisch» aussehen

Nun gut: Vielleicht sollte der französische Designer über ein Revival seiner Männerkosmetik-Linie nachdenken. Scheinbar rollt eine neue Beauty-Welle aus Asien an.

Männer in Südkorea finden es schon länger normal, morgens zum Moisturizer zu greifen, denn sie wollen «taufrisch» aussehen: «Chok chok» heisst das Schönheitsideal in der Landessprache, dem unter anderem auch die Mitglieder der südkoreanischen Boygroup «Super Junior» nacheifern.

Lieben den «Chok chok»-Effekt über alles: Mitglieder der südkoreanischen Boygroup «Super Junior».
Lieben den «Chok chok»-Effekt über alles: Mitglieder der südkoreanischen Boygroup «Super Junior».
Bild: zVg

Den Look haben sich die Südkoreaner, schreibt das deutsche Trend-Magazin «Frankfurter Allgemeine Quarterly», von ihren Frauen abgeguckt: «Einerseits sieht man damit sehr proper aus, andererseits aber auch so, als sei der frische Eindruck lediglich Folge gesunder Ernährung und eines wohltuenden Bades, maximal».

Anders wollen viele Südkoreaner gar nicht mehr aus dem Haus gehen. Sie wirken für Aussenstehende geradezu verrückt nach Kosmetikprodukten: Nirgends auf der Welt geben Männer so viel Geld für Hautpflegeprodukte aus wie in dem asiatischen Land.

Über 1,1 Milliarden Schweizer Franken sind es – ein Fünftel des gesamten globalen Marktes. Gemäss vorsichtigen Schätzungen soll der südkoreanische Markt in den kommen fünf Jahren noch einmal um die Hälfte wachsen.

Männer-Make-up: Neuer Beautytrend?

Quelle des männlichen Schönheitsideals soll ausgerechnet das Militär sein: Der Wehrdienst ist die Zeit im Leben, in der die meisten südkoreanischen Männer ihre ersten Erfahrungen mit Kosmetik machen – sagt Amorepacific, ein südkoreanischer Kosmetikkonzern, der mittlerweile zu den grössten der Welt gehört.

In den zwei Jahren in Uniform würden sich die Männer viel draussen bewegen, ihre Haut strapazieren und nach Möglichkeiten suchen, sie besser zu schützen.  Einige koreanische Beauty-Marken bieten deswegen gezielt Produkte für den Militärdienst an.

Der Trend soll für einen grundsätzlich anderen Blick der Männer auf das eigene Geschlecht stehen, notiert «Frankfurter Allgemeine Quarterly»: «Wo man früher zum Chirurgen ging, um möglichst maskulin auszusehen, will der Mann heute androgyn wirken. Das neue Schönheitsideal sei der Mann mit Milchbubigesicht und Sixpack.»

Make-up für Männer ist in Südkorea weniger stigmatisiert als in Europa. Aber auch der europäische Mann steht morgens immer länger im Badezimmer: In England ist, laut einer letztjährigen Umfrage des Onlineportals HushHush.com, das Männer-Make-up bereits ein Beautytrend. Ob Concealer, Eyeliner, Mascara, oder gar Lipgloss – die britischen Herren greifen immer öfter zu Farbe, schon einer von zehn trägt Make-up.

Fältchen glätten, Augenringe abdecken und Augenbrauen modellieren: Auch die Schweizer Männer achten vermehrt auf ihr Äusseres, inbesondere im Gesicht.
Fältchen glätten, Augenringe abdecken und Augenbrauen modellieren: Auch die Schweizer Männer achten vermehrt auf ihr Äusseres, inbesondere im Gesicht.
Bild: iStock

Doch auch in Grossbritannien ist die Hemmschwelle bei Männer-Make-up noch nicht ganz überwunden. Elf Prozent der 1800 Befragten gaben zu, Make-up nur im Geheimen aufzutragen. Obwohl 50 Prozent der Männer Make-up regelmässig und jeder Fünfte sogar täglich verwenden.

Bald auch in der Schweiz?

Fältchen glätten, Augenringe abdecken und Augenbrauen modellieren: Auch der Schweizer Mann achtet heute vermehrt auf sein Äusseres, insbesondere auf sein Gesicht – und gibt sich längst nicht mehr nur mit einem Schuss Rasierwasser zufrieden.

Was noch vor ein paar Jahren undenkbar erschien, ist jetzt in vielen Drogerien und Parfümerien zu finden: So gibt es Anti-Falten Cremes, tönende Gesichtscremes und Körperlotionen für Männer.

Dekorative Kosmetik, wie sie in Südkorea auch von Männern getragen wird, hat sich hierzulande allerdings (noch) nicht durchgesetzt. Lippenstift und Co. werden weiterhin nur für die weibliche Zielgruppe vermarktet.

Dekorative Kosmetik, wie sie in Südkorea auch von Männern getragen wird, hat sich in der Schweiz bisher (noch) nicht durchgesetzt.
Dekorative Kosmetik, wie sie in Südkorea auch von Männern getragen wird, hat sich in der Schweiz bisher (noch) nicht durchgesetzt.
Bild: iStock

Produkte, die eine abdeckende Wirkung haben, könnten jedoch in naher Zukunft immer beliebter werden, denn egal ob Mann oder Frau: Eine ebenmässige Gesichtshaut wirkt gepflegt und macht attraktiver. In den USA ist etwa die Kosmetik-Linie «Enter Pronoun» auf den Markt gekommen. Ein Unisex-Make-up, dass auf die Bedürfnisse männlicher Haut abgestimmt ist.

Fazit: Ganz so Make-up-verrückt wie die Südkoreaner müssen wir Schweizer Männer ja nicht gleich werden, aber ein bisschen mehr Farbe und Experimentierfreudigkeit würde, momoll, so manch einem helvetischen Mann ganz gut tun.

«Chok chok»-Effekt: So funktioniert's

Südkoreaner investieren sehr, sehr viel Zeit, um ihre Haut gesund, prall, jugendlich und strahlend zu erhalten. Sie nutzen, laut «Frankfurter Allgemeine Quarterly», monatlich mehr als ein Dutzend Pflegeprodukte. Um «Chok chok» auszusehen braucht es ein aufwendiges, zehnstufiges Reinigungsritual:

1.   Ölreinigung: Entfernt ölbasierte Rückstände wie Talg, Make-up und Sonnencreme.

2.   Schaumreinigung: Entfernt alles andere, also Schweiss und Dreck.

3.   Peeling: Entfernt abgestorbene Hautschuppen.

4.   Toning: Stellt den natürlichen pH-Wert der Haut wieder her.

5.   Esssenceing: Spendet Feuchtigkeit und hellt die Haut auf.

6.   Treatmenting: Behandelt Hautstörungen.

7.   Sheet Masking: Gibt der Haut Nährstoffe durch Tuchmasken aus hauchdünnen Vlies.

8.   Moisturizing: Hilft der Haut gegen Austrocknung.

9.   Eye Creaming: Hilft der Augenpartie, wo sich Alterspuren zuerst zeigen.

10.  SPF-ing: Schützt vor der Sonne, man will schliesslich nicht braun werden.

Männer, die weniger körperbetont sind und nicht morgens und abends diese langwierige Prozedur über sich ergehen lassen wollen, kürzen etwas ab:

Der Mindesteinsatz besteht aus Toner, Essenz, Moisturizer und BB-Cream. Letzteres ist eine Allzweckwaffe, die Unreinheiten im Gesicht kaschiert und gleichzeitig als Feuchtigkeitscreme, Grundierung, Sonnenschutz und Aufheller fungiert.

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