Delta-Variante breitet sich ausNoch stehen den Schweizern fast alle Reiseziele in Europa offen
Von Andreas Fischer
29.6.2021
Die Delta-Variante breitet sich in Europa weiter aus – auch an beliebten Ferienorten. Schon werden Rufe nach neuen Einschränkungen laut. Welche Auswirkungen hat das auf die Reisepläne der Schweizer?
Von Andreas Fischer
29.06.2021, 23:30
30.06.2021, 10:25
Andreas Fischer
Sehnsüchtig erwartet nach langen Pandemie-Monaten: In vielen Kantonen beginnen am Wochenende die Sommerferien. Nichts wie raus also, und endlich geht’s ans Meer. Oder etwa nicht? Die Delta-Variante des Coronavirus drückt in Europa vielerorts auf die Ferienstimmung. Kann man überhaupt noch reisen? Oder drohen schon wieder Einschränkungen, bevor der Spass überhaupt losgeht?
Einige EU-Staaten planen aus Angst vor der Delta-Variante des Coronavirus verschärfte Regeln für beliebte Ferienregionen. In Deutschland etwa habe Angela Merkel per SMS interveniert, um Ausnahmen bei der Einstufung Portugals in die höchste Risikostufe zu verhindern. In Deutschland gelten nun wieder harte Beschränkungen für Reisen nach Portugal.
Weil die EU-Staaten häufig nicht koordiniert und mit unterschiedlichen Regeln vorgehen, drohe im Spätsommer oder Herbst ein ziemliches Reisechaos, konstatiert «Der Spiegel» und sagt «Öffnungen in wirtschaftlich angeschlagenen Tourismusländern und Notbremsen in jenen Staaten, die vor allem eine rasante Ausbreitung der Delta-Variante fürchten», voraus.
Bundesrat und BAG bleiben locker
«Wir haben uns in den vergangenen Monaten stark dafür eingesetzt, die Reisebeschränkungen für geimpfte, genesene und negativ getestete Personen aufzuheben. Wenn sie nun wieder eingeführt werden, so wäre dies denkbar schlecht für den Tourismus», kommentiert Philipp Niederberger, Direktor des Schweizer Tourismus-Verbandes, auf Anfrage von «blue News».
Oberste Priorität habe nach wie vor die Gesundheit der Gäste und Mitarbeitenden, so Niederberger. «Jedoch sollten Reisebeschränkungen nur eingeführt werden, wenn es die epidemiologische Lage nicht anders zulässt.»
Die EU ist alarmiert, doch in der Schweiz bleibt man gelassen: Wen das Fernweh packt, soll in die Welt ziehen. Die Ferienreisen sind gesichert. Dazu trägt auch bei, dass der Bund mit dem Delta-Virus relativ entspannt umgeht. Weil die Virusvariante «nicht-immunevasiv» sei, also den Impfstoff nicht umgehen könne, bereiten die Mutationen dem Bundesrat derzeit keine grossen Sorgen, beschwichtigte Gesundheitsminister Alain Berset vorige Woche vor Medien.
Für Ferienreisende ist das eine gute Nachricht. Der Bund hat mit den in der vorigen Woche verkündeten Lockerungsschritten auch die (Wieder-)Einreise in die Schweiz erheblich erleichtert. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat gleichzeitig die Liste der Risikoländer zusammengestrichen. Nunmehr werden nur noch Länder mit «besorgniserregenden» Virus-Varianten aufgeführt. Zurzeit (Stand: 29. Juni 2021) stehen exakt drei Länder auf der BAG-Liste: Grossbritannien, Nepal und Indien. Dort zirkuliert die Delta-Mutante besonders stark.
Impfungen bieten hohen Schutz gegen Delta-Variante
Weil sie aber als «nicht-immunevasiv» gilt, kann man aus diesen Virusvarianten-Gebieten ganz entspannt in die Schweiz einreisen – so man geimpft oder genesen ist. Dafür braucht es keinen negativen Test, es gibt auch keine Quarantänepflicht. Für alle anderen Länder gelten ohnehin keine Einschränkungen bei der Einreise mehr, abgesehen von der Testpflicht und Kontaktdatenerfassung, die bei Flugreisen immer gelten.
Dass die Schweiz bei Ferienreisen einen lockeren Weg eingeschlagen hat, begründet der Bundesrat so: «Die in der Schweiz eingesetzten Impfungen bieten einen nur leicht reduzierten und damit weiterhin sehr hohen Schutz gegen die Delta-Variante.»
Das BAG bekräftigt die Einschätzung auf Anfrage von «blue News»: «Im Vereinigten Königreich wurde bislang noch keine vermehrte Wiederinfektion mit der Delta-Variante (oder anderen Varianten) festgestellt», so Sprecherin Simone Buchmann, die darauf hinweist, dass die Daten noch vorläufig sind und eine «gewisse Erhöhung der Wahrscheinlichkeit einer Wiederinfektion» nicht ganz auszuschliessen sei.
Die EU hingegen ist vorsichtig und sorgt sich sehr um Länder, in denen die Delta-Mutante besonders stark zirkuliert und dominant ist oder wird. Wobei «Dominanz» immer auch eine Interpretationssache und Zeitfrage ist: Im EU-Land Deutschland ist die Variante bereits für die Hälfte der Neuinfektionen ursächlich, wie das Robert-Koch-Institut der Nachrichtenagentur dpa mitteilt. Bis zur Dominanz ist es nicht mehr weit.
Vormarsch nicht aufzuhalten
In der Schweiz machte die Delta-Variante laut BAG Anfang Juni bereits mehr als 12 Prozent der Infektionen aus, Tendenz exponentiell steigend. Denselben Stand hatte die Alpha-Variante, die Ende 2020 aus Grossbritannien herüberschwappte, am 20. Januar 2021 – zwei Monate später gingen mehr als 93 Prozent aller Corona-Infektionen auf sie zurück.
Mittlerweile geht die Alpha-Variante in dem Masse zurück, in dem die Delta-Variante zunimmt: Die Ähnlichkeiten in den Wachstumskurven von Alpha und Delta sind bis dato frappierend. «Es ist davon auszugehen, dass sich leichter übertragbare Virusvarianten mit der Zeit durchsetzen werden», bleibt BAG-Sprecherin Simone Buchmann zwar vage, andere Experten gehen aber davon aus, dass die Delta-Variante im August in Europa dominierend sein wird und 90 Prozent der Neuinfektionen ausmacht.
Erneute Reisebeschränkungen nicht ausgeschlossen
Folgt man der Logik der EU, könnte die Schweiz noch in diesem Sommer erneut zum Risikogebiet erklärt werden. Das wäre nicht nur für Schweizerinnen und Schweizer mit Auslandsreiseplänen ärgerlich, sondern auch für die inländische Tourismusbranche. Beim Marketingverband der einheimischen Tourismusbranche war man gerade noch zuversichtlich, dass die Zahl der ausländischen Gäste nach dem fürchterlichen Coronajahr 2020 wieder steigt.
«Der Umgang mit Reisebeschränkungen gehört im Tourismus leider mittlerweile zum Alltag», sagt André Aschwanden von Schweiz Tourismus auf Nachfrage von «blue News», will aber über «allfällige neue Reisebeschränkungen» nicht spekulieren.
Und dann klingt es fast schon trotzig-optimistisch: «Schweiz Tourismus und die Schweizer Tourismusbranche haben sich seit dem Beginn der Pandemie vor mehr als einem Jahr immer wieder auf neue Rahmenbedingungen ausrichten müssen.» Das trifft auch auf Reisende zu, denen Simone Buchmann vom BAG «dringend empfiehlt, sich im Vorfeld – auch nach dem Inkrafttreten der EU-Verordnung Anfang Juli – jeweils über die aktuellen Einreisebestimmungen des Ziellandes zu informieren».