Overtourism «Schlechte Influencer ziehen schlechte Touristen an»

Von Gil Bieler

29.6.2019

Bitte Abstand halten: Besucher bestaunen einen Geysir auf der berühmten Golden-Circle-Route.  
Bitte Abstand halten: Besucher bestaunen einen Geysir auf der berühmten Golden-Circle-Route.  
Bild: EPA/Tatyana Zenkovich

Sie ignorieren Verbote, schädigen die Natur und müssen aus Notlagen gerettet werden: Island hat mit taktlosen Touristen zu kämpfen. An Schweizer Trend-Destinationen sorgen vor allem Drohnen für Ärger.

Island ist dank seiner märchenhaften Naturkulisse der Traum vieler Globetrotter. Wo sonst findet man schon Fjorde, Geysire, majestätische Berge, Nordlichter und heisse Quellen auf engstem Raum? Zählte die nationale Statistikbehörde 2010 noch rund 460'000 Besucher, waren es 2017 schon über 2,2 Millionen. Das entspricht fast einer Verfünffachung.

Bei solchen Massen ist klar, dass sich nicht jeder zu benehmen weiss. Für das perfekte Erinnerungsfoto missachten manche sogar lebenswichtige Verbote und Regeln – was eine zunehmende Zahl der Isländer nervt. Sie dokumentieren auf Social Media in Gruppen wie «Stupid things tourists do in Iceland», mit welchen haarsträubenden Aktionen Touristen negativ aufgefallen sind.

Dumm und dümmer

Da war zum Beispiel das Duo, das im Frühling in der Region Vestfirðir im Nordwesten des Landes mit dem Auto zwischen zwei Lawinen geriet und von der Polizei gerettet werden musste – die beiden hatten laut Medienberichten ein Fahrverbot ignoriert.

Alexander Tikhomirov, ein russischer Reiseblogger, blieb diesen Monat mit seinem Mietwagen stecken – er war bewusst abseits der Strasse unterwegs. Im Web hagelte es daraufhin Kommentare wie «Idiot» und «Du bist in Island nicht mehr willkommen».

Erst letzte Woche wollte ein Paar in einem Dacia den Fluss Krossá durchqueren. Bloss war die Strömung ziemlich stark. Das Fahrzeug wurde mitgerissen, blieb aber sodann glücklicherweise an einer Fussgängerbrücke hängen. 

Canyon wegen Bieber-Fans gesperrt

Ein Fall, der hohe Wellen schlug, liegt bereits einige Jahre zurück. Weil der kanadische Popstar Justin Bieber im Fjaðrárgljúfur-Canyon 2015 das Video zu seinem Song «I’ll Show You» drehte, wurde die bis dahin relativ unbekannte Schlucht zu einem Touristenmagnet. Im März dieses Jahres sperrten die isländischen Behörden vorübergehend den Zugang, um Schäden an der Natur vorzubeugen.

Pall Jokull Petursson, der hauptberuflich Fotografen über die Insel führt, sagte der britischen BBC, welchen Einfluss «schlechte Influencer» hätten: «Sie ziehen schlechte Touristen an, indem sie rücksichtsloses Verhalten und Gesetzesbrüche vorzeigen. Dadurch erhalten andere den Eindruck, man müsse sich in Island nicht an die Gesetze halten, könne zum Beispiel abseits der Strasse fahren.»

Die isländische Tourismusbehörde hat auf ihrer Website mittlerweile ein «Gelöbnis» aufgeschaltet, das Touristen zu einem vernünftigen Verhalten anhalten soll. Darin finden sich Formulierungen wie «Wenn ich neue Orte erkunde, verlasse ich sie, wie ich sie vorgefunden habe» und «Ich werde Fotos machen, für die es sich zu sterben lohnt, ohne dafür zu sterben». 

Fotoverbot in Bürgenstock-Pool

Ausflugsziele in der Schweiz sind durch Social-Media-Hypes ebenfalls zum Sehnsuchtsort der Massen geworden. Der Infinity Edge Pool des Bürgenstock Resorts in Nidwalden etwa wurde 2016 durch den Instagram-Post einer Reisebloggerin über Nacht weltbekannt. Im vergangenen Winter erliess das Hotel deshalb eine neue Regelung: Das Fotografieren und Filmen im Aussenpool ist seither nur noch von 7 bis 12 Uhr und von 17 bis 19 Uhr erlaubt. 

Die damit gemachten Erfahrungen seien positiv, erklärt Jonas Reif, beim Bürgenstock Resort für die Kommunikation verantwortlich, auf Anfrage von «Bluewin»: «Für die Gäste als auch für die Mitarbeitenden ist es wichtig, dass klar definierte Regeln beziehungsweise Zeiten existieren.» Bei der Umsetzung brauche es aber «viel Fingerspitzengefühl». 

Drohnen sind «ein Riesenproblem»

Eine ähnliche Social-Media-Karriere machte das Gasthaus Aescher in Appenzell Innerrhoden. Als das Magazin «National Geographic» die spektakulär in den Fels eingebettete Beiz im Oktober 2015 auf die Titelseite hob, setzte ein Massenansturm ein. Noch heute nervt das Surren der Kameradrohnen die Gäste, wie die Wirtin Melanie Gmünder diese Woche dem SRF-Magazin «10vor10» sagte. «Das ist ein Riesenproblem und störend», die Drohnen würden ihren Gästen quasi in die Teller fliegen.

Nicht nur Drohnen, auch Handys sind rund um das Bergbeiz Aescher im Dauereinsatz.
Nicht nur Drohnen, auch Handys sind rund um das Bergbeiz Aescher im Dauereinsatz.
Bild: Keystone/Melanie Duchene

Um übereifrigen Drohnenpiloten die Flügel zu stutzen, hat auch die Bündner Gemeinde Flims durchgegriffen. Seit dem Sommer 2017 gilt am  Caumasee, der für seine türkisgrüne Färbung berühmt ist, eine Sperrzone für Multikopter.

Am Caumasee in Flims gilt seit 2017 ein Drohnen-Flugverbot.
Am Caumasee in Flims gilt seit 2017 ein Drohnen-Flugverbot.
Bild: Keystone/Gian Ehrenzeller

Immerhin: Der vorläufig neueste Schweizer Insta-Hype hat bislang noch keine negativen Folgen getätigt. Aber das Video des Urnersees, das auf Facebook gerade durch die Decke geht, wurde auch erst vor gut zwei Wochen hochgeladen. 

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