«Krank und empathielos»Im Taxi nach Damaskus: Influencer entdecken Syrien
dpa/tsha
21.12.2019
Während in einigen Gebieten in Syrien noch heftig gekämpft wird, entdecken die ersten Touristen wieder das Bürgerkriegsland. Sie machen Selfies in Ruinen. Für einen Deutschen endet der Ausflug in einem Militärgefängnis.
Im Niemandsland, kurz bevor sie das Bürgerkriegsland erreicht, kommen der Influencerin Zweifel. Ob sie wirklich reingelassen wird? Die Kamera wackelt wie in einem Agentenfilm. «Ich könnte nicht aufgeregter sein», sagt Eva zu Beck in die Kamera. Knapp 50 Kilometer sind es noch bis Damaskus. Häuser und Moscheen fliegen am Autofenster vorbei. «Ein Land, seit acht Jahren von einer blutigen Krise zerrissen. Syrien hat seit fast zehn Jahren keine Touristen mehr ins Land gelassen. Ich bin eine der ersten.» Dann ein Schnitt - auf einen quirligen Markt in bunten Farben in Damaskus.
23 Dollar kostet die Fahrt ins Bürgerkriegsland. Auch ein deutscher Reisender, der unerkannt bleiben möchte, hat sich in Beirut in ein Taxi gesetzt und ist mit anderen Reisenden über die Grenze zwischen dem Libanon und Syrien gefahren. «Es war surreal», erzählt er am Telefon aus Singapur. «Ich habe mich gewundert wie normal alles ist.» Drei Tage bleibt der 34 Jahre alte Deutsche in Damaskus und schwärmt später auf Youtube in Videos von der Schönheit der Altstadt und der Freundlichkeit der Menschen. Kein Wort von den Bomben im Norden des Landes, den Militärsperren in der Stadt oder den Flüchtlingen.
Acht Jahre nach Beginn eines blutigen Bürgerkrieges mit mehr als einer halben Million Toten entdecken immer mehr Ausländer Syrien. Nicht als Entwicklungshelfer, sondern als Touristen. In den vergangenen Monaten stellten mehrere internationale Influencer Fotos und Videos auf Instagram und Youtube. Reiseagenturen aus Russland und China bieten wieder Touren nach Syrien an.
«Wir gehen hier durch eine Geisterstadt»
Untermalt von sanftem Gitarrenzupfen schreitet ein Paar Turnschuhe in Zeitlupe über weisses Geröll. Eine filigrane Frauenhand mit schmuckvollen Ringen streift über einen Steinhaufen, dann in Nahaufnahme über eine schwarze Eisentür - und ein Einschussloch. Mehr als eine Million Menschen haben die Videos von Eva zu Beck alleine auf Youtube in den letzten Monaten gesehen.
Dann ein Schnitt. Man hört Hämmern und Bohren. Eva steht lachend in den Ruinen des komplett zerstörten alten Marktes von Aleppo, der auf der Roten Liste des gefährdeten Weltkulturerbes steht. «Die Wahrheit ist, es ist viel Zerstörung hier, wir gehen hier durch eine Geisterstadt», sagt die in England studierte Polin. «Aber», sagt die 28-Jährige dann, «aus der Asche entsteht ein neues Morgen.»
Sie habe sich zum Teil viel Kritik anhören müssen, erzählt Eva, als sie sich gerade in Saudi-Arabien aufhält. Die junge Influencerin, die in den sozialen Netzwerken fast eine Million Abonnenten und Follower hat, hat nicht die üblichen Reisedestinationen. Ihre letzten Aufenthalte waren unter anderem Irak, Jemen und eben Syrien.
«Ich bin keine Abenteurerin, ich will mit den normalen Menschen auf der Strasse in Kontakt kommen», erzählt sie. Das habe nichts mit Voyeurismus oder Propaganda zu tun. Auf einem Flug von Dubai habe sie neben einem Syrer gesessen, der ihr erzählt habe, dass er gerne wieder zurück wolle, es aber nicht könne. Sie dagegen könne als Ausländerin bestimmt einreisen. «Küss Aleppo für mich», habe er Eva gesagt. Und dann sei sie im Frühjahr dieses Jahres nach Syrien gereist. Auch die meisten Kommentare unter den dabei entstandenen Videos sind eher positiv - auch von Syrern.
«Es ist die perfekte Zeit, jetzt Syrien zu besuchen»
Trotz der immer häufiger werdenden Berichte vorwiegend junger Reisender im Internet, hat der Tourismus in Syrien noch nicht wieder Fahrt aufgenommen. Er bekomme zwar jeden Tag Anfragen, aber tatsächlich kommen würden dann nur einzelne, schreibt Chaldun al-Alami aus Damaskus, der mit seinem Reisebüro Golden Target Tours den Trip für Eva zu Beck organisiert hatte. Es seien Leute aus England, Italien, Frankreich, viele US-Amerikaner, die sich für Syrien interessierten. «Vielleicht fünf Deutsche.» Die Lage sei nicht mit 2010 vergleichbar, als 8,5 Millionen Touristen gekommen seien, aber es gehe langsam wieder aufwärts, sagt al-Alami.
Auch einzelne Reisebüros aus China und Russland bringen sich allmählich in Stellung und bieten auf ihren Internetseiten Reisen an. Young Pioneer Tours aus China etwa hat nach eigenen Angaben für 2020 vier Touren geplant. Die Reisenden seien Leute, die die ersten irgendwo sein wollen. Die Agentur bietet unter anderem auch eine Reise zu einer Waffenmesse in Jordanien an. «Es ist die perfekte Zeit, jetzt Syrien zu besuchen», sagt John McGovern vom Reisebüro auf Anfrage.
Die Bilder, die die meisten Influencer im Internet hochladen, sehen ähnlich aus wie die Videos, die auch das syrische Tourismusministerium veröffentlicht: Geschichtsträchtige Altstädte, bunte Märkte, lange Strände, leckeres Essen. Nur wenige sprechen wie Eva auch die Zerstörungen an. In einer geschlossenen Facebook-Gruppe für Weltreisende entbrannte vor einigen Tagen ein Streit darüber, ob es ethisch vertretbar sei, in jedes Land zu reisen. Die meisten waren sich einig: natürlich. Reisen sei keine Politik.
In dem Forum findet sich aber auch ein Eintrag des deutschen Reisenden Felix. Er beschreibt dort, wie er im November vergangenen Jahres von der Polizei in Damaskus festgenommen worden sei, als er ein Foto machen wollte. Es habe damit geendet, dass er mit einer Augenbinde in einem Auto des Geheimdienstes gelandet und fünf Tage verhört worden sei. Er habe Hunderte Syrer in dem Gefängnis gesehen, die gefoltert worden seien. Trotzdem schreibt er: «Die meisten Besuche nach Syrien werden in Ordnung sein.» Und er freut sich, dass seine Fotos nicht gelöscht wurden.
Influencer als Werbebotschafter des Regimes?
Für den deutschen Forschungsassistenten am Nahost-Institut in Beirut, Konstantin Rintelmann, ist Tourismus in Syrien schwierig. Man könne nur nach gründlicher Absprachen mit den Behörden und durch staatlich geprüfte Reiseunternehmen ins Land, sagt er. «Durch die selektiven Kameras der Influencer kann die Regierung das Narrativ vermitteln, Assad sei der einzige Garant für Frieden und Stabilität», sagt Rintelmann mit Blick auf den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.
Die Videos der Influencer und des syrischen Tourismusministeriums haben wenig gemein mit dem Film, den Sulaiman Tadmory in Syrien gedreht hat. In dem Dokumentarfilm «Homs und ich» beschreibt der inzwischen in Deutschland lebende Filmemacher, wie er zufällig in der Stadt Homs eingeschlossen wurde und anschliessend die fast vollständige Zerstörung der Stadt durch die Truppen der syrischen Regierung hautnah miterlebt.
«Natürlich gibt es Strassen in Damaskus, wo ganz normales Leben ist», erzählt Tadmory. «Aber nur da, wo Präsident Assad die Kontrolle hat. Und wenn ich etwas gegen ihn gesagt habe, dann darf ich nicht zurück.» Auch ein interner Lagebericht des Auswärtigen Amtes hielt vor kurzem fest, dass es nach Einschätzung der Bundesregierung keine Region gebe, in die Flüchtlinge ohne Risiko zurückkehren könnten. «Wenn jetzt solche Influencer sagen ‹Hier in Syrien ist alles toll und kommt hierhin zum Urlaub machen›, dann ist das krank und empathielos», sagt Tadmory. «Ich kann nämlich nicht zurück.»
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