Musiker erzählen «Das hat mein Gehör geschlissen»

Von Gil Bieler

27.4.2021

Warum «Sound of Metal» berührt und begeistert

Warum «Sound of Metal» berührt und begeistert

«Sound of Metal» erzählt die Geschichte eines Metal-Schlagzeugers, der sein Gehör verliert. Der Film ist für sechs Oscars nominiert und hat bei Vania einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

01.07.2021

Was geschieht mit einem Musiker, der plötzlich taub wird? Die Story des Oscar-prämierten Films «Sound of Metal» ist zwar frei erfunden, Gehörschäden gehören aber auch für Schweizer Musiker zum Berufsrisiko.

Von Gil Bieler

Musik und Schlagzeug spielen, darum dreht sich das ganze Leben von Ruben. Er lebt den Traum vom Rockstar: Bis ihn ein plötzlicher Gehörsturz völlig aus der Bahn wirft. Nicht nur seine Leidenschaft, sein ganzes Leben gerät aus den Fugen.

So schlimm wie im Oscar-prämierten Film «Sound of Metal» hat es Steve Gasser nicht erwischt – doch der Schlagzeuger aus Winterthur hat seit seinen frühen Zwanzigern einen permanenten Tinnitus auf beiden Ohren. Ein Andenken an seine Zeit bei Celtic Frost, einer der bekanntesten Schweizer Heavy-Metal-Bands, die seit den Achtzigerjahren weltweit ein Begriff ist.

Zum Film

Das Drama «Sound of Metal» hat bei der diesjährigen Oscar-Verleihung in der Nacht auf Montag in den Kategorien «Schnitt» und «Ton» abgeräumt. Der Film von Regisseur Darius Marder gewann auch den Hauptpreis am Zurich Film Festival 2019. Einen offiziellen Schweizer Kinostart gibt es noch nicht.

Aus heiterem Himmel kam der Gehörschaden nicht: «Bei Celtic Frost hatten wir riesige Verstärker auf der Bühne», erinnert sich Gasser. «Es war bombastisch laut.» Gerade die Becken, die auf Kopfhöhe angebracht sind, hatten eine verheerende Wirkung: «Die haben mein Gehör geschlissen», sagt der Drummer. Aber als junger Mann habe er sich auch nicht gross Gedanken über Gehörschutz gemacht. «Rock'n'Roll ist einfach laut.»

Der Tinnitus kam schleichend. «Eines Nachts, beim Einschlafen, war dieses Pfeifen da.» Und obwohl er früh zum Arzt gegangen sei und alle möglichen Therapien ausprobiert habe, sei der Pfeifton – ein C – nie mehr weggegangen. «Ich musste lernen, damit zu leben.» Dank Meditationstraining könne er den Tinnitus mittlerweile gut ausblenden.

Ein blinder Fleck des Gehörs

Der Schaden, der ist aber angerichtet: Bei einer Tonfrequenz von 12'000 Hertz hat Gasser ein «schwarzes Loch», sein Gehör nimmt Töne in diesem Bereich nicht mehr wahr. Immerhin gibt es heute technische Möglichkeiten, um das auszugleichen – ein Segen. «Wenn früher etwas zu leise war, hat der Toningenieur einfach die komplette Lautstärke aufgedreht», erklärt Gasser. «Heute habe ich ein eigenes Mischpult, das für mich den idealen Sound kreiert. Die für mich nicht hörbaren Frequenzen nehme ich von Anfang an komplett raus, um mein Gehör zu entlasten.»

Steve Gasser hat bei den Metal-Pionieren von Celtic Frost getrommelt – und an Konzerten mit weit über 100 Dezibel.
Steve Gasser hat bei den Metal-Pionieren von Celtic Frost getrommelt – und an Konzerten mit weit über 100 Dezibel.
Bild: zVg

«Bei Musikern sind Gehörschäden ein Berufsrisiko», findet Gasser. Er kenne zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, die damit zu kämpfen hätten. Auch er höre schlechter als jemand im selben Alter, der nicht so viel mit Musik zu tun habe, sagt der 55-Jährige. Auf die Story von «Sound of Metal» angesprochen, sagt er: «Nichts mehr zu hören, das wäre ein Albtraum. Wie bei einem Fotografen oder Maler, der das Augenlicht verliert.»

Gimma: Mit «halbem Gehör» durchgestartet

Einer, der dieses Berufsrisiko ebenfalls kennt, ist der Bündner Rapper und Schriftsteller Gimma. Der 41-Jährige ist auf dem linken Ohr komplett taub – wobei er sich als Spezialfall sieht, denn: «Ich habe erst mit der Musik angefangen, als ich nur noch auf einem Ohr gehört habe.» Wie seine Songs in Stereo klingen, wisse er gar nicht, ergänzt er mit einem Lachen.

Sein Gehörverlust geht auf eine Operation zurück, der er sich im Teenageralter unterziehen musste. Ein Tumor war auf seinem Trommelfell entdeckt worden. Doch sowohl bei dem siebenstündigen Eingriff wie auch bei der Nachbehandlung habe es Komplikationen gegeben, sagt der Musiker, der mit bürgerlichem Namen Gian-Marco Schmid heisst.

Mit seinem «halben Gehör» habe er sich als Jugendlicher rasch arrangiert. Kein Weltuntergang. Auch beim Einstieg in den Hip-Hop sei das nie ein Hindernis gewesen. Doch als seine Musikkarriere in den 2000er-Jahren an Fahrt aufnahm, wurden die Konzerte häufiger, die Bühnen grösser – und damit auch die Gesundheitsprobleme.

Schmid bekam Gleichgewichtsstörungen, am tauben Ohr kam es zu Blutungen und Entzündungen. Als er sich um das Jahr 2010 herum auch noch das gesunde Trommelfell angerissen habe, seien Auftritte unmöglich geworden: «Für eine normal hörende Person ist das schwer vorstellbar, aber am Schluss konnte ich eine Gitarre nicht mehr von einem Schlagzeug unterscheiden», erinnert sich Schmid. «Es gab Situationen, in denen ich backstage stand und nicht wusste, ob ich das Konzert durchziehen kann.»

«Ich musste meinem Gehör eine Pause gönnen»: Gian-Marco Schmid alias Gimma.
«Ich musste meinem Gehör eine Pause gönnen»: Gian-Marco Schmid alias Gimma.
Bild: zVg

Er zog durch, einige Jahre sogar – «aber es war eine extrem nervenaufreibende Zeit». Irgendwann musste Schmid die Notbremse ziehen: Grosse Konzerte lagen nicht mehr drin, erst recht nicht mit einer Band. «Ich musste meinem Gehör eine längere Pause gönnen, alles andere war mir zu heikel.» Er verlegte sich auf Auftritte im kleineren Rahmen, liess es dann aber ganz sein – und musste das Leben als Berufsmusiker an den Nagel hängen.

Angst davor, sein Gehör dauerhaft zu verlieren, habe er nicht gehabt, sagt Schmid. Eher Existenzängste: «Der schlimmste Moment war jener, als ich bei der IV anklopfte, die mir keinerlei Unterstützung anbot», sagt Schmid. Dabei habe er als Musiker mit einer Gehörbehinderung gedacht, dass sein Fall wenigstens geprüft werden solle. «Ohne Unterstützung musste ich mich halt selber durchhangeln, bis ich wieder Tritt fassen konnte.» Nach mehreren Jobwechseln ist er mittlerweile im Marketing tätig, daneben als Schriftsteller.

Konzerte, so laut wie ein startender Düsenjet

Noch eine ganze Runde lauter als bei Schmid waren die Konzerte wohl bei Steve Gasser, der mit Celtic Frost auch durch die Vereinigten Staaten tourte – wo es anders als hierzulande keine Beschränkung der Lautstärke an Konzerten gebe. In der Schweiz sind maximal 100 Dezibel erlaubt. «Bei Konzerten in den USA waren wir sicher bei 120, 130 Dezibel», sagt Gasser. Zur Verdeutlichung: 100 Dezibel entsprechen dem Lärm, den ein Presslufthammer in zehn Metern Entfernung verursacht. 120 Dezibel verursacht ein startender Düsenjet.

Gasser ist dankbar dafür, dass ihm ein Gehörsturz erspart blieb – und der passionierte Musikfan tut auch alles dafür, dass das so bleibt. «Ich achte sehr genau darauf, dass nichts passiert.» Ob bei Konzerten mit seiner Band, mit der er Motörhead-Songs covert, beim Erteilen von Schlagzeugunterricht oder beim Musikhören; er halte die Lautstärke immer möglichst tief.

Auf einen erheblichen Gehörschaden kommt Gasser fast beiläufig zum Ende des Gesprächs zu sprechen: Auf einem Ohr hört er nur noch mit 70 Prozent der normalen Leistung – was aber nicht am Heavy Metal liege, sondern am Schweizer Brauchtum: «Als Kind ist eine Feuerwerksrakete gleich neben mir explodiert», erzählt er. «Seither bin ich kein allzu grosser 1.-August-Fan mehr.»

Celtic Frost bei einem Auftritt 1989 im legendären Hammersmith Odean, London.

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