Petition gegen Einwegmasken«Wir befürchten, dass die Pandemie das Plastikproblem verschärft»
Von Sulamith Ehrensperger
30.10.2020
Überall Gesichtsmasken: Der Kampf gegen das Virus führt zu mehr Kunststoffmüll. Es dauert Jahrhunderte, bis sich eine Einwegmaske abgebaut hat. Greenpeace verlangt nun den Einsatz von Stoffmasken.
Gesichtsmasken, Einmalhandschuhe oder Verpackung für Essen to go: Herr Rohrer, Sie sind Campaigner bei Greenpeace, erlebt Plastik in der Corona-Krise ein Comeback?
Der Plastikverbrauch durch Privatpersonen hat wahrscheinlich zugenommen. Plötzlich wurden bei den Grossverteilern Einweg-Handschuhe fürs Einkaufen angeboten. Und viele Restaurants haben ihre Mahlzeiten in Einweggeschirr geliefert, statt auf mehrfach verwendbares Geschirr zu setzen. Teilweise durfte man auf dem Markt nicht mal mehr seine eigenen Mehrwegsäckli für Früchte und Gemüse benutzen.
Ich stelle fest, dass die Hygienemasken überall herumliegen, nicht nur auf den Trottoirs, auch mitten in der Natur – mit welchen Folgen?
Das beobachten auch wir in den letzten Wochen wirklich sehr stark. Die Masken liegen auf den Strassen, in den Naherholungsgebieten – man sieht eigentlich überall immer mehr weggeworfene oder nicht richtig entsorgte Einwegmasken. Das macht uns Sorgen, denn sie werden zunehmend zum Problem für Tier und Umwelt. Plastik verrottet nicht. Ist es einmal in der Umwelt, zerfällt es in immer kleinere Teile, bis das menschliche Auge es nicht mehr sehen kann. Das ist eine Gefahr gerade auch für Tiere, die das Plastik verschlucken oder sich in den Ohrenschlaufen verfangen.
Zur Person: Philipp Rohrer
zVg
Philipp Rohrer ist Campaigner und Experte für Zero Waste bei Greenpeace Schweiz und zuständig für die Kampagnen gegen Einwegverpackungen und Plastik.
Kann man die Einwegmasken auf grünere Art und Weise entsorgen?
Wichtig ist, dass Einwegmasken korrekt im Abfall entsorgt werden. Im Kampf gegen Plastikmüll ist es aber sinnvoller, auf korrekt hergestellte Stoffmasken zu setzen, die sich mehrfach verwenden lassen. Gerade im Hinblick darauf, dass uns diese Maskenpflicht sicherlich noch länger begleiten wird, sind zertifizierte Stoffmasken eine umweltfreundliche Alternative zu den Einwegmasken.
Nun fordern Sie die Menschen auf, Greenpeace Fotos von herumliegenden Masken zu schicken. Warum?
Die meisten Wegwerfmasken bestehen aus Kunststoff und die Natur benötigt bis zu 450 Jahre, um eine einzelne Einwegmaske abzubauen. Wir haben eine Petition lanciert und fordern vom Bundesrat, dass er die Produktion dieser korrekt hergestellten, zertifizierten Stoffmasken unterstützt. Im Verlauf der Kampagne wollen wir die Leute auffordern, uns Fotos von Masken zu schicken, die sie in ihrer Umgebung, im Wald, auf der Strasse finden. Wir möchten das Ausmass dieser Verschmutzung und deren Folgen dokumentieren.
Als Konsumentin beobachte ich, dass ich nun öfter mit Plastikgeschirr to go abgespeist werde.
Das ist leider auch ein Trend, der sich seit dem Frühling verstärkt hat. Doch bereits im Juni haben mehr als hundert führende Gesundheitsexperten aus verschiedenen Ländern bestätigt, dass mehrfach verwendbare Verpackungen, wie auch wiederverwendbares Geschirr oder Kaffeebecher, auch während einer Pandemie sicher verwendet werden können. Wichtig im Umgang damit ist allerdings, dass die bekannten Hygienemassnahmen berücksichtigt werden. Der Einsatz von Mehrweggeschirr ist übrigens auch nie vom Bund verboten worden, es ist eine Vorsichtsmassnahme, den die Betriebe getroffen haben.
In Privathaushalten dürfte sich generell mehr Verpackungsmüll anhäufen: Hauslieferdienste und Online-Shopping liegen zu Pandemiezeiten voll im Trend. Plastik wird häufig für Verpackungen eingesetzt, das heisst fast 40 Prozent des gesamten Kunststoffs landen nach sehr kurzer Zeit direkt im Müll. Mit welchen Folgen?
Wenn man nur den korrekt entsorgten Abfall anschaut, dann sorgt der bei uns in der Schweiz für relativ wenig Probleme. Aber unser Abfallberg ist ein Symbol für unser Konsumverhalten auf Kosten der Umwelt. Wir hatten schon vor der Pandemie einen der höchsten Abfallberge europaweit. Wenn nun noch mehr Plastik verbraucht wird, viel mehr Dinge entsorgt und Neues gekauft wird, ist zu befürchten, dass die Pandemie das Plastikproblem weiter verschärfen wird. Plastik wird aus Erdöl oder Erdgas hergestellt, es ist ein fossiles Produkt, das am Ende auch unser Klima anheizt.
Sehr viele haben ihren Haushalt ausgemistet und Dinge weggeworfen. Wie geht das umweltfreundlicher?
Nicht immer gleich in die Tonne damit. Wenn es im Abfall landet, wird es verbrannt und dann ist es verloren. Viele Gegenstände lassen sich reparieren, aufwerten, umnutzen oder weitergeben. Vielleicht lässt sich aus dem einen oder anderen ausgedienten Kunststoffteil etwas ganz Neues, Schönes, Nützliches kreieren. Für Upcycling gibt es jede Menge Ideen.
Es ist mehr Bio gekauft worden. Manche haben aufs Velo umgesattelt. Könnte diese Krise vielleicht Treiber für bewussteres Konsumieren und Denken werden?
Ich glaube, die Pandemie treibt unser Verhalten in zwei Richtungen: Einerseits sind sich die Menschen bewusster geworden, sie haben die Natur in ihrer Umgebung und ihr Zuhause viel mehr schätzen gelernt. Andererseits verstärkt sie Individualisierungstendenzen, es wird beispielsweise wieder mehr Auto gefahren, weil man keine ÖV benutzen will. Oder auch der Online-Handel, der stark gewachsen ist und mit den vielen Verpackungen die Natur belastet. Dieses Widerspruchs sollten wir uns bewusst sein und uns vermehrt überlegen: Was macht Sinn, was nicht?
Was kann ich als Konsumentin konkret noch gegen die Plastikflut tun?
Mehrweg statt to go, auch in Pandemie-Zeiten. Sich Zeit nehmen an einem sonnigen Herbsttag und den Kaffee im Strassencafé trinken statt aus dem Plastikbecher. Auf dem Wochenmarkt einkaufen oder konsequent den Offenverkauf im Supermarkt nutzen. Getränke in Mehrwegflaschen vom Getränkehändler geniessen statt aus PET- oder Einwegflaschen von den Grossverteilern. Davon profitiert erst noch die lokale Wirtschaft. Jährlich werden mehr als 100 Millionen Tonnen Plastik für Produkte hergestellt, die weniger als fünf Minuten genutzt werden.