Victoria's Secret Fashion Show – der Chauvinismus frisst seine eigenen Töchter  

Von Philipp Dahm

22.11.2019

Victoria's Secret begräbt seine einst gefeierte «Fashion Show». Das Aus für die «Engel» kommt allerdings nicht plötzlich. Denn das Unternehmen hat das Online-Geschäft unterschätzt – und den gesellschaftlichen Wandel.

Die «Victoria’s Secret Fashion Show» ist Geschichte: Die einst hochgradig angesagte Dessous-Schau wird nicht mehr fortgeführt, bestätigte der Mutterkonzern L Brands dem «Guardian». Bereits im Mai wurde öffentlich, dass sich kein TV-Sender mehr findet, der die Show noch übertragen will.

Kein Wunder: Die Quote schmieren seit der TV-Premiere auf dem US-Sender «ABC» im Jahr 2001 kontinuierlich ab – von einst himmlischen 12,4 Millionen Zuschauer auf magere 3,3 Millionen im letzten Jahr. Die nackten Zahlen haben jedoch nur vordergründig das Ende der Show besiegelt: Eigentlich sind sie bloss die messbare Folge von Umwälzungen in der Branche, die das Lingerie-Label verschlafen hat.

Ausgerechnet Victoria’s Secret. Die Marke mischte mit ihrem «Engel»-Konzept, das neben den Models auch den Verkaufszahlen Flügel verliehen hat, ab 1995 den Markt mächtig auf. Die «Angels» wurden als neue Aushängeschilder präsentiert, die den Marktanteil der Firma auf 14 Prozent im Jahr 1998 emporhievten.

Siebenstellige Model-Gagen

Für die Models war ein Victoria's-Secret-Vertrag das Nonplusultra: Sie verdienten siebenstellige Beträge und durften bei der Arbeit auch mal den Mund aufmachen. Gisele Bündchen avancierte im Jahr 2000 zu den Topverdienerinnen ihrer Branche, als sie für ihren Vierjahresvertrag 25 Millionen Dollar kassierte.

Schönheitsideale im Wandel

Vor ihr strahlten Helena Christensen, Laetitia Casta und Heidi Klum von den Titelseiten der Hochglanz-Magazine herab – und bewirkten auch in Werbespots wahre Wunder. Zum Beispiel 1999: Eine Reklame in der Super-Bowl-Halbzeitpause bescherte dem Unternehmen in der ersten Stunde nach der Ausstrahlung eine Million Visits – eine damals fantastische Zahl.

Die Fashion Show jenes Jahres wurde erstmals im Internet gestreamt: Die Übertragung erreichte mit über zwei Millionen Usern ein Rekordpublikum, was auch am damaligen Marketingbudget von 100 Millionen Dollar gelegen haben dürfte. Anfang des Jahrtausends ist die Linie so hip, dass sich Victoria's Secret als erste Marke auf dem Hollywood Walk of Fame verewigen darf.

«Lingerie wird zur Mainstream-Unterhaltung»

«The Daily Beast» schreibt 2013 rückblickend: «Die erste Fashion Show des Unternehmens ist für die Frauen eine Mischung aus selbstbewusstem Herumstolzieren und für die Männer voyeuristisches Vergnügen: Lingerie wird zur Mainstream-Unterhaltung.» Warum also gibt es die Unterwäsche-Schau schon fünf Jahre später zum letzten Mal?

2018 – Allerletzte Fashion Show

«Women’s Wear Daily» bringt das erste Problem 2008 auf den Punkt: «Victoria’s Secret wird dafür getadelt, dass die Produktqualität mit dem Hype der Marke nicht mithalten kann. Ein Problem, das [nun] auch der CEO der Kette eingeräumt hat.»

Der zweite Fehler: Die Firma setzt auf neue Franchise-Shops statt auf den Online-Handel. Dass der Nachteil durch Rabattaktionen wettgemacht werden soll, untergräbt das Qualitätsimage der Marke weiter. Das rächt sich noch heute: In den USA haben alleine in diesem Jahr schon mehr als 53 Filialen dichtgemacht.

Gesellschaftlichen Wandel verpennt

«Victoria’s Secret» versucht zwar, gegen den schleichenden Gesichtsverlust anzukämpfen: Seit 2001 werden bekannte Musiker akquiriert, um der Fashion Show Aufmerksamkeit zu garantieren. Doch selbst die Schützenhilfe von Taylor Swift, Ed Sheeran und Ariana Grande (2014) oder Lady Gaga, Bruno Mars und The Weekend (2016) können die Quote nicht mehr über die zehn-Millionen-Marke hieven. Und während der Stern der Engel verblasst, erobern neue, freche Lingeriemarken Marktanteile.

Dass Victoria’s Secret nicht mehr so gefragt ist wie früher, hat auch mit dem Fokus der Firma zu tun, der auf nackter Haut liegt. Als Sharen Jester Turney im Jahr 2000 CEO wird, sieht er die Marke in der Schmuddelecke. Der Katalog sei «in einigen Schlafzimmern ein Ersatz für den ‹Playboy›», weshalb man die «Nutten-Looks runterfahren» müsse.

Model-Karriere dank einzigartigem Look

Erfolgreich war die versuchte Züchtigung aber nicht: Die National Women Organisation nannte die Fashion Show 2002 ein «Softcore-Porno-Infomercial»; Infomercial ist die Zusammenzug der Wörter «information» und «commercial».

Mit «Sexy Little Geisha» ins Abseits

Spätestens mit Abgängen von Engeln wie Gisele Bündchen 2007 oder Heidi Klum 2010 reduzierte sich die Show endgültig auf das Äussere, was 2012 im Eklat um die auf Asien abzielende «Sexy Little Geisha»-Kampagne gipfelte. Den neuen Engeln fehlt die Bodenhaftung: Ab 2015 erreicht keine Show mehr als sieben Millionen Zuschauer. Die #MeToo-Bewegung sorgt zusätzlich dafür, dass die Dekolleté-Parade im Abseits landet.

Dazu passt ein Shitstorm, den sich die Firma Ende 2018 einhandelt, als ihr Marketingchef gefragt wird, ob er sich auch transsexuelle oder Size-Plus-Models vorstellen könne. Ed Razek verneint und begründet das so: «Weil die Show eine Fantasie ist. Es ist ein 42-minütiges Unterhaltungsprogramm.» Als sich Razek für die Aussage entschuldigt, ist es zu spät – und das gilt am Ende auch für die Fashion Show.

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