Hotspot FloridaStrand und Party – «Wer zuerst Covid erwischt, gewinnt»
Von Sulamith Ehrensperger
29.7.2020
Florida gilt als eines der Epizentren der Krise: Seit Mitte Juni hat sich die Corona-Situation deutlich zugespitzt. Party-Strände, Covid-Sausen und Familienglück – ein Gespräch mit einem dort lebenden Arzt.
Herr Phlaum, wie gross ist die Angst in Florida vor dem Coronavirus?
Viele Menschen sind verängstigt, deprimiert oder haben sich isoliert. Andererseits gibt es leichtsinnige Coach-Kids, die Covid-Partys geben. Die Teilnehmenden zahlen Geld ein, und wer zuerst Covid erwischt, gewinnt das Geld. Das ist doch verrückt. Hier wollen alle ihre Freiheit, aber viele wollen nicht Verantwortung tragen.
Wie ist denn Florida so ganz ohne Touristen?
Ich liebe es. Aber das Problem ist natürlich, dass so viele Menschen vom Tourismus abhängig sind, die haben alle ihre Arbeit verloren. Es ist schwierig eine Balance zu finden zwischen weiteren Ansteckungen und dem Verlust von Arbeitsplätzen. Wir müssen jetzt wirklich alle an einem Strang ziehen.
Was hat sich seit Corona in Ihrem Alltag am meisten verändert?
Meine beiden erwachsenen Töchter und ihre Familien leben jetzt wieder bei uns. Normalerweise lebt eine Tochter mit ihrem Mann in New York, sie waren dort drei Monate eingeschlossen und jetzt gibt es für sie als Künstler keine Arbeit mehr. Die ältere Tochter und ihre Familie leben in Los Angeles, ebenfalls ein Corona-Hotspot. Sie unterrichten nun Fitnesskurse online von unserem Wohnzimmer aus. Ich sehe meine Töchter sonst nur zweimal pro Jahr, dank Corona sind wir nun vereint.
Wie gestaltet sich Ihr Alltag mit Corona?
Wir gehen nicht mehr ins Restaurant. Eigentlich gehen wir nur noch ausser Haus, um Lebensmittel einzukaufen. Wir tragen Masken und achten auf Social Distancing. Bisher funktioniert dieses neue Leben gut. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas verpasse, auch weil wir die gemeinsame Familienzeit geniessen.
In Ihrem Bundesstaat mit gut 21 Millionen Einwohnern gibt es inzwischen weit mehr als 400’000 Infektionen. Warum bekommt Florida die Kurve nicht?
Das Problem sind die Strände, dort kommen Menschenmassen zusammen. Sie strömen von überall her, auch aus Alabama, Georgia oder Louisiana, die alle hohe Fallzahlen haben. Am Strand bewegen sich alle ohne Maske und es gibt kein Social Distancing – es ist unglaublich. Doch die Regierung hört nicht auf uns Ärzte, die Situation ist sehr frustrierend. Wir versuchen alles, was wir können, aber wir werden nicht gehört.
Wie hat das Virus Ihren Alltag als Kardiologe verändert?
Es ist eine intensive Zeit, auch weil Herzpatienten zur Risikogruppe gehören. Wir haben nur 60 Betten, im Moment sind elf davon mit Covid-Patienten besetzt. Bei der Arbeit müssen auch wir uns schützen. Vor der Arbeit beurteilen wir auf einer App unser Covid-Risiko, etwa ob wir grippeähnliche Symptome haben. Uns wird die Temperatur gemessen und wir tragen Masken. Wenn ich von meinem Büro rüber ins Krankenhaus gehe, muss ich wieder das ganze Prozedere durchmachen, obwohl es gleich nebenan ist.
Der Gouverneur von Florida ist ein grosser Donald-Trump-Fan. Kann man das spüren?
Es ist wie, wenn er in Trumps Gesässtasche sässe. Wir sind sehr bestürzt darüber, denn er wird alles tun, was Trump von ihm verlangt. Trumps Arbeitsweise ist, ein Tyrann zu sein, aber ein Virus lässt sich nicht tyrannisieren.
Trump ist jetzt plötzlich bekennender Masken-Fan. Findet bei der Bevölkerung ein Umdenken statt?
Ich kann nicht sehen, dass eine akute Veränderung passiert ist. Ich glaube, dass die Menschen anfangen, Covid ernster zu nehmen, weil die Zahlen rapide ansteigen – mehr als je zuvor.
Kann man sagen, dass mit oder ohne Maske auch eine Frage der politischen Einstellung ist?
Oh ja, man kann deutlich sehen, dass Trump-Anhänger seltener eine Maske tragen, als Menschen, die demokratischer sind. Die Menschen im Süden – zu dem auch Florida gehört – waren schon immer grosse Trump-Anhänger. Ich denke, das hat einen negativen Einfluss.
Der Bundesstaat gilt auch als eine Art Altersresidenz: 20 Prozent der Bevölkerung ist über 65 Jahre alt, sie gehören damit zur Corona-Risikogruppe.
Unsere ältere Bevölkerung bleibt zu Hause und meidet soziale Situationen, sie sind nicht das Problem. Das Problem sind die Besucherinnen und Besucher aus anderen Bundesstaaten, die das Virus mitbringen.
Ein neues Hobby oder alte Freundschaften aufleben lassen – für manche hat die Krise auch positive Auswirkungen auf den Alltag. Bei Ihnen auch?
Corona hat unsere Familie zusammengebracht – und damit sind wir gesegnet.