Die Letzten ihrer Art Mit dem Webstuhl per Du im Münstertal

Nicolai Morawitz

5.1.2019

Ist seit 28 Jahren Weberin und kein bisschen müde: Alexandra Salvett.
Ist seit 28 Jahren Weberin und kein bisschen müde: Alexandra Salvett.
Bild: Bluewin/mn

Die industrielle Massenfertigung und der Welthandel haben der Weberei in der Schweiz schwer zugesetzt. Doch im Bündner Münstertal behauptet sich eine der letzten Handwebereien hartnäckig. «Bluewin» hat sie besucht.

Dicht an dicht stehen die mitunter 500 Jahre alten Häuser in Santa Maria – ganz so, als wollten sie sich schützen vor den umliegenden Bergmassiven, wie Pinguine vor einem Schneesturm. Der Münstertaler Ort wird vom Rest der Schweiz durch den Ofenpass getrennt und ist so weit von grösseren Metropolen entfernt, dass die Lichtverschmutzung besonders gering ist.

In Santa Maria, wo die Strasse zum Umbrail, dem höchstgelegenen Alpenpass der Schweiz abzweigt, ist auch eine Reise in die Tiefen der Geschichte möglich.

Ein Webstuhl mit Charakter

In der Handweberei Tessanda arbeiten Menschen schon seit 90 Jahren an den Webstühlen. Einige dieser Modelle wurden bereits vor dieser Zeit hergestellt und hören auf Namen, die aus einem Fantasie-Roman stammen könnten: Ornamaint, Il Grond oder Donna Veglia.

Alexandra Salvett arbeitet bereits seit 28 Jahren als Handweberin oder Gewebegestalterin, wie der Beruf in jüngster Zeit getauft wurde. Die 44-Jährige ist in Santa Maria geboren und hat schon mit 16 Jahren eine Lehre in der Weberei begonnen. Im Video erklärt sie, warum auch ein Webstuhl Eigenheiten und Marotten besitzen kann:

«Jeder Webstuhl hat seinen Charakter»

«Jeder Webstuhl hat seinen Charakter»

Alexandra Salvett kennt das Webhandwerk in- und auswendig. Sie hat mit 16 Jahren eine Lehre als Weberin begonnen und arbeitet seitdem bei der Tessanda in Santa Maria. Mit der Zeit hat sich eine ganz besondere Beziehung zu den Webstühlen entwickelt.

04.01.2019



In der Tessanda weben und nähen derzeit zwölf Frauen – zudem ist eine Lernende beschäftigt. In der Schweiz gibt es überhaupt nur noch sieben  solcher Betriebe, die Lehrstellen anbieten, wie die Interessensgemeinschaft Weben ermittelt hat.

Wenn sich Alexandra Salvett an den Webstuhl setzt, gleicht sie ein wenig einer Organistin, die behutsam auf ihrer Orgel spielt. Gleichmässig knarzt es im alten Holzgebälk des Webstuhls, rhythmisch schiebt sie das Webschiffchen durch die gespannten Fäden. Man müsse sehr konzentriert sein beim Arbeiten am Webstuhl. «Es ist wie Musik», sagt die 44-Jährige.

Alexandra Salvett bei einer ihrer 'Kompositionen'.
Alexandra Salvett bei einer ihrer 'Kompositionen'.
Bild: Bluewin/mn

Eingewobene Geschichte

Damit ein Teppich oder ein Tuch überhaupt perfekt gewebt werden kann, muss zunächst der Webstuhl genau vorbereitet werden: Je nach Muster, Grösse und verwendetem Garn benötigen zwei Weberinnen dafür zwei Tage. Weil Salvett und ihre Kolleginnen mit bis zu 65 Meter langen Ketten arbeiten, muss von Anfang an alles genau stimmen. 

An diesem Tag arbeitet die Münstertalerin an einem Teppich mit einem rautenförmigen Flammhaar-Muster, das schon sehr alt ist und immer in der Region hergestellt wurde. Als sie mit der Lehre begonnen habe, sei sie hauptsächlich vom Webstuhl fasziniert gewesen, so Salvett. «Doch in der Zwischenzeit ist mir immer bewusster geworden, um was für ein wertvolles Handwerk es sich handelt.»

Die Tessanda wurde 1928 von einem Dorfpfarrer, einer Weblehrerin aus Chur und einer Handarbeitslehrerin gegründet – schon damals befand sich die Handweberei auf dem Rückzug, stand doch Ende des 19. Jahrhunderts in fast jedem Haus im Tal ein kleiner Webstuhl. Eines der wichtigsten Ziele war, den jungen Frauen in dem entlegenen Bergtal eine Berufslehre zu ermöglichen. Und an dieser Prämisse hat sich bis heute in dem ausbildenden Handwerksbetrieb nichts geändert.

Alexandra Salvett arbeitet mit ihren Kolleginnen an handgewobenen Unikaten.
Alexandra Salvett arbeitet mit ihren Kolleginnen an handgewobenen Unikaten.
Bluewin/mn

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