Die Letzten ihrer ArtVon wegen alte Leier: Dieser Aargauer baut noch Drehorgeln
Nicolai Morawitz
18.12.2018
«Meine Drehorgel hat einen besonderen Sound»
Hans Schmid hat eine Schwäche für Drehorgeln: Er sammelt sie in seinem Büro und repariert sie in seiner Kellerwerkstatt. Der 71-Jährige ist fasziniert von der jahrhundertealten Geschichte der mechanischen Musik.
05.12.2018
Drehorgeln sind wahre Wunderkästen: Eine fein austarierte Mechanik ist nötig, damit sie einen Ton produzieren können. Das jahrhundertealte Wissen über die Instrumente geht aber langsam verloren. «Bluewin» hat einen der letzten Drehorgelbauer der Schweiz besucht.
Filigrane Pfeifen, ein kräftiger Blasebalk, lasiertes Holz: Vor Hans Schmid liegen verschiedene Bauteile einer Drehorgel auf dem Tisch verteilt. Er bringt das Instrument eines Bekannten wieder auf Vordermann. «Dieses Modell hat bestimmt schon 50 bis 60 Jahre auf dem Buckel», sagt der Aargauer.
«An der Drehorgel fasziniert mich die Technik noch mehr als die Musik», sagt Hans Schmid, dies während er die Pfeifen säubert. Akribisch prüft der 71-Jährige die Mechanik und schaut, dass der Blasebalk im Inneren des Kastens auch einwandfrei funktioniert. Dieser löst den Luftstrom aus, durch welchen ein Ton erzeugt wird.
Die Schwierigkeit bei der Reparatur sei, dass kein System dem anderen gleiche. Häufig müsse für eine Inspektion die gesamte Apparatur zerlegt werden, so Schmid.
Stolz auf Eigenbau
Wenn Schmid über seine selbstgebaute Drehorgel spricht, dann schwingt eine grosse Portion Stolz mit. Der pensionierte Schreiner weiss nur zu genau, dass nur noch sehr wenige Menschen in der Schweiz dieses Handwerk beherrschen.
Die letzte Boomzeit habe die Drehorgel in den 1960er Jahren erlebt, sagt Schmid. Also in einer Zeit, als Schmid selbst noch die Lehrlingsbank drückte. Doch seit der Jahrtausendwende ist dem mechanischen Musikinstrument die Luft ausgegangen. In Europa werden nur noch wenige neue Instrumente verkauft.
Für Reparatur-Experten wie Schmid hat diese Krise aber auch positive Aspekte: Die Instrumente der eingefleischten Drehorgel-Fans werden immer älter und sind entsprechend reparaturanfällig.
Teure Tradition
Eine der letzten Drehorgelmanufakturen im deutschsprachigen Raum liegt im bayrischen Dinkelsbühl. Hans Schmid vertritt die Deleika in der Schweiz. Beim bayrischen Drehorgelhersteller heisst es auf Anfrage, dass die Verkaufszahlen rückläufig seien. Neue Kunden kämen in den meisten Fällen aus Regionen ausserhalb von Europa. Beim Traditionshersteller beginnt der Einstieg in die Drehorgelwelt bei rund 2'000 Franken. Es sind aber auch Instrumente für umgerechnet 45'000 Franken im Angebot.
Die Drehorgel ist zwar in ihren Grundzügen in den letzten hundert Jahren unverändert geblieben, doch ganz verschliessen vor dem digitalen Zeitalter konnte auch sie sich nicht. Lieder werden heute nicht mehr ausschliesslich auf Lochbändern gespeichert, sondern ebenfalls auf elektronischen Speicherchips — auch Hans Schmid greift mittlerweile auf sie zurück.
Die zuvor üblichen Papier-Lochbänder ähnelten in ihrer Funktionsweise den ersten Lochkarten-Computern: In der Welt der Drehorgel kann man «Eins und Null» dagegen mit «Luft oder Nicht-Luft» für die Drehorgelpfeife übersetzen.
Woher die Lied-Information stamme, sei aber letztendlich egal, findet Schmid. Wichtig sei das richtige Gefühl beim Drehorgelspielen: Jeder Kurbeldreh muss genau auf die Melodie des Liedes abgestimmt sein. Und daran hat sich in den vergangenen Jahrhunderten, überhaupt seit es Drehorgeln gibt, nichts geändert.
Die Schweiz ist ein Land des Handwerks – doch wird das immer so bleiben? In der Serie «Die Letzten ihrer Art» kommen Menschen zu Wort, die in aussterbenden Berufen arbeiten. «Bluewin» ist dafür von Bern nach Appenzell und vom Münstertal ins Tessin gereist und hat Werkstätten, Magazine und Ateliers besucht.
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