Kolumne am Mittag Loredana, Rapperin – und für manche die Frau des Jahres

Von Michael Angele

30.12.2020

«Das ganze Land gegen mich»: Loredana.
«Das ganze Land gegen mich»: Loredana.
Bild: Keystone

Rapperin Loredana wird vom Kolumnisten zur Frau des Jahres 2020 gekürt. Und das, obwohl sie ihren Führerschein kürzlich wegen einer Raserei abgeben musste.

In Deutschland ist Loredana richtig gross. Keine Musikerin wurde auf Spotify in diesem Jahr mehr gestreamt als die 25-jährige Luzernerin. Auftritt in «Ein Herz für Kinder», der grössten Spenden-Gala des deutschen Fernsehens, zusammen mit den Grössen des Gangster-Raps: Florian Silbereisen, Helene Fischer, Dieter Hallervorden. Und was für ein Auftritt.

Der Obergangster Hallervorden spendete lumpige 2000 Euro. Eine Steilvorlage für Loredana: «Ich glaube, 2000 Euro wäre zu wenig von mir. Ich verdiene halt ein bisschen mehr. Ich habe mit meinem Team beschlossen, wir spenden 100'000 Euro.»

War da was mit Betrug, Pardon, «Betrugsvorwurf»? So denken Neider.

Nein, Loredana, Mutter einer zweijährigen Tochter, will andere Mütter glücklich machen. Tue Gutes und zeige es. Fame statt Shame. Loredana bricht endgültig mit dem «Diskurs der Enge» (Paul Nizon), gegen den Generationen von Schweizer Kunstschaffenden leidend angerannt sind.

Zuerst Carl Spitteler, dann DJ Bobo

Da war ein Carl Spitteler. Vor hundert Jahren bekam der Schriftsteller den Nobelpreis. Mehr Ruhm ging nicht. Den Preis erhielt er für «Olympischen Frühling». 20'000 Verse, in Hexametern verfasst, man könnte von einem experimentellen Rap sprechen.

Konnte Spitteler seinen Ruhm geniessen? Ja, aber im Korsett seiner Zeit. Sein Haus in Luzern hatte freie Sicht auf See und Berge. Als extravagant kann man den Garten bezeichnen, den der Italien-Fan mit Kamelien und Zitronenbäumen schmückte. Ein angesehener Bürger seiner Stadt, aber war er auch glücklich? Nein, er träumte davon, den Gotthard zu sprengen, damit die Schweiz endlich südeuropäische Luft atmen kann.

Dann kam DJ Bobo. Sein Erfolg begann vor rund 30 Jahren und hält an. 2008 liess sich der Aargauer am Vierwaldstättersee eine Villa bauen. Sie spiegelt den Ruhm eines Mannes der Eurodance-Welle. So wie seine Songs schlicht besingen, was sie überall auslösen (Tanzen, Singen, eine Party verlängern), so könnte die Villa auch auf Ibiza oder in der ukrainischen Provinz stehen. Der DJ sagt, er habe nichts dagegen, wenn man sie bestaunt.

Zwischenspiel Max Frisch. Der erfolgreiche Schriftsteller fuhr einen Jaguar 420. Halb scherzhaft meinte er, ihm sei schon klar, dass der Wagen ein «Statussymbol» sei.

«Das ganze Land gegen mich»

Zurück zu Loredana. Statussymbole sind ihr Thema. Keine Ahnung, was sie, die ihren Führerschein wegen einer Raserei abgeben musste, privat fährt. Ihre Videos und Texte zeigen eine Vorliebe für Lambos und Maybachs.

Auch ist nicht bekannt, ob sie ihr Versprechen aus dem ersten Album eingelöst hat: «Bald hol ich mir eine Villa / Mit circa 23 Zimmern.» Definitiv stimmt allerdings nicht mehr, was sie auf ihrem neuen Album «Medusa» rappt: «Das ganze Land gegen mich.»



Sogar ein Zürcher Wochenmagazin, das eher für seine Beiträge über Ausländerkriminalität gelesen wird, feiert die Fünfundzwanzigjährige nun  – als Gegengift zur schweizerischen «Selbstverzwergung». Respekt.

Aber bitte beim nächsten Album die Autotunes etwas diskreter einsetzen, nicht alles an den helvetischen Tugenden ist schlecht. Und bitte, jetzt, wo Sie es allen gezeigt haben, Madame, könnten auch Sie sich der alten Indianerweisheit beugen, dass man Geld nicht essen kann, gopferdelli nochmal.

Zum Autor: Der Berner Michael Angele liefert regelmässig eine Aussenansicht aus Berlin – Schweizerisches und Deutsches betreffend. Angele schreibt für die Wochenzeitung «Der Freitag». Er ist im Seeland aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Deutschlands Hauptstadt. Berndeutsch kann er aber immer noch perfekt. Als Buchautor erschienen von ihm zuletzt «Der letzte Zeitungsleser» und «Schirrmacher. Ein Porträt».


Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.

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