Was ist bloss mit Anne Will passiert, fragt sich der Kolumnist. Geunkt wurde schon, dass Botox für die eine oder den anderen TV-Moderator kein Fremdwort sei. Aber nun betrifft es das Gesicht des Polit-Talks schlechthin.
Anne Will sieht irgendwie anders aus. Ich bin kein Spezialist in solchen Dingen, aber mir scheint klar, dass sie ihr Gesicht einer Schönheits-OP unterzogen hat. Und das nicht zum ersten Mal.
Dazu zwei Vorbemerkungen: 1. Das ist ihr gutes Recht 2. Es kommt in einer politischen Sendung auf die Inhalte an, nicht auf Äusserlichkeiten.
Leider ist es nun aber so, dass ich schon länger Anne Will am Sonntagabend auf dem Kanal ARD mit einem Gefühl der Irritation schaue. Ein Gefühl, das sich seit der Sondersendung über Corona gestern Sonntag verstärkt hat und auch heute Vormittag noch anhält.
Deutlich wurde es, als Markus Söder zugeschaltet wurde. Auch eine dicke Schminke konnte die Krähenfüsse und Falten im Gesicht des 53 Jahre alten bayerischen Ministerpräsidenten nicht zudecken. Schnitt auf die Moderatorin, die sogar ein Jahr älter ist als Söder (Jahrgang 1966). Eine Glätte im Gesicht, die unsere Bewunderung hervorrufen muss, eine Glätte, die sogar ihr Lachen, wie soll man sagen: überstrahlt?
Ein beklemmendes Gefühl
Ich musste googeln, fand aber keinen Hinweis. Ein beklemmendes Gefühl. Ja, sieht das denn keiner? Zum Glück kenne ich eine Expertin auf dem Gebiet der chirurgischen Eingriffe im obersten Siebentel des Menschenkörpers. Sie ist Vorstandsmitglied in einem grossen polnischen Stahlkonzern, auch ihr kosmetischer Sachverstand steht ausser Zweifel.
Ich schickte ihr ein ein älteres und das neueste Video der Sendung. Ihr Gutachten ist eindeutig: «No wrinkles around the eyes», «face is more full», «rounded scratches», «only mouth area not done or not enough hyaluronic acid». Alles in allem: «New Face.»
Wie gesagt, es ist die Sache von Frau Will. Aber eben nur zum Teil. Denn natürlich ist das Fernsehen nicht nur ein öffentliches, sondern auch ein visuelles Medium. Und manchmal wird gerade dort das Offensichtliche übersehen. Wie in der Erzählung «Der entwendete Brief» von Edgar Allen Poe. Ein Brief wird in erpresserischer Absicht gestohlen, die Polizei kennt den Täter, durchsucht dessen Haus, findet aber nichts. Bis der Groschen endlich fällt: Der Brief liegt zuoberst auf der Ablage.
Jörg Pilawa und Kai Pflaume
Zuoberst auf der Ablage liegt also auch das neue Gesicht der Anne Will. Das ist nun deswegen interessant, weil sie das Gesicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist. Zwar wurde schon geunkt, dass Botox für einen Jörg Pilawa oder ein Kai Pflaume kein Fremdwort sind. Aber nun betrifft es das Symbol des populären und doch seriösen Polit-Talks, der wichtigsten Institution der ARD.
Dass sich Moderatorinnen von Nachrichten in privaten Medien sichtbar verschönern, kann niemandem verborgen bleiben, der deutsche oder Schweizer Boulevard-Portale konsultiert. Es wird auch niemanden stören, der solche Nachrichten regelmässig sieht. Im Gegenteil dürfte das ansprechende Äussere die schwere Wahl der Nachrichtensendung erleichtert haben.
Aber zumindest beim deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das angeblich nicht auf die Quote schaut (hahaha), wurde diesbezüglich noch eine altmodische Linie gefahren: Moderatorinnen, auch Moderatoren dürfen in Würde altern, man soll ihnen ruhig die Erfahrung ansehen etc.
Die Optimierungsgesellschaft
Also etwas, was unserer Optimierungsgesellschaft total zuwiderläuft. Und damit auf Dauer chancenlos ist. Den letzten Moderatoren ohne Botox wird man in einer Kultursendung um drei Uhr nachts sehen und er wird vermutlich Max Moor heissen.
Ja, mehr noch: Ich sehe die Zeit kommen, in der man auch diese Kolumne überhaupt nicht mehr verstehen wird, so selbstverständlich wird es sein, der Natur ein, zwei, viele Schnippchen zu schlagen. Zweifellos wird man dem alten Traum ewiger Jugend immer näherkommen.
Dahingestellt bleibt jetzt, ob selbst die Unsterblichkeit schon mit Anne Will erreicht wird. Nur ein armseliger Zyniker kann das als Hölle beschreiben.
Zum Autor: Der Berner Michael Angele liefert regelmässig eine Aussenansicht aus Berlin – Schweizerisches und Deutsches betreffend. Angele schreibt für die Wochenzeitung «Der Freitag». Er ist im Seeland aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Deutschlands Hauptstadt. Berndeutsch kann er aber immer noch perfekt. Als Buchautor erschienen von ihm zuletzt «Der letzte Zeitungsleser» und «Schirrmacher. Ein Porträt».
Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.