Corona und die SexualitätKlaus Heer: «Zu viel Nähe bekommt keinem Paar»
Von Bruno Bötschi
27.3.2020
Paartherapeut Klaus Heer erklärt, was die Corona-Krise für Paare und Familien bedeutet. Er sagt, was in der aktuellen Situation helfen kann – und gibt Tipps für eine friedliche Quarantäne.
Was mir deutlich auffällt: ständig dieses leise Herzklopfen. Ich glaube, es ist Angst. Ganz innen.
Und aussen?
Ich bin den ganzen Tag beschäftigt. Mehr als sonst. Beinahe hyperaktiv. Ich schreibe Pressetexte und lese viel über Liebesressourcen und Beziehungsstress. Ich hänge exzessiv am Telefon, vor allem mit meinen Grosskindern und engen Freunden. Jeden Tag mache ich Ausdauertraining und ausgiebiges Waldbaden mit meiner Frau.
Mit 76 gehören Sie in der aktuellen Corona-Krise zur Risikogruppe: Betreuen Sie trotzdem weiterhin Paare?
Ja, meine kleine Ängstlichkeit macht mich sensibler, scheint mir. Je nach Wunsch der Paare lade ich sie hierher in meine Praxis ein, immer strikt mit gut zwei Meter Abstand natürlich. Oder wir machen’s digital über WhatsApp, Skype oder Facetime. Beides geht gut. Zum Glück gibt’s diese digitalen Medien. Sie machen die Fahndung nach findigen Lösungen praktisch genauso aussichtsreich wie hier leibhaftig in den Praxis-Sesseln.
Das Coronavirus zwingt uns in den nächsten Wochen, vielleicht sogar Monaten, viel zu Hause zu bleiben. Für Paare, denen Nähe nicht guttut, könnte das eine brutal harte Zeit werden, oder?
Zu viel Nähe bekommt keinem Paar. Das weiss man. Aber kollektiver Hausarrest über unbestimmte längere Dauer, wochen- und monatelang, das ist neues Terrain. Niemand kennt sich dort aus.
Wirklich wahr, dass niemand Nähe über längere Zeit gut aushalten kann?
Ich kenne keinen Menschen, der so etwas freiwillig und genüsslich machen würde. Abgesehen von zwei frisch Verknallten – für ein paar wenige Tage oder Wochen vielleicht.
Viele Menschen werden aktuell noch dringender als sonst gebraucht – sprich Ärzte, Pflegemitarbeitende und Supermarktkassiererinnen. Überlastung ist also auch am Arbeitsplatz absehbar.
Diese Doppellast stelle ich mir auch steinig vor. Die Arbeit extrem fordernd und zu Hause diese Enge zu zweit: schlimm! Obwohl – diese Menschen sind oft jahrelang so oder ähnlich eingeklemmt. Nicht erst seit Covid-19.
Sie sind kein Hellseher, aber ein Paartherapeut mit jahrzehntelanger Erfahrung. Was wird in einigen Monaten stärker ansteigen: die Zahl der Geburten oder die Zahl der Scheidungen?
Im Gegensatz zu mir weiss das Mike Shiva vermutlich. Erste vereinzelte Berichte aus der abgeriegelten chinesischen Millionenstadt Wuhan lassen immerhin erwarten, dass eher die Scheidungsgerichte überrannt werden als die Kreisssäle.
Was man in China und anderen Ländern ebenfalls gesehen hat: Es wurde mehr Sexspielzeug verkauft.
Wissen Sie, die Leute kaufen auch gern Hometrainer, die nach ein paar Wochen im Keller landen und verrotten. Die Sexualität braucht ein Minimum an Stress- und Angstfreiheit. In vielen festen Beziehungen sind diese Voraussetzungen nicht einmal zu normalen Zeiten erfüllt. Sextoys sind selten nachhaltige Brandbeschleuniger im Bett.
Auch Datingapps wieTinder warnen schon, dass die Leute sich in nächster Zeit nicht mehr so viel treffen sollen.
Huch, das verstiesse sträflich gegen die geltende bundesrätliche Distanzregelung!
Hergen von Huchting, Beziehungscoach und Paartherapeut in Berlin, sagte im ‹Tagesspiegel›: ‹Die häusliche Gewalt wird steigen, das ist jetzt schon klar.›
Corona und häusliche Gewalt sind im Moment ein journalistisches Lieblingsthema. Vorher hat man es eher vernachlässigt. Vor allem das Nachdenken darüber, wie es überhaupt dazu kommen kann, dass nahestehende Menschen aufeinander losgehen. Darum haben viele Paare von den Hintergründen von physischer Gewalt keine Ahnung.
Dann frage ich Sie: Warum gehen die Menschen aufeinander los?
Physischer Gewalt gehen fast immer Kaskaden von gegenseitigen seelischen Verletzungen voraus. Die Partner fügen sich mit Worten schlimme Schäden zu oder schinden sich mit Schweigen. Eheliches Mobbing ist weit verbreitet. Wenn die Eskalation unerträglich und die Hilflosigkeit bodenlos werden, schmoren schliesslich die Sicherungen durch. Es geschehen Dinge, die man nie für möglich gehalten hätte.
Wie kann man diese ‹Dinge› verhindern?
Man muss unbedingt wissen und begreifen, dass der Partner meistens nicht dreinschlägt, weil er niederträchtig oder primitiv ist. Unwissen und Irrtum produzieren und befeuern die Probleme, die einen in die Verzweiflung treiben. Die schwierigen Lebensumstände unter der Coronafuchtel machen ein liebevolles Zusammenleben zu einem anspruchsvollen Projekt.
Das Coronavirus scheint auch innerhalb der eigenen vier Wände nur für Probleme zu sorgen. Wird die Zeit daheim aber auch Positives ermöglichen? Wir Menschen könnten doch jetzt, wo wir keinen Terminstress mehr haben, Themen angehen, die wir bisher auf die lange Bank geschoben haben.
Ja, den Estrich aufräumen, endlich. Allenfalls die kleine Mauer vor dem Haus reparieren. Oder da wäre auch der Prokrastinationsklassiker, der jetzt noch dringender werden könnte: Die Patientenverfügung, also zum Beispiel die Frage beantworten, ob ich wirklich maschinell beatmet werden will. Man wollte ja auch längst den Vorsorgeauftrag und das Testament an die Hand nehmen.
Das sind alles gute Ideen und auch wichtige Themen – aber gibt es auch richtig schöne Dinge, die man daheim zusammen machen kann? Also solche Sachen, die nicht direkt oder indirekt mit dem Tod zu tun haben?
Ja, klar gibt es das. In rauen, unübersichtlichen Mengen. Seit wir behördlich auf nicht absehbare Zeit zusammengepfercht worden sind, quillt das Netz über von den mannigfaltigsten Ideen und Impulsen, wie man sein Leben und Zusammenleben in seinen engen vier Wänden beleben, erweitern und bereichern kann. Zum Beispiel mit Facebook, YouTube, Instagram und natürlich Google.
Haben Sie konkrete Tipps, was Paare und Familien in den nächsten Wochen und Monaten tun sollten, damit den einzelnen Mitgliedern nicht schon bald die Decke auf den Kopf fällt und man sich gegenseitig nur noch nervt?
Die meisten kennen doch die Crux aus eigener Anschauung. Die Corona-Abriegelung ist Weihnachten und Ostern und Ferien am Stück. Viel zu wenig Struktur und viel zu viel Reibung. Eine Klimakonferenz kann und muss neue Weichen stellen. Wir müssen die Tage klar organisieren, jeden einzelnen Tag. Und wir müssen auch unbedingt dafür sorgen, dass wir mit dem Alleinsein nicht zu kurz kommen. Wir müssen. – Ist Ihnen das konkret genug?
Nein.
Also: In der ‹ausserordentlichen Lage› ist fast nichts mehr selbstverständlich in Sachen enger Beziehung und Familie. Fast alles in den vier Wänden muss neu ausgehandelt und vereinbart werden. Wer hat welche Aufgaben, wer unterstützt wen auf welche Weise? Wie ermöglichen wir einander, dass alle ihre Klagen – also nicht Anklagen! – anbringen können, damit man eine Verbesserung suchen und finden kann? Und jedermann braucht täglich Gelegenheit, einen Moment für sich zu sein. Allein in seinem Zimmer oder wenigstens in seiner Ecke. Oder allein draussen an der frischen Luft. Sonst erstickt man in der Paar-Enge.
Die Universität Zürich bietet für Paare ein Online-Training. Was halten Sie von solchen Angeboten?
Dieses Projekt, niederschwellig und kostenfrei, ist eines von vielen seriösen Angeboten im Netz, die den Beziehungs-Horizont erweitern können. Das Thema ‹Stress in den eigenen vier Wänden› lässt sich gut gemeinsam und präventiv auf den Tisch bringen.
Angenommen, ein Paar steigert sich zurückgezogen in ein Angst-Szenario hinein. Wie käme es da wieder heraus?
Angst birgt die Gefahr, zwei Menschen in ein bedrohliches Beziehungsghetto hineinzutreiben. Die Liebe ist ein Organismus, der auf den Austausch mit der umgebenden menschlichen Biosphäre dringend angewiesen ist. Das heisst, dass beide Partner unbedingt in Kontakt bleiben müssen mit ihren anderen nahen Bezugspersonen. Im Moment halt notgedrungen digital.
Und wie lauten Ihre Tipps für Paare, die zusammen leben, Angst haben, aber bei denen gegenseitig wenig Vertrauen vorhanden ist?
Im Grunde ist die jetzige Corona-Episode die goldene Monogamie-Zeit. Vermutlich hat es noch nie eine Epoche gegeben, wo das Paar diese einzigartige Chance hatte, einander zu halten und beizustehen, sie dürfen sich sogar richtig berühren! – ein Privileg, um das sie viele Alleinlebende beneiden. Zwei Leuten, die das nicht checken und schätzen, denen nützen auch die cleversten Tipps nichts.
Nach zwei Wochen Notstand in der Schweiz: Wie beurteilen Sie die Lage allgemein?
Es ist nichts mehr wie vorher, und für die Zukunft scheinen sich die meisten Koordinaten zu verschieben. Es ist, als würde die Erde den Atem anhalten. Neues will geboren werden. Die Paare, die zu mir kommen, scheinen die Gunst der schweren Stunde zu spüren: Wenn wir je einen Neustart der Liebe wagen wollen, dann jetzt oder nie!
Und Ihre persönliche Lage?
Die Angst ist kein so schlechter Ratgeber, wie es immer heisst. Die feine Angst tief in meinem Innern weckt mich auf und ich sehe: Der Frühling ist da. Mit viel Sonne und Bise.
So grundsätzlich: Was sind die langfristigen Folgen der Corona-Krise für die Gesellschaft?
Der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx weiss das viel besser als ich. Lassen Sie Hirn und Fantasie anregen beim Lesen dieses Textes.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
Zur Person: Klaus Heer
Klaus Heer, 76, bildete sich nach seinem Psychologiestudium in Hamburg und Bern in Psycho- und Paartherapie weiter. In den 40 Jahren, in denen er mit Paaren arbeitet, hat er sich den Ruf einer Kapazität in Fragen Liebe, Partnerschaft und Sexualität erworben. Er schrieb Sachbücher wie die Bestseller «Ehe, Sex & Liebesmüh’» und «Paarlauf. Wie einsam ist die Zweisamkeit?». Heer lebt und arbeitet in Bern.
Das sind die zwölf verrücktesten Pflanzen der Welt
Tödliches Gift: Der Wunderbaum (Ricinus communis) gilt mit seinen Früchten als giftigste Pflanze auf der Erde. Das Endosperm der Samen ist stark giftig, da es das toxische Eiweiss Rizin enthält. Rizin ist eines der potentesten natürlich vorkommenden Gifte überhaupt. Der Tod tritt unbehandelt durch Kreislaufversagen etwa 48 Stunden nach der Vergiftung ein. Der Wunderbaum ist in Ost- und Westafrika beheimatet, wird
Bild: iStock
Gross, grösser, am grössten: Der Riesenmammutbaum (Sequoiadendron giganteum) im Westen der USA ist das massivste beziehungsweise voluminöseste bekannte Lebewesen der Welt. Der immergrüne Baum kann bis zu 95 Meter hoch und einen Stammdurchmesser von 17 Meter haben.
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Kletternder Parasit: Mit einem Durchmesser von über einem Meter bildet die Riesenrafflesie (Rafflesia amoldi) die grösste Einzelblüte. Allerdings existiert die gigantische Blüte der Kletterpflanze nur wenige Tage, dann zerfällt das rote, nach Aas riechende Organ. Zurück bleibt ein Haufen schwarzen Schleims.
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Blüte mit Heizung: Naht die Blütezeit, macht die Titanwurz eine erstaunliche Verwandlung durch: Bis zu zehn Zentimeter am Tag schiesst ihr gigantischer Blütenstand nach oben. Und um Insekten für die Befruchtung anzulocken, verströmt das Fortpflanzungsorgan einen Aasgeruch und heizt sich auf 36 Grad Celsius auf.
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Königin der Anden: Die Riesenbromelie (Puya raimondii) ist die weltweit grösste Bromelie, mit mehr als zehn Metern Höhe. Sie hat auch eine der grössten Blütenstände aller Pflanzen und ist eine vom Aussterben bedrohte Art, die in den Anden in Peru und Bolivien beheimatet ist.
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Ganz schön alt: Der Riesen-Eukalyptus (Eucalyptus regnans) wächst als immergrüner Baum, der ein Alter von etwa 400 Jahren erreichen kann. An bevorzugten Standorten kann er Wuchshöhen von 65 Metern in 50 Jahren erreichen. Er gilt als der höchste Laubbaum der Welt, möglicherweise sogar als der höchste Baum überhaupt. Bei einem 1872 gefällten Exemplar wurden 132 Meter an Höhe gemessen.
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Königlich stark: De Riesenseerose Victoria ist wohl eine der eindrucksvollsten Pflanzen auf dem blauen Planeten überhaupt. Mit bis zu drei Metern hat sie den grössten Blattdurchmesser. 1840 entdeckt vom Botaniker Richard Schomburgh, wurde sie benannt nach Queen Victoria. Viele Botanische Gärten bauten in der Folge eigene Victoria Häuser.
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Gefiederte Blätter: Die Raphia-Palme ist vorwiegend im tropischen Afrika beheimatet. Ihre Blätter gelten mit bis zu 25 Meter Länge als die grössten im Pflanzenreich. Sie sind nicht nur sehr gross, sondern auch gefiedert und bleiben nach dem Absterben an der Pflanze.
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Schweres Früchten: Der Jackfruchtbaum (Artocarpus heterophyllus) ist in Indien beheimatet. Er bekommt, wenn man von Zuchterfolgen wie Riesenkürbisse und dergleichen einmal absieht, die schwersten Früchte. Sie können mehr als 30 Kilogramm wiegen.
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Über 4000 Jahre alt: Im Patriarch Grove in den White Mountains in Kalifornien stehen 17 Exemplare der Langlebigen Kiefer (Pinus longaeva), die über 4000 Jahre alt sind. Ein Baum, dessen Alter von 4700 Jahren durch Auszählung der Jahresringe in einem kleinen Bohrkern bestimmt wurde, trägt den Namen «Methuselah». (Archivbild)
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Fast 10'000 Jahre alt: Über die älteste individuellen Lebewesen wird, je nach Definition, gestritten. Aber eine Pflanze ist es auf jeden Fall: Eine Gemeine Fichte (Picea abies) in Schweden, deren Stamm viel jünger ist, konkurriert mit den Langlebigen Kiefern. Sie geht aus Wurzelwerk hervor, das seit etwa 9600 Jahren existieren soll.
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Affen-Gesicht: Wer die Dracula simia ansieht, wundert sich wahrscheinlich nicht, warum sie den Beinamen Affen-Orchidee trägt. Viel Fantasie um das Gesicht eines Primaten zu erkennen, braucht es nicht. Die Pflanze wächst in 300 bis 600 Meter Höhe in Peru und Ecuador und duftet nach Orange.
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Klein, aber hübsch: Die Wurzellose Zwergwasserlinse (Wolffia arrhiza) gilt als kleinste Blütenpflanze über- überhaupt. Ihre Blüten sind für das menschliche Auge unsichtbar. Der Pflanzenkörper selbst ist maximal 1,5 Millimeter lang. Und übrigens: Sie ist als Aronstabgewächs mit der Titanwurz recht eng verwandt.
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