Kolumne Geknickt sind die Bäume, geknickt bin ich

Von Caroline Fink

23.8.2021

Oberhalb des Stadtspitals Triemli wurde eine Grillstelle fast vollständig zerstört.
Oberhalb des Stadtspitals Triemli wurde eine Grillstelle fast vollständig zerstört.
Bild: Caroline Fink

Als ein Unwetter nie gesehenen Ausmasses in einer Juli-Nacht über Zürich zieht, weilt die Kolumnistin in den Ferien im Engadin. Zurück in der Stadt, bemerkt sie erst keine grösseren Schäden. Bis sie am Üetliberg biken geht und merkt: Einen ihrer Lieblingswälder gibt es nicht mehr.

Von Caroline Fink

In der Nacht vom 13. Juli schlief ich wie ein Murmeltier im Hotel im Engadin. Anders als meine Freunde und Bekannten in Zürich: Es war die Nacht, als ein Hagelsturm über die Stadt fegte und alle aus dem Schlaf riss, derweil ich in süssen Träumen war.

Tags darauf beschäftigte ich mich dann zunächst mit meinem neuen Hobby: dem Mountainbiken.

Erst am späten Vormittag sah ich in den Nachrichten Bilder aus Zürich: Manche Strassen meiner Stadt wirkten, als wäre ein Tornado durch sie gefegt. Oder wie eine Bekannte mit Blick auf ihren Balkon später erzählen wird: als hätte jemand mit einem Maschinengewehr auf ihren Oleander geschossen.

Mein Balkon blieb verschont

Zur Autorin: Caroline Fink
Bild: Gaudenz Danuser

Caroline Fink ist Fotografin, Autorin und Filmemacherin. Selbst Bergsteigerin mit einem Flair für Reisen abseits üblicher Pfade, greift sie in ihren Arbeiten Themen auf, die ihr während Streifzügen in den Alpen, den Bergen der Welt und auf Reisen begegnen. Denn von einem ist sie überzeugt: Nur was einen selbst bewegt, hat die Kraft, andere zu inspirieren.

Als ich nach den Ferien heimkehrte, war ich erleichtert. Mein Balkon war verschont geblieben. Die rosa und weissen Geranien blühten wie zuvor und Unordnung gestiftet hatten einzig und wie immer die Spatzen, die täglich in meinen unbepflanzten Töpfen baden.

Ja selbst mein Atelier in Altstetten, wo der Sturm eine Schneise der Verwüstung geschlagen hatte, sah aus wie vor den Ferien: graue Fassade, Fensterfront mit Lamellenstoren, Gartenstühle auf der Dachterrasse.

Ich glaubte schon, die globale Klimaerwärmung in Form dieses Hagelsturms hätte in meinem städtischen Lebensalltag keine Spuren hinterlassen.

Die Welt am Üetliberg war eine neue

Bis ich zwei Wochen später nach der Arbeit auf mein Mountainbike stieg, um auf Zürichs Stadtberg, den Üetliberg, zu pedalieren. Durch den Wald, in dem ich die Stadt vergesse, wo Vögel zwitschern und Bäche plätschern.

Doch wohin ich auch fuhr, traf ich auf Absperrbänder – die Wege waren aufgrund von Holzschlag gesperrt. Irritiert stieg ich vom Rad und fragte einen anderen Velofahrer, ob der Biketrail – eine speziell für Mountainbiker gebaute Abfahrtsroute – noch fahrbar sei.

Anstelle eines Blätterdachs breitet sich an manchen Orten des Waldes am Uetliberg nun der Himmel aus.
Anstelle eines Blätterdachs breitet sich an manchen Orten des Waldes am Uetliberg nun der Himmel aus.
Bild: Caroline Fink

Der Mann schüttelte den Kopf und schaute mich so schief an, als wüsste die ganze Welt, was ich noch nicht begriffen hatte: Die Welt hier am Üetliberg war eine neue.

Als neugieriger Mensch schlüpfte ich unter einem Absperrband durch und schob mein Velo einer Forststrasse entlang in Richtung Biketrail. Nach hundert Metern staunte ich über die mächtigen Buchen, die am Boden lagen.

Was im Auge bleibt, bleibt im Sinn

200 Meter weiter verlor ich die Orientierung: Ich sah Wege und Pfade, die ich nicht mehr einordnen konnte, über mir der fahle Sommerhimmel, während rund um mich Baumstrünke wie zerbrochene Streichhölzer aufragten. Ich blieb stehen, blickte um mich und begriff: Meinen Wald gab es nicht mehr. Den Biketrail ebensowenig. Wie der Brunnen und die Grillstelle, vor der ich stand, hatte der Sturm alles zerstört.

Wie lange es dauern wird, bis der Trail wieder befahrbar ist, weiss ich nicht.

Klar aber ist: Den Wald, durch den ich seit Jahren jogge, spaziere und neuerdings radle, werde ich nie mehr so sehen wie vor den Sommerferien. Denn bis die Buchen wieder so hoch stehen werden wie zuvor, wird es Jahrzehnte und Jahrhunderte dauern.

Wo Wanderweg und Biketrail verliefen, liegen nun Bäume quer.
Wo Wanderweg und Biketrail verliefen, liegen nun Bäume quer.
Bild: Caroline Fink

So werde ich dem Klimawandel mit seinen jüngsten Wetterextremen künftig jede Woche ins Auge blicken – als Joggerin, Bikerin oder Ruhesuchende. Was auch seine guten Seiten hat.

Denn was im Auge bleibt, bleibt im Sinn. Und bezogen auf den Klimawandel tun wir alle gut daran, diesen im Sinn zu behalten. Ganz besonders seit dem letzten Bericht des Uno-Klimarates.

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In der Rubrik «Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren, freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von «blue News» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an: redaktion.news@blue.ch.

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