Schweizer Starkoch wurde nicht bedient Gehört Unfreundlichkeit in Zürcher Luxusläden zum Konzept?

Bruno Bötschi

12.10.2024

In Luxusboutiquen wie dem Hermès-Shop an der Bahnhofstrasse in Zürich gelten beim Verkauf andere Regeln. Die oberste Priorität jedoch hat Exklusivität, sagt Luxus-Experte Markus Kramer.
In Luxusboutiquen wie dem Hermès-Shop an der Bahnhofstrasse in Zürich gelten beim Verkauf andere Regeln. Die oberste Priorität jedoch hat Exklusivität, sagt Luxus-Experte Markus Kramer.
Bild: IMAGO/Zoonar

Beim Shoppen in Luxusboutiquen gelten andere Regeln. Behauptet wird zudem, würden sich Verkäufer abweisend verhalten, steige das Verlangen nach den Produkten. Stimmt das wirklich? blue News hat nachgefragt.

Bruno Bötschi

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • In den Luxusboutiquen an der Bahnhofstrasse in Zürich gelten beim Verkauf andere Regeln.
  • Für Luxuslabels sind zwei Aspekte besonders wichtig: eine glaubwürdige Geschichte rund um den Brand erzählen – und das Angebot verknappen.
  • Zu lesen ist auch immer wieder, dass die Verkäufer*innen sich in Luxuslabels-Shops abweisend verhalten würden, um das Verlangen der Konsument*innen zu steigern.
  • Zu dieser Geschichte passt ganz gut, was dem Schweizer Starkoch André Jaeger diese Woche im Hermès-Shop in Zürich passiert ist. Jaeger wollte dort ein 1000-fränkiges Geschirrset als Geschenk für Freunde kaufen, stattdessen wurde er nicht bedient.
  • Was die Verknappung angeht, habe Hermès neue Standards gesetzt, sagt Luxus-Experte Markus Kramer. 
  • «Dass eine gewisse Distanz bei Luxusmarken den Wunsch nach deren Produkten sogar steigern kann, ist psychologisch fundiert», so Kramer im Interview mit blue News.

Für Luxuslabels sind zwei Aspekte besonders wichtig: eine glaubwürdige Geschichte rund um den Brand erzählen – und das Angebot verknappen.

Was die Verknappung angeht, habe Hermès neue Standards gesetzt, sagt Markus Kramer. Der Luxus-Experte berät mit seiner Agentur Firmen, die ihr Image verändern oder zumindest daran feilen wollen.

Kürzlich war in den Medien zu lesen, dass Hermès zwei Kunden den Kauf eines «Birkin Bag» verweigert habe. Die nach der Schauspielerin Jane Birkin benannte Tasche kostet je nach Modell über 100’000 Franken.

Zu lesen ist immer wieder auch, dass die Verkäufer*innen sich in Luxuslabels-Shops unfreundlich und abweisend verhalten würden, um das Verlangen der Konsument*innen noch weiter zu steigern.

Zu dieser Geschichte passt ganz gut, was André Jaeger diese Woche im Hermès-Shop an der Bahnhofstrasse in Zürich passiert ist. Der Schweizer Starkoch wollte dort ein 1000-fränkiges Geschirrset als Geschenk für Freunde kaufen.

Es kam anders als gedacht. Beim Besuch im Hermès-Shop fühlte sich Jaeger schlecht behandelt. Er verliess den Laden ohne Geschirr – und machte später seinem Frust in den sozialen Medien und auf blue News Luft.

Herr Kramer, was bedeutet Luxus?

Luxus geht weit über das Materielle hinaus. Es geht um den Tiefgang, der eine Verbindung zu Emotionen und Werten herzustellen vermag. Das Gefühl von Einzigartigkeit, Exklusivität und zeitloser Qualität. Echter Luxus definiert sich nicht allein über Preis und Status, sondern durch die Bedeutung, die Menschen einer Sache oder einem Erlebnis beimessen. Es geht aber auch um Respekt und das Gefühl gegenseitiger Wertschätzung: der Kunde gegenüber der Marke und den Menschen dahinter. Und natürlich die Marke gegenüber dem Kunden.

Der Schweizer Starkoch André Jaeger wollte im Hermès-Shop an der Bahnhofstrasse in Zürich ein Geschirrset kaufen. Nachdem er nicht bedient wurde, obwohl nur noch eine andere Kundin im Laden anwesend war, verliess er die Luxusboutique unverrichteter Dinge.

Die einfache Antwort, und unter Vorbehalt, dass die Fakten so stimmen: Da ist etwas falsch gelaufen.

Für mich hat das Verhalten der Mitarbeitenden mit fehlendem Anstand zu tun.

Luxus sollte stets mit Respekt und Wertschätzung einhergehen, egal ob im Umgang mit Kunden, Mitarbeitern oder mit den Menschen, welche die Luxusprodukte fertigen. Auch wenn es stimmt, dass man auch als guter Kunde nicht immer alles bekommt – auch wenn man es will oder das Geld dazu hat – ist das noch lange kein Grund, diese Prinzipien zu umgehen.

Oft ist zwar gerade im Retail, also in den Boutiquen, und im Onlinebereich zu Beginn nicht klar, wer ein Kunde ist, vielleicht wird oder auch nie werden wird. Aber dafür gibt es klare Abläufe und Prozesse, sodass solche Situationen erst gar nicht entstehen.

Sie beraten mit Ihrer Agentur Brand Affairs Firmen, die an ihrem Image feilen wollen. Zu lesen ist immer wieder, dass Luxuslabels wie Hermès, Prada und Louis Vuitton, ihre Produkte extra verknappen würden. Warum tun die das?

Indem Luxusmarken ihre Produkte bewusst limitieren, erhöhen sie deren Exklusivität und steigern damit Begehrlichkeit. Es geht darum zu zeigen, dass diese Produkte nicht für jedermann zugänglich sind, sondern eine besondere Rarität darstellen. Diese Herangehensweise nutzt psychologische Mechanismen wie das «FOMO»-Prinzip (Anmerkung der Redaktion: Fear of Missing Out, zu Deutsch: Angst, etwas zu verpassen) und kann die Marke stärken. Denn was man nicht haben kann, ist begehrlich.

Rationierter Luxus, also gewollte Mangelwirtschaft: Stimmt’s?

Ja, in gewisser Weise lässt sich das so sagen. Luxusmarken nutzen gezielt die Verknappung ihrer Produkte, um eine exklusive Aura um ihre Marken aufzubauen. Oft bezieht sich das aber nur auf sogenannte «Halo» Produkte.

Damit schafft man mit wenigen, extremen Produkten Aufmerksamkeit, die dann der gesamten Marke Strahlkraft verleiht – und damit auch den 99 Prozent der Produkte, die dann viel günstiger und auch zugänglich sind. Diese Prinzipien machen sich aber schon längst nicht mehr nur Luxusmarken zu Nutze.

«Luxusmarken nutzen gezielt die Verknappung ihrer Produkte, um eine exklusive Aura um ihre Marken aufzubauen»: Markus Kramer berät mit seiner Agentur Firmen, die an ihrem Image feilen wollen.
«Luxusmarken nutzen gezielt die Verknappung ihrer Produkte, um eine exklusive Aura um ihre Marken aufzubauen»: Markus Kramer berät mit seiner Agentur Firmen, die an ihrem Image feilen wollen.
Bild: zVg

Fürchten sich die Luxuslabels davor, dass wenn sich zu viele Kund*innen eine ihrer teuren Tasche leisten können, der Lack abblättert und diese zu Massenwaren werden?

Ja, absolut. Luxus lebt von dem Gefühl des Besonderen. Wenn sich ein Luxusprodukt zu weit verbreitet, verliert es an Exklusivität und somit auch den Reiz für viele Kunden. Das ist für Luxusmarken immer eine Gratwanderung – man will mehr verkaufen, aber nie um den Preis, dass die Begehrlichkeit kippt. Sie wissen genau, dass der Wert, der Preis und damit die Marge eines Produkts stark davon abhängt, wie exklusiv es wahrgenommen wird. Darum ist für Luxusmarken weniger oft tatsächlich mehr.

Im vergangenen April sagten Sie im «Tages-Anzeiger» über den Hermès-Shop in Zürich: «Die Angestellten hier verkaufen einem nichts, man kauft ihnen etwas ab.»

Damit meine ich die spezielle Dynamik in Luxusgeschäften, bei welcher der Kunde nicht das Gefühl hat, aktiv umworben zu werden, sondern eher selbst darum bemüht sein muss, Zugang zu einem Produkt zu bekommen. Es wird oft das Gefühl vermittelt, dass es ein Privileg ist, überhaupt die Gelegenheit zu haben, etwas zu erwerben. Die Verkäufer verkaufen nicht eine «Transaktion» gegen Geld, sie beraten mit viel Fachwissen.

Das heisst also, wenn sich Verkäufer*innen von Luxusartikeln unfreundlich und abweisend verhalten, steigt das Verlangen der Konsument*innen nach ihren Produkten umso mehr?

Nein, das hat nichts mit unfreundlich oder abweisend zu tun. Hier geht es mehr darum, wie das gemacht wird. Das Prinzip dahinter heisst Distanz. Das startet mit der Bekleidung, geht über das genannte iPad bis zur Absperrkordel vor der Eingangstüre und zeigt: Man muss gewillt sein, zu warten. Damit wird ein Gefühl von Exklusivität erzeugt.

André Jaeger gehörte viele Jahre zu den renommiertesten Köchen der Schweiz. Sein Restaurant Fischerzunft in Schaffhausen wurde vom Gastronomieführer Gault Millau einst mit 19 Punkten bewertet.
André Jaeger gehörte viele Jahre zu den renommiertesten Köchen der Schweiz. Sein Restaurant Fischerzunft in Schaffhausen wurde vom Gastronomieführer Gault Millau einst mit 19 Punkten bewertet.
Bild: zVg

Dass eine gewisse Distanz bei Luxusmarken den Wunsch nach deren Produkten sogar steigern kann, ist psychologisch fundiert. Auch diese Taktik spielt mit der Idee, dass Menschen Dinge stärker begehren, die schwerer zu bekommen sind.

Es ist aber ein schmaler Grat: Sie funktioniert nur, solange sich der Kunde trotzdem wertgeschätzt fühlt. Überschreitet man diese Grenze, kann die Erfahrung, wie bei André Jaeger, ins Negative kippen und Schaden anrichten. Aber es darf nie über das Verhalten gehen. Das bleibt höflich und freundlich.

Nutzen mit der Verknappung ihrer Produkte Luxuslabels eine menschliche Charakterschwäche aus?

Ja und nein. Ja, man könnte sagen, dass Luxusmarken eine menschliche Eigenschaft nutzen, nämlich das Streben nach Seltenem und Besonderem. Aber nein, ich sehe das nicht als Schwäche, eher als die tiefe menschliche Sehnsucht nach Individualität und Differenzierung. Luxusmarken reagieren darauf, indem sie diese Bedürfnisse gezielt ansprechen und das Gefühl der besonderen Zugehörigkeit stärken.

Gastronom André Jaeger will künftig keine Hermès-Produkte mehr kaufen. Gilt für die Luxuslabel demnach der Satz «Mit Verlust muss man rechnen»?

Luxusmarken wissen, dass ihre Zielgruppe sehr selektiv ist und sie auf die Qualität und Exklusivität ihrer Produkte bauen können, um weiterhin begehrt zu bleiben. Ja, der Verlust eines Kunden wie André Jaeger ist leider eine mögliche Konsequenz. Die Strategie der Verknappung und Exklusivität bedeutet, dass die Marken in Kauf nehmen, dass nicht jeder potenzielle Kunde auch Kunde wird.

Das ist hart, aber reflektiert die Wirklichkeit, sonst würde das Geschäftsmodell gar nicht funktionieren. Allerdings kann ein solcher Verlust dann problematisch werden, wenn er das Ansehen der Marke schädigt, da Mundpropaganda und negative Berichterstattung in der heutigen vernetzten Welt grosse Auswirkungen haben können. Hier gilt es, den richtigen Balanceakt zu finden und wenn etwas falsch läuft, sofort zu reagieren.

Nach seinem unschönen Shopping-Erlebnis schrieb André Jaeger Hermès eine Mail. In der Folge wurde er mit einer Standardentschuldigung abgespeist.

Schade. Eine nichtssagende Antwort auf das Anliegen eines unzufriedenen Kunden ist immer eine verpasste Chance, egal ob Luxusmarke oder nicht. Im Bereich des Luxus erwartet man, dass sich die Marke persönlich um das Feedback ihrer Kunden kümmert und auf solche Vorfälle empathisch und lösungsorientiert reagiert.

Bei seinem Besuch in Hermès-Shop in Zürich fühlt sich André Jaeger unfreundlich behandelt. Nachdem der Starkoch seinem Frust Luft gemacht hat, hat sich die Firma per Standardmail bei ihm entschuldigt.
Bei seinem Besuch in Hermès-Shop in Zürich fühlt sich André Jaeger unfreundlich behandelt. Nachdem der Starkoch seinem Frust Luft gemacht hat, hat sich die Firma per Standardmail bei ihm entschuldigt.
Bild: zVg

Immerhin ist die Antwort ja persönlich, mit Namen, Kontaktmöglichkeit und dem Versprechen um ein internes Follow-up verbunden – vielleicht ist ja noch etwas zu retten. Es würde Hermès zumindest die Möglichkeit bieten, zu versuchen, den Vorfall wieder gutzumachen und vielleicht sogar das Vertrauen von Herrn Jaeger wiederzugewinnen.

Wie wichtig ist Ihnen persönlich Luxus?

Das ist eine Frage der Definition. Ich bin gerade auf dem Weg in die Ferien mit meiner Tochter. Gestern entschieden, heute starten wir. Für mich ist Luxus eine Frage der Qualität, der Zeit und des Raums für das Wesentliche. Luxus bedeutet für mich, sich die Freiheit zu nehmen, Dinge bewusst tun zu können und zu geniessen.

Das kann ein gutes Gespräch sein, der Kauf eines handgefertigten Produktes, aber auch einfach ein Moment der Ruhe für sich selbst. Luxus ist für mich weniger eine Frage des Besitzens als vielmehr des bewussten Erlebens und der Wertschätzung. Ist das wichtig für mich? Ja, ich würde sagen, es gehört zu meinem Fundament.


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