Rekord-Kletterer Bergsteiger Dani Arnold: «Dass es gefährlicher wird, ist offensichtlich»

Cornelia Alig

21.9.2017

Dani Arnold ist Profi-Alpinist. Während «normale» Bergsteiger für schwierige Wände einen Tag oder mehr brauchen, geht er an die Grenze: Bekannte Nordwandrouten wie die am Eiger, am Matterhorn oder am Badile bezwingt er in Rekordzeiten – ohne Seil. Mit «Bluewin» sprach der Mammut Pro Team Athlet über Limite, Risikobereitschaft und wie der Klimawandel seine Sportart beeinflusst.

Alles hatte ganz simpel begonnen, mit Wanderungen, leichten Hochtouren, Klettern und dem Versuch mit zwei Eispickeln den gefrorenen Bach neben seinem Elternhaus im Schächental auf 1720 Metern Höhe hochzuklettern. Heute bewältigt er die schwierigsten Routen der Welt. Spätestens seit seinem Geschwindigkeitsrekord an der Eigernordwand im Jahr 2011 ist Dani Arnold auch der Öffentlichkeit als einer der weltbesten Alpinisten bekannt.

Inzwischen hat der 33-Jährige unter anderem einige der schwierigsten Routen wie «The Hurting» in Schottland oder «Ironman» im Jura bezwungen. Ausserdem das «Crack Baby» - ein Eisfall an der Breitwangflue im Kandertal, an dem die meisten Bergsteiger einen Tag lang beschäftigt sind – in 27 Minuten gemeistert und die Erstbegehung der 1500 Meter hohen Nordostwand des Moose's Tooth in Alaska zusammen mit David Lama geschafft.

Daneben ist der Urner Bergführer, leitet Ausbildungen wie jene in Andermatt am Mammut Alpine Festival, wo er den Teilnehmern zeigte, auf was es beim Bergsteigen ankommt, - und hält Vorträge, bei denen er Einblick in seine Welt gibt, inklusive Motivation, Hintergründe sowie Höhen und Tiefen seiner Expeditionen und Touren.

Mammut Alpine Festival 2017

«Bluewin»: Sie sind Profi-Alpinist. Wie viel geben Sie für den Sport?

Dani Arnold: Ich versuche jeden Tag Sport zu treiben und bin jeden Tag dafür unterwegs: 70 Tage im Jahr arbeite ich als Bergführer, was ein gutes Grundlagentraining für mich ist. Ungefähr drei Monate pro Jahr bin ich auf Expeditionen im Ausland. Daneben führe ich eigene Projekte durch. Je nach Absicht brauche ich einen Monat, um mich spezifisch vorzubereiten. Ausserdem halte ich Vorträge zum Thema Bergsteigen - eine Sparte, die für mich immer wichtiger wird. Ich möchte Leute inspirieren und ihnen klarmachen, dass es sich lohnt durchzuhalten und sich grosse Ziele zu setzen.

Viele Berge sind bezwungen. Muss man immer mehr Risiko eingehen, um ans Limit zu gehen?

Ich glaube nicht, dass man heute mehr Risiko eingehen muss, als früher. Es gibt in der Schweiz sowie im Ausland immer noch zahlreiche Möglichkeiten, etwas Neues zu machen, auch beispielsweise im Speed-Bereich. Man muss einfach gute Ideen haben. Für mich persönlich ist es wichtig, die Projekte nicht etwa danach auszuwählen, was die Öffentlichkeit am meisten interessiert, sondern danach, woran ich am meisten Spass habe. Klar habe ich auch den Ehrgeiz, etwas weiter zu gehen als andere und etwas Neues oder Schnelleres zu machen.

Auf Ihrer Website schreiben Sie «Ich bin bereit, sehr viel für einen Berg zu geben». Was bedeutet «sehr viel»?

Das ist die Risikobereitschaft, die ich jeden Tag neu definiere – sie variiert sehr stark: Wenn ich ein grosses Projekt vorhabe, wie ein Free Solo (Anm. der Red.: Begehung einer Kletterroute im Alleingang), bin ich bereit, relativ viel Risiko einzugehen. Dafür bin ich dann aber auch besser vorbereitet als für andere Vorhaben. Im Gegensatz ist es so, dass die Risikobereitschaft geringer ist und ich viel schneller ein ungutes Gefühl kriege und umkehre, wenn ich mit Gästen oder Kollegen unterwegs bin.

Privat gehen Sie also an Ihre Grenzen?

Ich bin klar dafür, das Risiko so klein wie möglich zu halten. Für gewisse persönliche Ziele oder Lebensträume lohnt es sich aber, auch mal über die Grenze zu gehen und etwas einfach zu versuchen. Wenn man es dann schafft, ist das Gefühl umso besser.

Machen Sie dabei aber einen Fehler, könnte das tödlich enden.

Ein Restrisiko gibt es immer. In den letzten Jahren war ich mit vielen schwierigen Situationen konfrontiert, aber nie da, wo es offensichtlich gefährlich war. Auch die Vergangenheit zeigt: Viele Unfälle sind da passiert, wo es niemand gedacht hätte. Das macht mich nachdenklich, denn es zeigt mir, dass die Chance, dass auf einer einfachen Route etwas passieren könnte, grösser ist, als bei einer Sache, die man vielleicht ein- oder zweimal macht. Zumal ich dafür viel besser vorbereitet bin.

Wie schaffen Sie es, trotzdem zu funktionieren?

Es gibt ja Menschen, die funktionieren auch, wenn um sie herum die ganze Welt zusammenbricht. Ich habe das Glück, eine starke Psyche zu haben. Klar, musste ich klein anfangen. Bald habe ich aber gemerkt, dass ich genau gleich klar denken und richtige Entscheidungen treffen kann, wenn ich mich in einer offensichtlichen Stresssituation befinde. Dafür bin ich sehr dankbar, denn mentale Stärke kann man nur bedingt trainieren – im Vergleich zur Klettertechnik oder Kondition. Ich glaube, eine starke Psyche ist das wichtigste im ganzen Puzzle.

Wann sagen Sie «nein» und brechen eine Tour ab?

Es ist ein Abschätzen mehrerer Faktoren – und schlussendlich immer eine Bauchentscheidung: Äussere Umstände wie das Wetter und die Bedingungen am Berg sowie subjektive Gründe wie Angst können zum Abbrechen einer Tour führen. Ich entscheide situativ, ob ich weitergehe oder nicht. Unter Druck etwas zu machen, ist viel zu gefährlich, weshalb Stopp zu sagen extrem wichtig ist. Doch das braucht auch viel Selbstvertrauen. Wenn ich ein persönliches Projekt abbreche, dann bin ich selber dafür verantwortlich. Schwieriger wird es bei Fotoprojekten, wenn alles aus dem Ruder läuft, man zu spät ist oder irgendwo, wo man nicht sein sollte, oder wenn ich mit Gästen unterwegs bin und dafür bezahlt werde, ihnen etwas zu bieten. Doch gerade in dem Bereich hoffe ich auch ein Vorbild zu sein und die Leute zu ermutigen umzukehren, sobald sie ein ungutes Gefühl haben – auch wenn andere weitergehen. Viele glauben, ich würde nie umkehren. Ich finde es aber wichtig zu zeigen, dass auch ein Profi manchmal aus diversen Gründen eine Tour abbrechen muss.

Wann sind Sie vorsichtig oder gar ängstlich?

In Situationen, in denen schon mal etwas passiert ist, wie etwa im Winter in Zusammenhang mit Lawinen. Vielfach ist es nämlich sehr schwer irgendeine Prognose zu machen. Dann bin ich lieber vorsichtig. Einmal bin ich unter eine Lawine gekommen – das vergisst man nicht mehr.

Die Lawinengefahr kann aber berechnet werden. Wie ist es bei Gletscherabbrüchen und Steinschlägen?

Dort wird es noch schwieriger. Gletscherabbrüche oder Steinschläge sind unberechenbar. Das Problem ist: Vielfach ist es die Temperatur, die uns sagt ob ein Gebiet sicher ist oder eben nicht. Gletscherabbrüche oder Steinschläge sind nicht an die Temperatur gebunden, das kann jederzeit und überall passieren. Niemand weiss wieso.

Wird Bergsteigen wegen des Klimawandels also immer gefährlicher?

Es ist ja leider kein Geheimnis, dass es immer wärmer wird und in der Folge die ganze Stabilität, die uns Gletscher oder Schneefelder geben, immer mehr verloren geht. Das ist wohl auch der Grund, dass es zu einer Verlagerung kommt: Früher klassische Sommertouren macht man heute immer mehr im Herbst oder Winter. Ich will es zwar nicht wahrhaben, doch das ist teilweise nur eine Ausrede. Dass es gefährlicher wird, ist offensichtlich.

Sie sind verheiratet: Wie ist es, wenn Ihre Frau zu Hause ist, während Sie Ihre Grenzen auslotest?

Das ist sehr schwierig und es braucht sehr viel Vertrauen. Vor allem von ihrer Seite: Sie muss mir vertrauen, dass ich zu jedem Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen treffe und keine Fehler mache. Meine Frau Denise klettert aber auch sehr gut, sie versteht also den Reiz, warum man sowas macht. Das macht es wahrscheinlich einfacher.

Letzte Frage: Wie schaffen es Bergführer, alles in einen viel kleineren Rucksack zu packen als die Gäste?

Wir wissen genau, was wir brauchen: Eine Schokolade am Tag reicht eigentlich. Auch an Kleidern nehmen wir je nach Wetterprognose nur das nötigste mit. Gäste nehmen von allem tendenziell zu viel mit. Aber das kommt mit der Erfahrung.

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