Glücksforscherin «Geld ist eine komplizierte Sache und die Schweizer mögen keine Konflikte»

Von Bruno Bötschi

19.5.2023

Maike van den Boom, Glücksforscherin: «Wir brauchen Krisen, wir brauchen Fehler»

Maike van den Boom, Glücksforscherin: «Wir brauchen Krisen, wir brauchen Fehler»

Frage ich meine Freund*innen, ob sie sich ein glückliches Leben wünschen, fällt die Antwort immer gleich aus: Alle möchten glücklich sein. Aber was ist Glück wirklich? Glücksforscherin Maike van den Boom weiss es.

17.05.2023

Frage ich meine Freund*innen, ob sie sich ein glückliches Leben wünschen, fällt die Antwort immer gleich aus: Alle möchten glücklich sein. Aber was ist Glück wirklich? Glücksforscherin Maike van den Boom weiss es.

Von Bruno Bötschi

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Maike van den Boom ist Glücksforscherin und Bestsellerautorin.
  • Für ein Buch ist sie durch die 13 glücklichsten Länder gereist und später nach Schweden gezogen; also dorthin, wo die Menschen am glücklichsten sein sollen.
  • Im Interview erklärt die 52-Jährige, warum ein Mensch, der nicht immer zufrieden ist, trotzdem ein glückliches Leben führen kann.

Maike van den Boom, wie glücklich bist du heute Morgen auf einer Skala von null bis zehn?

Heute Morgen gebe ich mir neun Punkte.

Klingt nach einem sehr guten Tag.

Der Start war auf jeden Fall gut. Ich war bereits um halb acht Uhr mit Freunden in Stockholms Schären schwimmen. Danach gab es Kaffee aus Thermotassen am Steg.

Wie würdest du Glück beschreiben?

Obwohl wir oft über Glück sprechen, ist der Begriff nicht einfach zu erklären. Die Frage ist zudem: Über welche Art von Glück reden wir? Sprechen wir über die euphorischen Glücksgefühle, wie frisch verliebt? Die sind meist nur von kurzer Dauer und bedeuten für jede und jeden etwas anderes. Mich interessiert mehr das stabile Glück, was sich in dem Satz «Ich bin ein glücklicher Mensch» widerspiegelt.

Dann reden wir doch über diesen Satz.

«Ich bin ein glücklicher Mensch» heisst, ich gehe mit einer positiven Grundstimmung durchs Leben. Es heisst aber nicht, dass immer alles rund laufen muss. Ich kann auch einmal sagen: «Ich bin ein glücklicher Mensch, aber heute bin ich schlecht drauf.»

Maike van den Boom in die Schweiz
Extremsportlerin Evelyne Binsack verzichtet auf eine Karriere unter der Bundeshauskuppel. (Archivbild)
Keystone/PETER KLAUNZER

Am 19. Juni 2023 um 20.30 Uhr überträgt der Free-TV-Sender blue Zoom Highlights der 6. Denkwiese-Nacht. An diesem Anlass teilen Prominente wie Maike van den Boom, Bergführerin Evelyne Binsack und Radiolegende Berni Schär ihr Wissen mit dem Publikum. 

Dein Podcast nennt sich «Zum Glück gibt’s Werte!»: Welche Werte benötigst du für dein persönliches Glück?

Freiheit und Füreinander – diese zwei Dinge gehören bei mir persönlich zum Glück dazu. Mir ist wichtig, unabhängig zu sein und frei entscheiden zu können. Ich möchte nicht in unguten Beziehungen verstrickt sein. Und ich mag nicht, wenn unausgesprochene Erwartungen auf mich niederprasseln.

Was brauchst du noch, um ein glückliches Leben zu führen?

Meine Freundinnen und Freunde. Das heisst nicht, dass ich sie jeden Tag sehen muss. Es geht mehr um das Wissen, dass diese Menschen Teil meines Lebens sind. Was ich zudem schön finde, sind Begegnungen mit mir bis dahin unbekannten Personen. Sie sorgen oft für eine neue Sicht auf die Welt.

Und wenn draussen die Sonne scheint …

… finde ich das nett. Ich mag aber auch Regentage, an denen ich meine Gummistiefel tragen kann.

«Wären wir Menschen ständig superglücklich, würde kaum etwas Neues entstehen»: Maike van den Boom, Glücksforscherin.
«Wären wir Menschen ständig superglücklich, würde kaum etwas Neues entstehen»: Maike van den Boom, Glücksforscherin.
Bild: imago/Future Image

Kann man dauerhaft glücklich sein oder tritt auch beim Glück der Gewöhnungseffekt ein?

Das weiss ich gar nicht. Was ich hingegen weiss: Glück ist auf jeden Fall nicht die Abwesenheit von Unglück.

Sondern?

Ich halte mich da lieber an den englischen Philosophen Jeremy Benthem, der gesagt hat: «Happiness is some pleasure and some pain.» Wären wir Menschen ständig super glücklich, würde kaum etwas Neues entstehen.

Wieso nicht?

Weil uns der Antrieb fehlen würde, Veränderungen anzugehen oder Neues zu erlernen. Viele Erfindungen wurden gemacht, weil ein Mensch mit etwas unzufrieden war oder jemand glaubte, er könne etwas besser machen. Das können auch unwichtige Dinge sein wie zum Beispiel die Tapete im Wohnzimmer, deren Farbe mich nervt. So paradox es klingt: Ein Mensch muss nicht immer glücklich sein, um ein glückliches Leben zu führen.

In einem Interview sagtest du: «Glück ist harte Arbeit. Man muss sich dafür anstrengen und vor allem dafür entscheiden, glücklich zu sein.»

Darin liegt der Unterschied zwischen einem glücklichen Leben – manche nennen es auch Zufriedenheit – und kurzen Glücksmomenten. Zufriedenheit hat nie die gleiche Kraft wie Glück. Glückliche Mitarbeiter sind von sich aus motiviert, wollen sich weiterentwickeln, wollen Selbstverantwortung tragen und haben auch nichts gegen Veränderung. Zufriedene Mitarbeiter möchten hingegen lieber, dass alles so bleibt, wie es ist.

Während meiner Recherchen für mein Buch «Wo geht’s denn hier zum Glück?» in den 13 glücklichsten Ländern stellte ich fest: Es gibt Glücksfaktoren, etwa die subjektiv empfundene Freiheit, die auf der ganzen Welt gleich sind.

Das heisst: Egal, wie hart mein Job ist, oder in welcher finanziellen Misere ich mich befinde, ich kann trotzdem Wege finden, mein Leben lebenswert zu gestalten. Dann halt ein schönes Picknick anstelle des Sterne-Restaurants. Und das ist mitunter viel schöner. Es geht nicht darum, was uns widerfährt, sondern darum, wie wir damit umgehen.

«Ist der Mensch gut drauf, ist er kreativer, sieht schneller Lösungen und geht relaxter durchs Leben»: Maike van den Boom, Glücksforscherin.
«Ist der Mensch gut drauf, ist er kreativer, sieht schneller Lösungen und geht relaxter durchs Leben»: Maike van den Boom, Glücksforscherin.
Bild: zVg

Oft heisst es, glückliche Menschen seien naiv und ihnen würde der Realitätssinn fehlen.

Dabei ist es doch genau umgekehrt. Es ist einfacher zu klagen, als sich anzustrengen, das Gute auf der Welt zu sehen und sich dabei auch noch zu überlegen, wie alles noch besser gemacht werden könnte. Denn leider ist das Hirn aus der Vorzeit so darauf getrimmt, dem negativen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Trotzdem nutzen glückliche Menschen ihr Potenzial viel besser als weniger Glückliche. Wenn ich gestresst bin, merke ich, dass ich nicht mehr so klar denken kann. Die Hirnforschung hat bewiesen: Ist der Mensch gut drauf, ist er kreativer, sieht schneller Lösungen und hat auch ein besseres Netzwerk, auf das er zurückfallen kann.

Muss man auch Glück haben, um glücklich zu sein?

Das glaube ich nicht. Glückliche Menschen haben eher noch mehr Glück im Leben. Denn sie sind kreativer, haben ein höheres Vertrauensniveau und bessere Beziehungen. Mit diesen Zutaten ergeben sich oft glückliche Fügungen.

Die Schweiz rangiert im «World Happiness Report» seit Jahren weit vorne. Aktuell steht unser Land auf Rang vier.

Vor ein paar Jahren stand die Schweiz sogar unter den ersten drei. Das Abrutschen ist jedoch kein Drama.

Hat es mit dem Reichtum zu tun, dass die Schweiz als glückliches Land angesehen wird?

Geld ist eine komplizierte Sache und hat sicher Einfluss auf das Glücksempfinden. Trotzdem würde ich nicht darauf setzen, da der Einfluss, den gute Beziehungen auf das Glück haben, fünfmal höher ist, als es zum Beispiel das Einkommen hat.

Die Schweizerinnen und Schweizer haben einen geschmeidigen Umgang untereinander und sie mögen Konflikte nicht – anders als etwa die Deutschen. Die direkte Demokratie, das zeigen die Studien des Schweizer Glücksforschers Bruno Frey, trägt ebenfalls zum Glück bei.

Wieso das?

Die direkte Demokratie ermöglicht es einem, an der Politik zu partizipieren. Wer nicht will, muss aber nicht. Aber natürlich gibt es auch in der Schweiz noch einige Baustellen, die angegangen werden sollten.

Welche?

In Sachen Gleichberechtigung gibt es Nachholbedarf und auch beim Schulsystem und der Kinderbetreuung.


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