Kolumne am MittagDie Nazi-Jäger haben ein neues Denkmal bekommen
Von Lukas Meyer
2.8.2021
Beate und Serge Klarsfeld wurden als Nazi-Jäger bekannt und sind bis heute unermüdliche Warner vor Rechtsextremismus und Antisemitismus. Eine neue Graphic Novel erzählt ihr Leben.
Von Lukas Meyer
02.08.2021, 11:39
02.08.2021, 11:45
Lukas Meyer
Eine Ohrfeige machte Beate Klarsfeld berühmt. Am 7. November 1968 bestieg sie während des CDU-Parteitags in der Berliner Kongresshalle das Podium und verpasste Kurt Georg Kiesinger eine Ohrfeige. Der war nicht irgendwer, sondern der amtierende Bundeskanzler von West-Deutschland – mit nationalsozialistischer Vergangenheit.
«Nazi, Nazi, Nazi», rief Klarsfeld denn auch, bevor sie von der Polizei verhaftet und am selben Tag zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Weil sie französische Staatsbürgerin war, musste sie die Strafe nicht antreten.
Dabei war die 1939 in Berlin geborene Beate Künzel lange unpolitisch gewesen. Erst bei einem Au-pair-Aufenthalt in Paris wurde sie mit den Folgen des Holocaust konfrontiert. 1963 heiratete sie den französischen Historiker Serge Klarsfeld, der 1935 in Bukarest geboren worden war und seinen Vater in Auschwitz verlor.
Zusammen machten Beate und Serge Klarsfeld über Jahrzehnte hinweg Jagd auf Nazi-Kriegsverbrecher, die sie in allen möglichen Ländern und Kontinenten aufspürten – viele davon in der Heimat: «Die meisten NS-Verbrecher lebten in Deutschland – unter ihrem eigenen Namen», so Beate Klarsfeld.
Dabei recherchierten die Journalistin und der Historiker nicht nur, sondern griffen auch selbst ein. Den in Köln lebenden Kurt Lischka planten sie eigenhändig nach Frankreich zu entführen, wo ihm der Prozess wegen seiner Beteiligung an der Deportation von Juden gemacht werden sollte. Das scheiterte zwar, doch die Öffentlichkeit wurde auf den Fall aufmerksam und Lischka später in Deutschland vor Gericht gestellt.
Ihr grösster Erfolg war die Verurteilung von Klaus Barbie: Den berüchtigten «Schlächter von Lyon» machten sie in Bolivien ausfindig. Doch erst nach einem Regierungswechsel wurde er dort 1983 festgenommen, an Frankreich ausgeliefert und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt.
Späte Würdigung
2012 kandidierte Beate Klarsfeld für Die Linke als deutsche Bundespräsidentin. Sie unterlag mit 126 Stimmen gegen Joachim Gauck, der von CDU, SPD, Grünen und FDP unterstützt wurde und 991 Stimmen erhielt. 2015 bekam das Ehepaar Klarsfeld das Bundesverdienstkreuz verliehen. «Die Deutschen werden dich würdigen, aber erst, wenn du alt bist», meinte Serge Klarsfeld zu seiner Frau schon nach der Ohrfeige für Kiesinger.
Die Graphic Novel von Pascal Bresson und Sylvain Dorange erschien 2020 auf Französisch und kürzlich auf Deutsch im Carlsen Verlag. Die Künstler sehen Menschen wie die Klarsfeld als Vorbilder, gerade in der heutigen Zeit.
Sie äussern sich bis heute zu aktuellen Themen. Vor wenigen Wochen erst kritisierte Serge Klarsfeld Corona-Skeptiker, die bei einer Demo einen gelben Stern trugen wie einst die Juden unter den Nazis. Das sei ein abscheulicher Vergleich, meinte er.
«Die Geschichte kennt kein Ausruhen», lautet ein Motto der Klarsfelds.
Bibliografie: Beate und Serge Klarsfeld: Die Nazijäger, Pascal Bresson und Sylvain Dorange, Carlsen Verlag Hamburg, ca. 42 Franken
Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – sie dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.