Kolumne am MittagDiana Ross sagt «Thank You» – ist es ihr Abschied für immer?
Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London
25.6.2021
Sie ist eine der einflussreichreichsten Künstlerinnen der Popmusik: Diana Ross. Bereits in den 1960er-Jahren hatte sie eine Reihe von Nummer-1-Hitsingles. Doch nun scheint der Abschied der 77-jährigen Sängerin nah.
Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London
25.06.2021, 11:35
25.06.2021, 11:44
Hanspeter «Düsi» Künzler, London
Das letzte Album von ihr erschien vor 15 Jahren. Danach sammelte Diana Ross Ehrungen zuhauf, ging ab und zu auf Tournee und lancierte ihr eigenes Parfüm, Diamond Diana. Covid-19 setzte dem High Life ein jähes Ende. Aber ein Leben auf dem Sofa ist offenbar nichts für Ross. Im Lockdown hat sie tatsächlich nochmals ein Album aufgenommen. Die Vorab-Single «Thank You» stimmt nostalgisch.
Am 26. März feierte die Amerikanerin ihren 77. Geburtstag. Aber sie hat noch nicht vergessen, was Liebe heisst:
«Sunshine when there’s only rain/You’re the reason my heart keeps learning» singt sie mit einer Stimme, die aus der Brust einer Zwanzigjährigen kommen könnte («Sonnenschein, wenn’s draussen nur regnet/Du bist der Grund dafür, dass mein Herz noch immer lernen kann»).
Die Melodie erinnert an die souligen 1970er-Jahre, dazu gibt es feiste Funk-Synkopen, ein Hauch Disco und gleich zum Anfang ein Glockenspiel, wie es einst auf keinem Weihnachtsalbum fehlen durfte. Der Song könnte vom ersten bis zum letzten Ton einem treuen Geliebten auf den Leib geschrieben sein. Wenn da nicht auch noch diese euphorischen «Thank you, thank you, thank you!»-Ausrufe wären, mit denen Ross das Lied spickt.
Sie nämlich klingen ganz und gar nicht wie intimes Geflüster. Vielmehr fühlt man sich urplötzlich in eine rauschende Party versetzt: Die Diva hat sich erhoben, es wird rundum still, kurz vor dem Ausgang dreht sie sich majestätisch nochmal um und lässt ein dramatisches «Goodbye and thank you!» durch den Raum hallen.
Ein «Dankeschön» an die Fans
So, wie Ross diese «thank you» singt, ist die Botschaft unmissverständlich. Es ist ein «Dankeschön» an die Fans, die ihr fast 60 Jahre lang die Treue gehalten haben.
Ist es ein Abschied für immer? Eher nicht.
Denn eine phänomenale Arbeitsmoral gekoppelt mit eiserner Disziplin haben ihr Leben vom ersten Moment an geprägt, wo sie als Teenager mit Florence Ballard, Mary Wilson und Betty McGlown das Gesangquartett The Primettes formierte. Kaum vorstellbar, dass eine Frau mit so viel Unternehmenslust sich ins Schicksal eines tatenlosen Ruhestandes schicken würde.
Als Radio Beromünster im Januar 1968 die erste Schweizer Hitparade sendete, waren die Primettes längst zum Trio geschrumpft. Auch hiessen sie nicht mehr The Primettes oder gar The Supremes, sondern Diana Ross & the Supremes.
Die Single «Love Child» schaffte es im Februar in der Schweiz auf Platz sieben. Es war der erste und letzte verbuchte Auftritt in unseren Pop-Annalen. In den amerikanischen Pop-Charts dagegen war es der elfte Number-1-Hit seit «Where Did Our Love Go» im Juni 1964. Dieser Erfolg war bemerkenswert.
Den Spagat zwischen zwei Welten geschafft
Zu diesem Zeitpunkt waren in den USA die Verlags-, Vertriebs- und Medienkanäle für «schwarze» und «weisse» Musik noch klar getrennt. Die Supremes waren die erste schwarze Popgruppe – Frauen noch dazu! –, die den Spagat zwischen den beiden Welten so erfolgreich schafften.
Sie hatten diesen Umstand zum Teil der Melange ihrer Stimmen zu verdanken. Zum Teil auch war es das Glück, dass sie in Detroit lebten, wo Berry Gordy Jr. ein paar Jahre vorher das Plattenlabel Tamla Motown gegründet hatte. Unter seiner Ägide hatten sich Songschreiber wie Smokey Robinson, Norman Whitfield sowie dem Team Holland, Dozier & Holland zusammengetan, um aus Rhythm & Blues, Soul, Gospel und Doo-Wop eine neue Form von Popmusik zu kreieren. Eine, die kraft ihrer Kombination von Melodik und Rhythmik auch in «weissen» Ohren unwiderstehlich wirken sollte.
Berry Gordy Jr. war es auch, der erkannte, dass Florence Ballard und Mary Wilson zwar starke Soul-Sängerinnen waren, dass es aber Diana Ross’s leichtere und flexiblere Stimme war, die am quirligsten aus den omnipräsenten Transistorradios drang. So stellte er nicht nur ihre Stimme, sondern auch ihr Konterfei in den Vordergrund und riet ihr Anfang 1970 zum Start einer Solokarriere (Ballard starb 1976, Wilson am 8. Februar 2021 – beide zeigten sich verbittert, hatten aber nie die gleiche Arbeitsmoral wie Ross an den Tag gelegt).
Während der 1970er-Jahre veröffentlichte Diana Ross sage und schreibe zehn Alben. Wirklich grosse Chart-Erfolge blieben zwar aus. Dank ihrer gefeierten Auftritte in den Hollywood-Streifen «Lady Sings the Blues», der ihr eine Oscar-Nominierung eintrug, «Mahogany» und «The Wiz», bewegte sie sich nun aber in einem ähnlichen Firmament wie Liza Minelli, Barbra Streisand und Elizabeth Taylor.
Dann kam das Album «Diana». Ross liess dafür von Nile Rodgers und Bernard Edwards den Disco-Sound von Chic auf den Leib schneidern – ein Geniestreich, der ihr auch in Europa, wo man sich ihren Reizen gegenüber bis dahin weniger empfänglich gezeigt hatte, auf die grosse Erfolgsspur verhalf.
Ganz zu schweigen von den Schwulen-Clubs, wo ihre spektakulären Kostüme ebenso hochgeschätzt wurden wie das von Andy Warhol entworfene Cover ihres nächsten Albums, «Silk Electric», oder gar die Melange aus Bee Gees und Michael Jackson vom Album danach, «Eaten Alive», mit Songs von, ja, den Bee Gees und Michael Jackson.
Seither hat Diana Ross nie mehr so aufregend gesungen
Ähnlich aufregend hat Ross seither nie mehr gesungen. Aber ihr Arbeitspensum hat nie nachgelassen. Gern sagt man ihr ein Diva-Temperament nach. So richtig weiss das eigentlich niemand ausser ihrer engsten Familie (sie war zweimal verheiratet und hat fünf Kinder – das erste von Berry Gordy Jr).
Denn in der Öffentlichkeit hat sie sich immer ganz genau ihrem Status entsprechend verhalten: Sie wusste, was sie wollte, liess sich bedienen und schätzte den Luxus. Über ihre Gefühle oder ihren Alltag redete sie kaum, in ihren Shows legte sie die für Las Vegas typische, mit Klischees gespickte Professionalität an den Tag. Egal. Denn nicht nur als schwarze Frau in den Popcharts, bei den Oscar-Verleihungen und in den glamourösesten TV-Shows war sie eine Pionierin, sondern auch als Superstar, der wusste, wie man mit Geld umgeht.
«Thank you, thank you, thank you!» singt sie jetzt. Vielleicht zum letzten Mal, vielleicht auch nicht. Natürlich sehen auch diese Worte auf dem Papier klischiert aus. Aber mit der Stimme könnte Diana Ross noch heute Herz mit Schmerz reimen und es wäre klingender Balsam.
Zum Autor: Der Zürcher Journalist Hanspeter «Düsi» Künzler lebt seit bald 40 Jahren in London. Er ist Musik-, Kunst- und Fussballspezialist und schreibt für verschiedene Schweizer Publikationen wie die NZZ. Regelmässig ist er zudem Gast in der SRF3-Sendung «Sounds».
Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – sie dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.