Kolumne am MittagPriya Ragu, der neue Weltstar aus dem Toggenburg
Von Hanspeter «Düsi» Künzler
9.2.2021
Ausgerechnet eine stille 35-jährige St. Gallerin schafft es, in der Rhythm-and-Blues-Welt neue Akzente zu setzen. Soeben ist die neue Single von Priya Ragu erschienen.
Die britische «Vogue» tippt auf Priya Ragu als eine der sechs Stimmen, «die im Jahr 2021 in die Stratosphäre abheben». Auch beim «New Musical Express» hat man sie auf dem Radar. Hier tauchte sie unlängst auf der Liste der «100 essenziellen neuen Künstler*innen fürs kommende Jahr» auf.
Dabei ist von Priya Ragu gerade erst die zweite «richtige» Single erschienen.
Sie heisst «Chicken Lemon Rice» und glänzt mit einem spektakulären Video, das die besonderen Qualitäten ihrer Muse wunderbar in Szene setzt. So wie die Musik, die Tanzbewegungen und die Garderobe der Sängerin, die den Lockdown bei den Eltern im st. gallischen Bazenheid verbringt.
Zutaten aus den Rhythm&Blues-Klubs von New York mit solchen aus der Film-Musical-Welt von Südindien und Sri Lanka kombiniert, vereint das farbenprächtige Video die traditionelle Ästhetik des indischen Subkontinentes mit einer lasziven, pansexuell eingefärbten Männererotik. Indische Einflüsse sind nicht neu in den Hitparaden.
Von George Harrison bis Björk
Ende der Sixties verhalf George Harrison seinen Freunden vom Hare-Krishna-Tempel zu Chart-Ehren. Björk zählte den Tabla-Spieler Talvin Singh zu ihrem Ensemble, der für sein Album «OK» 1999 den britischen Mercury-Preis gewann. Bhangra-Zutaten waren daraufhin im Reggae ebenso zu finden wie im amerikanischen Hip-Hop.
Die Mischung, wie sie Priya Ragu serviert, ist dennoch neu. «Ragu Wavy» nennt sie den Sound, den sie mit ihrem Bruder Japhna Gold in einem winzigen Studio in Zürich entwickelt hat. Süffige Refrains, entspannte Melodik und vertrackte Rhythmen kennzeichnen ihn.
Mit der im Herbst erstmals veröffentlichten Single «Good Love 2.0» brachte sie ihre Vision erstmals so richtig auf den Punkt. Ein einziger «Play» auf BBC trug ihr 20 Vertragsofferten ein. Über Lockdown-Zoom wurde im vergangenen Herbst ein Vertrag mit der britischen Abteilung von Warner Brothers ausgehandelt.
Die Firma sorgte dafür, dass alle zuvor in Heimarbeit veröffentlichten Aufnahmen aus dem Internet verschwanden und lancierte ihre Karriere neu mit einer zweiten Version von «Good Love 2.0». Der Erfolg war instant.
Inzwischen bekommt jeder Gamer das Lied zu hören, wenn er bei «Fifa 21» seine Spieler auswählt. Namhafte Studiozauberer wie Joe Goddard (Hot Chip), Little Dragon und Honey Dijon haben die Remixes besorgt, die eine Neuauflage begleiteten, die Mitte Januar erschienen ist.
Von der Buchhalterin zum Popstar
Wenn der Blitzerfolg von Priya Ragu eines zeigt, dann dies: Auch im Popgeschäft sind die Regeln nur dazu da, gebrochen zu werden. Eine 35-jährige St. Gallerin, die früher als Buchhalterin angestellt war und noch immer einem 30-prozentigen Bürojob nachgeht, als glamouröser internationaler Popstar – wer hätte das gedacht.
Die Eltern flohen Anfang der 1980er-Jahre aus dem kriegsversehrten Sri Lanka. Nachdem sie zuerst in Deutschland gelandet waren, wanderten sie bald weiter nach St. Gallen, wo der Vater Briefträger wurde und die Mutter im Spital Anstellung fand.
Musik gehörte zum Alltag, der Vater spielte Tabla und trat mit seiner Band an Familienfesten auf, der Bruder pflegte Ambitionen als Rapper und glaubte früh ans Talent seiner kleinen Schwester.
Der Familienlegende zufolge organisierte er für Priya einen Auftritt in der Grabenhalle, aber die Eltern bekamen Wind vom Plan und verboten der 16-jährigen Tochter den Auftritt. «Ich war vernichtet, ich fühlte mich unverstanden und zum Schweigen gebracht», gestand sie «Vogue».
Von Bazenheid nach New York
In der Folge absolvierte sie das KV, sang Backing Vocals für Müslüm, Chuchichästli und andere, und zog nach Zürich. Dann und wann veröffentlichte sie auch mal ein eigenes Lied, ohne sich gross für deren Verbreitung einzusetzen.
Vor drei Jahren gab sie sich endlich einen Ruck. Der Musik zuliebe zog sie nach New York und spielte mit dem Geld, das sie im Büro verdient hatte, die Songs für ein Album ein.
Es war der Anstoss, den sie brauchte, um zu erkennen, dass sie in der Tat das Talent zu Besserem hatte, und dass dieses Bessere mehr Einsatz und Risiko verdiente, als sie bisher dafür aufgewendet hatte. Jenes Album ist darum in der Schublade geblieben. Umso besser wird das nächste sein – ihr Debut, das «Chicken Lemon Rice» nach zu schliessen ein wahrer Knüller zu sein verspricht.
Zum Autor: Der Zürcher Journalist Hanspeter «Düsi» Künzler lebt seit bald 40 Jahren in London. Er ist Musik-, Kunst- und Fussballspezialist und schreibt für verschiedene Schweizer Publikationen wie die NZZ. Regelmässig ist er zudem Gast in der SRF3-Sendung «Sounds».
Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.