Das Fussballmärchen und sein Schweizer Prinz Darum ist Urs Fischer «so gut wie Guardiola oder Mourinho»

Von Michael Angele, Berlin

2.6.2021

«Was ich habe, passt mir und gefällt mir. Aber ich kann nicht behaupten, dass das in vier oder fünf Wochen immer noch gleich ausschaut, wenn Bayern München anfragt»: Urs Fischer, Trainer von Union Berlin.
«Was ich habe, passt mir und gefällt mir. Aber ich kann nicht behaupten, dass das in vier oder fünf Wochen immer noch gleich ausschaut, wenn Bayern München anfragt»: Urs Fischer, Trainer von Union Berlin.
Bild: Keystone

Urs Fischer hat mit dem ostdeutschen Bundesliga-Underdog Union Berlin den siebten Tabellenplatz erreicht: eine Sensation. Dass der Büezer aus Zürich-Affoltern heute mit den ganz grossen Trainern verglichen wird, ist seinem nahbaren Stil geschuldet – und seiner Bescheidenheit.

Von Michael Angele, Berlin

Bevor Urs Fischer in seine Heimat, also die Schweiz, abzischte, bedankte er sich noch per Videobotschaft bei den Fans des 1. FC Union, denen er einen grossen Anteil am sensationellen Erreichen des siebten Tabellenplatzes in dieser Bundesliga-Saison 2020/21 zusprach.

Was insofern stimmte, als beim entscheidenden letzten Spiel gegen RB Leipzig endlich wieder Zuschauer ins Stadion an der Alten Försterei durften, die ihre Mannschaft so lange nach vorn peitschten, bis Max Kruse in der Verlängerung das 2:1 schoss, was in letzter Sekunde Europa bedeutete – wenn auch nur die Conference League, die der Torschütze Kruse davor noch als völlig uninteressanten Wettbewerb bezeichnet hatte.

Möglich, dass Fischer dort auf den FC Basel trifft, den er einst mit Erfolg trainierte, ohne dass sein Vertrag 2017 verlängert wurde. Denn in Basel galt als hemdsärmlig, was in Berlin-Köpenick gut ankommt.

Zum Autor: Michael Angele

Der Berner Michael Angele liefert regelmässig eine Aussenansicht aus Berlin – Schweizerisches und Deutsches betreffend. Angele schreibt für die Wochenzeitung «Der Freitag». Er ist im Seeland aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Deutschlands Hauptstadt. Berndeutsch kann er aber immer noch perfekt. Als Buchautor erschienen von ihm zuletzt «Der letzte Zeitungsleser» und «Schirrmacher. Ein Porträt.»

Der «Arbeiter» Fischer, dem Werte noch etwas bedeuten, scheint zu einem Verein zu passen, der seit DDR-Zeiten als Underdog aus dem industriellen Osten der Stadt gilt, obwohl er vor zwei Jahren in die Bundesliga aufgestiegen ist.

Die Union tickt anders

Tatsächlich tickt Union Berlin immer noch etwas anders, und sei es nur, dass im Stadion bei Ecken, Verletzungspausen etc. keine nervtötende Sponsorenwerbung laut wird oder die Hymne «Eisern Union» von Nina Hagen gesungen wird.

Zwei Songs sind mir bekannt, in denen Fans Fischer feiern. Im einen wird betont, dass er die Mannschaft auf «Kurs hält» (Kurs reimt sich auf Urs), im anderen, einem Geburtstagslied, sein helvetisches «schlussendlich» bekannt aus Pressekonferenzen und Interviews warmherzig persifliert.

Dank dem Tor von Max Kruse zum 2:1 in der Verlängerung gegen RB Leipzig spielt die Union Berlin demnächst auch internationa Fussballs, sprich in der Conference League mit.
Dank dem Tor von Max Kruse zum 2:1 in der Verlängerung gegen RB Leipzig spielt die Union Berlin demnächst auch internationa Fussballs, sprich in der Conference League mit.
Bild: Keystone

Aber so einfach und bescheiden ist Urs Fischer natürlich gar nicht. Als sich gegen Ende der Saison das Trainerkarussell in der Bundesliga drehte, weil Marco Rose, der im Gegensatz zu Fischer aus seinem enormen Ehrgeiz nie einen Hehl machte, von Borussia Mönchengladbach überraschend nach Dortmund wechselte, meldete sich Urs Fischer in der Presse und machte eine Ansage:

«Ich suche nicht nach etwas Neuem. Was ich habe, passt mir und gefällt mir. Aber ich kann nicht behaupten, dass das in vier oder fünf Wochen immer noch gleich ausschaut, wenn Bayern München anfragt.»

Nun, Bayern München hat nicht angefragt, und so kann hier auf «blue News» offiziell verkündet werden: Urs Fischer ist auch in der kommenden Saison der Trainer von Union.

Hat überhaupt jemand angefragt?

Aber hat denn überhaupt jemand angefragt, Schalke zum Beispiel, da würde er doch auch gut hinpassen? Ich erkundige mich bei Christoph Biermann, dem Fischer-Fachmann schlechthin.

Biermann durfte Union nach dem Aufstieg in die erste Bundesliga eine Saison lang eng begleiten und hat daraus ein Buch gemacht. «Wir werden ewig leben. Mein unglaubliches Jahr mit dem 1. FC Union Berlin.» Es wurde ein Spiegel-Bestseller.



Biermann ist immer noch nahe an Mannschaft und Staff. Er ist skeptisch: «Ich habe nicht gehört, dass ein Angebot kam, will natürlich nicht heissen, dass es das nicht gegeben hat. Aber ich glaube, dass immer noch viele Vereine übersehen, was Urs Fischer für einen besonders guten Job bei Union macht. Er ist mit der Mannschaft mit dem zweitkleinsten Etat der Bundesliga Siebter geworden. Und das nicht durch Glück.»

Sondern durch seine Tugenden: klarer Matchplan, klare Analyse, respektvoller Umgang mit den Spielern.

Anders als etwa Lucien Favre hat der in Zürich-Affoltern aufgewachsene Fischer offenbar auch kein Problem mit schwierigen Spielern wie dem zwar enorm spielintelligenten, aber auch eigenwilligen ehemaligen Nationalspieler Max Kruse, dessen Verpflichtung von Union als kleine Sensation galt.

«Ich glaube nicht, dass er mit Kruse Probleme hat, er hatte ja auch in Basel schon mit Stars zu tun», so Biermann. «Und schliesslich war er selbst als Spieler beim FCZ auch nicht ganz unproblematisch.»

«Ich glaube, dass immer noch viele Vereine übersehen, was er für einen besonders guten Job bei Union macht»: Christoph Biermann über Urs Fischer.
«Ich glaube, dass immer noch viele Vereine übersehen, was er für einen besonders guten Job bei Union macht»: Christoph Biermann über Urs Fischer.
Bild: Keystone

Das grösste Kompliment machte ihm aber just ein Spieler, mit dem es dann doch nicht mehr ging. Obwohl Rafal Giekiewicz massgeblich an Unions Aufstieg und Klassenerhalt beteiligt war, wurde der Vertrag des Torhüters vor der neuen Saison nicht verlängert, er spielt heute in Augsburg.

Dieser oft auch an Fischer geratene polnische Eigenbrötler sagt also über Fischer: «Wenn du ihm ins Gesicht schaust, ist er im ersten Moment nicht so sympathisch. Aber er ist ein super Mensch. Er ist unser Architekt, im Spiel ohne Ball ist er so gut wie Guardiola oder Mourinho.»

Das hört man doch gern.