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Bötschi fragt Chris von Rohr: «Ich habe nie den Fehler gemacht und geheiratet»
Von Bruno Bötschi
27.11.2019
Er ist der bekannteste Rockstar der Schweiz. Chris von Rohr über den Himmel, die Hölle, seine vielen Frauengeschichten – und warum er glaubt, trotzdem ein guter Mensch zu sein.
Solothurn. Es ist später Nachmittag. Ein kühler Herbsttag neigt sich dem Ende zu. Der Journalist nimmt im Wohnzimmer von Graceland Platz – so nannte der Taxifahrer bei der Fahrt vom Bahnhof hierher das Haus von Chris von Rohr.
Der Terminkalender des Bassisten der Hardrockband «Krokus» ist voll, deshalb findet das Interview an einem Sonntag beim Musiker daheim statt. Von Rohr, kürzlich 68 geworden, serviert «Kreta Mountain Tea», eigenhändig verfeinert mit Ingwer und Zitrone.
In der Mitte des Wohnzimmers steht ein Flügel, daneben lehnt eine akustische Gitarre auf dem Stuhl. Und an der Wand stehen – fein säuberlich in Reih und Glied – Fotobücher von Udo Lindenberg, den Rolling Stones und anderen Musikgrössen.
Herr von Rohr, diese Woche erscheint Ihre Biographie «Himmel Hölle Rock’n’Roll». Bleibt die Frage: Welchen der drei Orte kennen Sie am besten?
Als junger Mensch fragte ich mich irgendwann: Was ist der Sinn des Lebens? Nachdem ich herausgefunden hatte, dass die Indianer ausgestorben waren, ich also nicht in den Wilden Westen gehen konnte, kam bei mir die Rettung durch den Rock’n’Roll – zuerst durch das Radio, dann durch das Spielen diverser Instrumente. Deshalb lautet meine Antwort auf Ihre Frage ganz klar: Rock’n’Roll. Rock’n’Roll ist meine Medizin. Rock’n’Roll rettete mir das Leben.
Und wie gut kennen Sie die Frauen?
Ich würde sagen, Sie reden mit einem Experten.
Vor fünf Wochen konnten Sie Ihren 68. Geburtstag feiern. Sie sind also ein alter weisser Mann und damit Feindbild vieler Feministinnen. Und jetzt publizieren Sie auch noch eine fast 600 Seiten dicke Biografie. Sind Sie noch bei Trost?
Was sagten Sie, ich sei ein alter weiser Mann?
Nein, ein alter weisser Mann.
Also ein bisschen alter weiser Mann bin ich schon. Im Verlaufe meines Lebens lernte ich die Menschen kennen, auch die Frauen. Und das ist heute mein Kapital: viel Erfahrung. Und diese Erfahrung sagt mir: Wenn diese Feministinnen, die mich einen alten weissen Mann nennen, mit mir an einem Tisch sässen, würden sie in ‹a New York minute› zum Chrisibär-Fan mutieren (lacht). Die kennen wahrscheinlich nur den Boulevard-Chris, oder der Dude der sagt ‹Läck, Frauen sind ein Gebet›, was ja auch stimmt. ‹Henu›! Ich halte mich eh seit einiger Zeit an einen Rat des Dalai Lama. Er sagte: Du bist dann nah an der Erleuchtung, wenn es dir egal ist was andere Leute von dir denken und sagen.
Mir scheint, Sie haben doch etwas Angst vor den Reaktionen der Frauen – zumindest tönt für mich die Widmung am Anfang Ihrer Biographie wie eine Vorab-Entschuldigung: «Für die Frauen, die mich einen besseren Menschen werden liessen».
Das soll eine Entschuldigung sein? Nein, das ist ein Kompliment. Hallo, kann man das so falsch verstehen, Herr Bötschi? Früher war ich ein Ahnungsloser, ein Naivling, ein Frischling, der noch viel lernen musste. Wie läuft das auf der Welt? Wie funktioniert es mit dem anderen Geschlecht? Dieser Satz ist eine Danksagung, ein Kränzli, dass ich den Frauen widme. Wissen Sie was, ich bin mit vielen meiner Ex-Freundinnen bis heute in Kontakt. Immer am Boxing Day, also am 26. Dezember, treffen sich einige von ihnen bei mir zu Hause. Ist immer sehr schön.
Leserangebot: «Himmel, Hölle, Rock’n'Roll»
Wie viele Ex-Freundinnen sind es insgesamt?
Zahlen sind unwichtig für mich.
Und wie viele Frauen kommen jeweils am 26. Dezember auf Besuch bei Ihnen?
Zwischen vier und sieben. Zufrieden? Doch dieses Jahr fällt es aus weil ich an die Wärme fliehe. Ich hasse drei Dinge: kaltes Wetter, kalter Kaffee und kalte Herzen.
Ich habe Ihre Biographie «Himmel Hölle Rock’n’Roll» nach typischen Chris-von-Rohr-meh-Dräck-Sätzen durchforstet. Es wäre schön, wenn Sie diese kurz und knapp kommentieren könnten.
Was ist für Sie ein Meh-Dräck-Satz? Einfach fadengrader Klartext ... Bäng!?
Genau. – Aber zuerst will ich Ihnen noch gratulieren: Das Wort «Dräck» kommt in Ihrer Biografie erst auf Seite 525 zum ersten Mal vor. «Meh Dräck» sogar erst auf Seite 584. Insgesamt wird das Wort nur fünfmal erwähnt. Bravo!
Danke – es reicht, wenn die Worte auf meiner Grabplatte stehen werden. Aber schiessen Sie jetzt bitte los mit Ihren Fragen.
Im Editorial fielen mir zwei Sätze auf: «Jedes Menschenleben ist ein Buch oder mehrere wert, man muss es nur schreiben, am besten selbst.» – Wer bitteschön soll Ihre Biographie lesen?
All jene Menschen, die eine ehrliche, fadegrade, unterhaltende Berichterstattung aus den Innereien des Showbusiness lesen möchten, und all jene, die Lust auf das Leben haben und Mut tanken wollen, ihre Träume zu verwirklichen. So ein Buch, in diesem Umfang und Genre, gibt es normalerweise nur aus Amerika oder England.
«Und lasst euch versichern, ich habe das elfte Gebot – Du sollst nicht langweilen –, eingehalten.» – Und ich dachte immer: Eigenlob stinkt.
Ich sehe das nicht als Lob, sondern als Fakt. Als Skorpion bin ich eher der Typ Mensch, der sich ‹gäng› den Stachel gibt und sagt: Es ‹längt› nicht, ich bin zu wenig gut, alles Scheisse. Und trotzdem bin ich nicht so rigid, dass ich die Formulierung ‹Operation gelungen› so nicht benützen dürfte. Denn ich bin überzeugt: Jeder der dieses Buch liest wird mir zustimmen.
«Todmüde und aufgewühlt liege ich auf der Couch, wo mich noch vor zwei Wochen eine bezaubernde, leicht verwilderte Brünette ins Lustnirwana schickte.» – Wow, bereits mit dem ersten Satz Ihrer Biografie müssen Sie der Welt beweisen, was für ein toller Stecher Sie sind.
Erstens suggeriert der Satz, dass sie mich ins Lustnirwana schickte und nicht ich diese Frau gestochen habe. Hässlicher Ausdruck übrigens – bin doch keine fucking Mücke! Und Zweitens hat sie vielleicht ja Freude daran gehabt. Warum sollte ich diese Geschichte also nicht mit anderen teilen dürfen? Geistiger Tiefgang kommt im Buch noch genug.
«Es war das Jahr, in dem auch Sting, Mike Krüger und Paul Breitner auf die Welt kamen und Queen Elisabeth II. sich langsam auf dem Thron warm lief.» – Nettes Namedropping, aber hat der grösste Schweizer Rockstar das wirklich nötig?
Das ist doch kein Namedropping, Amigo, das sind einfach Informationen. Ich bin ja nicht per Du mit Queen Lizi. Ich wollte einfach zeigen, was im Jahr 1951 alles so los war, als ich geboren wurde.
«Ich habe immer gleich von Anfang an gesagt, wer ich bin, was ich kann und was nicht und was für ein Trüffelschwein ich bin.» – Und wie oft hat ein Mensch zu Ihnen gesagt: «Sie sind ein Schwein.»
Ehrlich gesagt hat mir das noch nie jemand ins Gesicht gesagt – auch keine Frau, nachdem unsere Beziehung zu Ende gegangen war. Ich bin echt ein bisschen stolz, wenn ich heute in den Spiegel schaue.
Warum?
Ich habe Freude und Freundschaften hinterlassen, keine Leichen.
«Ich bin bis heute auf Kriegsfuss mit den Noten. Was jedoch viele andere grossartigen Musiker auch sind.» – Warum ist dem eigentlich so?
Mit Noten will man die Musik aufschreiben. In der Klassik ist das sicher wichtig, weil man sonst Chopin, Mozart und so weiter kaum spielen könnte. Als Rockmusiker hingegen habe ich Noten immer als Konserven empfunden, die etwas festhalten wollen, was nicht wirklich möglich ist. Oder wie wollen Sie bitteschön einen bestimmten Rhythmus-Groove auf einem Notenblatt festmachen?
«The Beatles! Gibt‘s denn so was? Allein der Bandname ist genial. Das Wort Beat tönt wie Sex.» – Wer hat eigentlich den Bandnamen Krokus erfunden?
Wir waren auf einer Frühlingswanderung auf dem Solothurner Hausberg Weissenstein, als uns ein durch Schnee und Eis hindurchgebrochener Krokus als erste Blume des Jahres auffiel. Ich fand, Krokus mit K geschrieben tönt rauh, tönt nach Rock. Steven Tyler von Aerosmith hat einmal gesagt: ‹Rock’n’Roll ist ein anderes Wort für Sex.› Für mich ist Rock’n’Roll auch eine Lebensform. Und – wie gesagt – der Name Krokus tönt nach Rock.
«Mit 15 gab ich in der Bezirksschule bekannt, ich würde mal ein Stardrummer wie Ringo Starr und Keith Moon werden.» – Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Rockmusiker-Karriere?
Ich lebe meinen Traum seit den 1980ern. Natürlich erlebte ich dazwischen auch einige Alpträume. Aber ich bin jeden Tag dankbar, dass ich meinen Beruf gefunden haben – nämlich being Chris von Rohr, being rock musician und being writer. Und das wir als Krokus mit unserer Musik Menschen glücklich machen können. Es ist einfach geil, wenn du ein Konzert vor Tausenden von fröhlichen Gesichtern spielen kannst. Hey, wer nach so einem Abend nicht glücklich und zufrieden ist, springt besser gleich in die Grube.
«Langsam merkte ich auch, dass es da noch etwas ebenso Aufregendes gab: das Weiblein.» – Sie standen demnach auf ältere Frauen?
Wie kommen Sie darauf?
Der Begriff «Weib» wird laut Duden vornehmlich für ältere Frauen benutzt.
Ach, der Duden hat mich noch nie Interessiert – zu wenig Rock n Roll! Für mich ist das ein anderer Begriff für ‹Girl›.
«Yvonne hiess die Pflanze.» – Weiblein und Pflanze – welche Kosenamen verwenden Sie eigentlich für Männer?
Männer? Diese Frage hat mir jetzt tatsächlich noch niemand gestellt ...geil! Im Moment verwende ich für die Männer die Begriffe ‹Amigo›, ‹Compadre›, ‹Baby› und ‹Schätzli›.
Den Frauen sagen Sie nicht «Schätzli».
Sicher nicht. Die letzte Göttin nannte ich Mäusebein.
«Ebenfalls eine Absage musste ich der katholischen GmbH erteilen.» – An was glauben Sie?
Glauben ist nicht Wissen. Aber ich will niemandem vor dem Glück stehen und will auch niemanden diffamieren, egal, an was sie oder er glaubt. Ich jedoch glaubte nie an Himmel und Hölle im katholischen Sinn – also daran, dass die Bösen in die Hölle und die Guten in den Himmel kommen. Es gibt nur eine Hölle und die befindet sich hier auf Erden. Menschengemacht. Die ganzen Religionen haben derart viel Unheil, Elend, Krieg und Tote zu verantworten, dass ich ganz der Meinung Frank Zappas bin: ‹My best advice to anyone who wants to raise a happy, mentally healthy child is: Keep him or her as far away from any church as you can.› Ich lasse mir übrigens auch keine Angst machen von irgendwelchen Schweinepriestern, nur weil wir nicht wissen, was nach dem Tod kommt. Das heisst aber nicht, dass ich mich als Gott fühle. Gott ist für mich gelebte Liebe und nichts anderes. Es gibt keinen Mann im Himmel oben, aber sehr wohl einen universale, erlösende Energie.
«In Neuenburg entflammte auch meine bis heute ungebrochene Liebe zur akustischen Gitarre.» – Können Sie diese Liebe noch etwas schöner beschreiben?
Ich muss es so sagen ...
Bevor Chris von Rohr weiterspricht, steht er vom Tisch auf und holt seine akustische Gitarre – zuerst trommelt er mit seinen Fingern auf ihrem Korpus herum, dann spielt er einige Akkorde.
... eine Gitarre hat etwas total Erotisches. Dieses Intrument hat etwas Wildes und wirkt auf mich gleichzeitig entspannend. Ohne Gitarre könnte ich nicht leben. Zwei Wochen lang ohne – und ich werde total unausstehlich.
«Ja, die Hippiefrauen hatten immer mehr das Sagen und warteten nicht darauf, dass man sie ansprach.» – Bravo, auf Seite 63 merken Sie endlich, dass Frauen selber denken können.
Geht‘s noch? Das will ich mit dem Satz auf keinen Fall sagen. Das war eine herrliche und bitter nötige Revolution damals.Ich bin absolut davon überzeugt, dass die Frauen den Männern weit überlegen sind, weil sie intuitiver, herzhafter denken, weil sie besser zuhören können, weil sie einfach besser checken um was es überhaupt geht. Das Meiste, was ich während meines bisherigen Lebens gelernt habe, habe ich von den Frauen gelernt. Das muss ich hier und jetzt einfach mal klar und deutlich sagen.
«Der Bundesratssohn schmiss mir eines Abends einen LSD-Trip in den Hagebuttentee.» – Sonst schmeissen Sie auch ständig mit Namen herum in Ihrer Biographie: Also, wie hiess der Sohn mit Nachnamen?
Natürlich stand dieser Namen in meinem Buch drin. Meine Verlegerin macht mich dann aber darauf aufmerksam, wenn ich keine verdammten Rechtsanwälte am Arsch haben wolle, solle ich diesen Namen besser wieder streichen.
«In meinem Ultra-High bekam ich klare Botschaften vom intergalaktischen Mutterschiff.» – Sind Sie für die Drogenfreigabe?
Auf jeden Fall bin ich gegen die Kriminalisierung von Drogensüchtigen. Menschen, die mit Drogen nicht umgehen können, können auch mit Alkohol und Nikotin nicht umgehen. Ich setze mich für die Freigabe von Cannabis ein – nicht zuletzt für medizinische Zwecke. Cannabis kann Schmerzen lindern, das ist keine neue Erkenntnis. Zudem bin ich für die kontrollierte Abgabe von LSD. Heute anerkennt die Wissenschaft zum Glück – je länger, desto mehr – LSD wieder als Medikament an. LSD ist keine Rummelplatzdroge, sondern ein Mittel, dass einem bei der Wahrnehmung höherer Zusammenhänge, Aufbrechung gewisser Seelnverkrustungen und Selbsterkenntnis helfen kann. Hätte ich mehr Mut, würde ich es selber wieder einmal nehmen. LSD war für mich genauso ein Lebensretter wie der Rock’n’Roll und die Bücher von Hermann Hesse.
«Hermann Hesse fasste genau das in Worte, was ich damals und auch heute noch in meinem Herzen trage – und das ich selbst oft nicht ausdrücken kann. Geschmäcke, Gefühle, die Nähe zur Natur, Töne, Weisheiten, die einem die Kraft und das Bewusstsein geben, den Zauber der Dinge im Leben zu erkennen.» – Herr von Rohr für einmal sprachlos, wann gab es das zum letzten Mal?
Schön, wie Sie das jetzt vorgelesen haben. Ich schlage Ihnen vor, dass Sie das Hörbuch zu meiner Biografie aufnehmen.
Darüber reden wir zu einem anderen Zeitpunkt nochmals.
Wann ich das letzte Mal sprachlos war? Als ich meine Steuerrechnung gesehen habe (lacht) ... nein, jetzt erzähl ich ihnen noch eine ernsthafte Geschichte, sonst meinen die Leute noch, es gehe mir nur um den ‹Cholle›.
Na dann, erzählen Sie bitte.
Im Herbst weilte ich mit meiner Tochter und ihrer Mutter in Matala auf Kreta. Ein wunderschöner Ort. Irgendwann beschlossen wir, eine Stunde lang nicht mehr zu reden, sondern nur die Natur zu geniessen. Ich kann das allen nur empfehlen: Mir fuhr dieser Moment der Ruhe fast meditativ ein. Und noch etwas: Obwohl ich eigentlich ein extrovertierter Mensch bin, schweige ich öfters, als manch einer vielleicht vermuten würde. Ich bin auch viel allein, ohne einsam zu sein. Das ist schön und ich finde es wichtig, dass wir Menschen uns zwischendurch zurückziehen, in die Stille und Ruhe um diesen ganzen Weltenwahn zu verdauen.
«Was soll das Ganze? Bin ich auf dem richtigen Weg? Warum tue ich dies alles?» – Das frage ich Sie: Warum schrieben Sie dieses Buch?
Um geliebt zu werden (lacht) ... und ich wollte meinen aussergewöhnlichen Weg festhalten.
Für wen?
Vor allem für meine Tochter Jewel, meine Familie, die Rock'n'Rollfreaks und mich selbst. So bleibt ein Stück von mir da, auch wenn ich einmal nicht mehr lebe. Und vielleicht verstehen meine Nächsten dann noch besser, warum ich bin, wer ich bin. Wie schon gesagt: Jedes Menschenleben ist übrigens ein Buch wert. Man muss es nur schreiben.
«Ich will hier auch nicht die ewig Links-rechts-Schublade bedienen, sicher nicht, aber für mich waren und sind Ideologien jeglicher – ich betone: jeglicher – Couleur äusserst fragwürdig.» – Wer hätte das gedacht, der von Rohr, neutral und nett.
Ich war nie neutral und nett. Ich sehe einfach was ist und nicht wie ich es gerne hätte. Dank meiner Erfahrung weiss ich heute: Es braucht beide Seiten. Es braucht links und rechts, damit etwas Nachhaltiges entstehen kann. Gleichzeitig muss ich klar und deutlich sagen, dass ich keiner Partei angehöre und absolut nichts von Ideologien, Moralismus, Rassimus und Extremismus halte. Ich mag es auch nicht, wenn Wasser gepredigt und Wein getrunken wird. Ich schreibe das ja auch in meiner Biografie: Politik ist Schauspielerei. Politik ist eine Schlangengrube. Wer fragt in vier Jahren, was ein Politiker bei seiner Wahl alles versprochen hat? Die Leute kommen alle davon, weil sie nie zur Rechenschaft gezogen werden. Auch all die Manager, die miese Arbeit abliefern, ihre Untergebenen tyrannisieren und am Schluss mit riesigen Bonis und goldene Fallschirmen ausgestattet werden – einfach zum Kotzen ist das.
«Das Modell Basisdemokratie in einer Band kommt langfristig selten gut.» – Statt zu diskutieren, spielen Sie lieber den Chef, oder?
Ich spiele Rock und nicht den Chef. Aber in jeder Band findet man irgendwann heraus, wer was am besten kann, wer für was zuständig sein sollte. Der eine ist für den Gesang zuständig, der andere für die Riffs – und bei mir hat man halt irgendwann gesagt: ‹Hey, du hast einen sauguten Instinkt. Du bist ein super Motivator, Writer, Coach und Kreativ-Supervisor, so quasi ein Mini-Jürgen-Klopp des Rock’n’Roll’s. Wir vertrauen dir, gib Gas.› Das war vor elf Jahren. Krokus ging es damals schlecht, unsere Aktien standen fast bei Null. Es ist wie in jedem Betrieb, jemand muss führen, aber eben auch die Verantwortung übernehmen, wenn es mal schlecht läuft. Ich wusste genau, wenn die Band nach meinem Kurs segelt, spielen wir früher oder später wieder im Hallenstadion.
Was in der Folge auch geklappt hat.
So ist es – aber ich habe dafür auch gebügelt wie ein Wahnsinniger. Und tue das nach wie vor. Plötzlich gab es für meine Zusatz-Arbeit auch Komplimente von den anderen Bandmitgliedern, was ich so früher nicht erlebt hatte. Ja, wir streiten heute viel weniger, weil unsere Egos kleiner geworden sind. Wenn ich ehrlich bin: Bei uns haben sich die Diskussionen innerhalb der Gruppe schon fast in einen beängstigenden Wellness-Ride verwandelt. Gleichzeitig tut es unheimlich gut, wenn man sich nach einem Konzert in die Arme nimmt und sagen kann: We pulled it off. Ehrlich gesagt ist es fast schade, dass das bald zu Ende sein soll – also gerade jetzt, wo wir es langsam verstanden haben, wie man eine crazy Rock’n’Roll-Family zusammenhält und es voll geniessen können
«Das einzige, was mich in dieser Zeit betrübte, war, mitanzusehen zu müssen, wie unser Gitarrist Tommy sich immer stärker mit Drogen wegbeamte.» – Viele Rockstars können nicht ohne Drogen. Sie meistens schon. Warum?
Musik ist für mich eine derart starke Droge, da brauche ich nicht eine Droge zur Droge. Gestern Abend spielten wir in Suhrsee vor 5'000 Menschen – und kaum erklang der erste Akkord, war es wie eine Götterdämmerung.
«Sie hatte diesen natürlichen Doppelmilchkaffee-Teint. In den mandelförmigen Augen der Schwarzhaarigen schimmerte ein zartes Rosa, das kein Maler je erreichen könnte.» – Weitere Sätze in Ihrer Biografie, mit denen Sie Feministinnen zur Weissglut treiben werden ...
Hoffentlich – schöner kann man doch eine Frau fast gar nicht beschreiben. Ehrlich, es tut mir fast leid, sollten die Feministinnen dies als Bedrohung ansehen (lacht).
«Und so hiess es im selben Blatt, wo noch vor drei Monaten ‹Kasse leer!› stand, plötzlich: ‹Der Millionen-Deal – Die grösste Gruppe aller Zeiten.› – Wie lautete die schönste Schlagzeile über Krokus?
Die würzigste Schlagzeile lautete ‹Im Swimmingpool mit 15 Frauen› ... das habe ich natürlich jetzt extra für alle Feministinnen gesagt (lacht).
«Der historische Moment in der Schweiz war für uns klar der 27. März 1982. Zum ersten Mal in der Geschichte des Hallenstadions Zürich schaffte es eine helvetische Rockband, diese Arena bis auf den letzten Platz zu füllen.» – Welches war der historischste Moment in Ihrem privaten Leben?
Jetzt kommt natürlich der Klassiker – aber ich will mich nicht verbiegen und etwas super Originelles erzählen – und deshalb: Es war die Geburt meiner Tochter Jewel. Und zwar in jeder Hinsicht: Hört gut zu, liebe Feministinnen, was eine Frau durchmachen muss, bis ein Kind geboren ist, ist einfach unglaublich. Das würden wir Männer nie schaffen, auf nullkommanull fucking keinen Fall.
«In einer Band zu spielen, heisst, gleichzeitig mit vier Frauen verheiratet zu sein. Man glaubt mir: ab und zu ein Graus.» – Und umgekehrt, wie wäre das bitteschön?
Verheiratet sein ist sowieso das Modell von vorgestern. Für dieses Beziehungs-Konzept habe ich mich noch nie erwärmen können. Ich halte mich da ganz an Marlene Dietrich: ‹Ich bin von Kopf bis Fuss auf Liebe eingestellt›.
«Die Leserschaft wird sich vielleicht fragen, wie es denn möglich ist, in einem Verliebtheitszustand untreu zu sein. Meine Antwort: Ich bin treu ... treu meinen Bedürfnissen.» – Und Ihre Freundinnen, dürfen die sich ihre Bedürfnisse auch anderweitig befriedigen lassen?
Ich hoffe ... und ich weiss auch, dass es so war, dass sich meine Freundinnen ihre Bedürfnisse ebenfalls anderweitig befriedigt haben. Wir haben das teilweise auch so abgemacht. Das fand ich cool. Sprich: Gleiches mit Gleichem. Ich habe also nicht den sizilianischen Obermacho gespielt und gesagt: ‹Ich kann jede Frau haben, die ich will, aber meine Liebste soll mal schön zu Hause bleiben.›
Auf Seite 320 dann die grosse Erkenntnis: «Irgendwann musst du einfach einsehen: Um diesem achtbaren Beruf gerecht zu werden, darf man nicht gebunden sein – er frisst dich und jede Beziehung mit Haut, Haar und Knochen.»
Das war damals, als wir oft monatelang auf Tournee waren, wirklich so. Wir waren ständig unterwegs – und man kann auch nicht eine Frau als Begleiterin auf die Tour nehmen, weil sie sonst zu einem Anhängsel degradiert wird. Hallo Feministinnen! Ein Leben als Band auf Tournee killt Beziehungen – und zwar nicht nur meine. Wir haben das in der Band alle erlebt, und das ist nicht lustig. Aber wir sind nicht die einzigen Rockstars, die Probleme mit Beziehungen haben. Nur habe ich zum Glück nie den Fehler gemacht und geheiratet.
«Es gibt immer noch viel zu viel Furzblätter und Furzsendungen, gemacht von untalentierten, überbezahlten, langweiligen Fürzen, die ihre Furzärsche noch nie weg von ihrem Schreibtisch, über den Ozean oder dorthin, wo‘s wehtut, bewegt haben ...» – Und was halten Sie von meinem Furzgrind?
Sie haben keinen Furzgrind, Sie haben einen Honiggrind. Und das meine ich jetzt durchaus positiv.
Was ist ein Honiggrind?
Sie erinnern mich, ehrlich gesagt, ein bisschen an den Typ, der die TV-Sendung «Verstehen Sie Spass» moderiert. Und ich muss sagen, dass ist das beste und amüsanteste Interview, dass ich seit Langem erlebt habe. Nehmen Sie das als Kompliment. Das Gespräch heute mit Ihnen hat mich echt überrascht. Es ist ein bisschen wie eine wilde Jam-Session. So sollten Interviews immer sein.
«Das Schönste am neuen Geldregen war, dass ich die jungen Kids auf meiner Seite hatte. Während ihre Eltern sich tödlich über meine ungeschminkten Aussagen aufregten, verstanden die Kinder ganz genau meinen Schalk und meinen Pfeffer.» – Okay, die Kinder verstehen Sie gut. Und Sie, verstehen Sie die Klimademo-Jugendlichen auch so gut?
Es ist gut, dass die Jungen realisieren, welche schrecklichen Dinge der Mutter Erde in den letzten Jahrzehnten angetan wurden und immer noch angetan werden. Ich finde die ganze Bewegung gut, auch wenn sie phasenweise etwas hysterisch daherkommt. Aber es ist wichtig, dass die jungen Menschen dranbleiben. Damit sich aber wirklich etwas verändern wird auf unserem Planten, sind dringendst Innovationen nötig. Denn wir dürfen nicht so naiv sein und meinen, wegen einiger Demonstrationen werde viel passieren. Denn die Verantwortlichen ganz oben, die kann man alle nur durch Geld motivieren. Gleichzeitig müssen wir bereit sein, über alles zu reden – und dabei völlig offen für neues zu sein. Auch deshalb, weil Wind und Sonne als neue Energiequellen künftig nicht ausreichen werden.
«Das gefiel mir, nicht zuletzt deshalb, weil es mich regelmässig dazu zwang, mich, die Welt, ihre irren Auswüchse und ihre Bewohner, genauer anzuschauen und zu reflektieren.» – Wie irre finden Sie die Welt im Jahr 2019?
Wenn ich mir den Zustand unseres Planeten anschaue und gucke, was für Schwachmaten heute in Führungspositionen sitzen, kann einem da schon Angst und Bange werden. Ja, ich habe das Gefühl, dass wir am Vorabend einer Revolution stehen. In der Schweiz leben wir immer noch in einer Art Wohlstandsoase: zwei Autos, drei Toiletten, mehrere Flachbildschirme und vieles mehr. Der Überfluss ist gigantisch. In vielen anderen Regionen der Welt ist das jedoch nicht die Realität. Ich will jetzt hier nicht auf Alterspessimismus machen, denn im Grunde meines Herzens bin ich ein Optimist. Ich bin auch sicher, dass es mit unserer Spezies weitergehen wird, aber es muss eine Revolution kommen und danach, noch viel wichtiger, eine Reformation. Unkontrolliertes Wachstum und menschenfeindliche Gier werden diesen Planeten und uns selbst sonst killen.
«Wir können den Tod weder deuten noch steuern, er kommt, wann er will. Steve ist sicher erlöst. Aus dem Kokon zum Schmetterling. Und wir lernen, damit zu leben, hier auf der Erde.» – Fürchten Sie sich vor dem Sterben, vor dem Tod?
Ich glaube tatsächlich daran, egal wie gut oder böse ein Mensch gelebt hat, dass der Tod die Erlösung sein wird. Traurig ist nur, dass ich eventuell etwas zu früh von der Welt gehen muss und nicht länger meine Tochter begleiten kann – auch durch schwere Zeiten. Aktuell ordne ich meinen Nachlass. Man weiss ja nie, der Tod steht in keinem Organiser. Er kommt, wann er will. Und als neugieriger Mensch würde ich natürlich schon noch gern wissen, wie es in diesem, unserem Weltentheater künftig weitergeht.
Sie können ja dann vom Himmel runter oder von der Hölle hochgucken?
Nein, das kann ich nicht. Ich glaube nicht an die Wiedergeburt und auch nicht daran, dass das Leben irgendwo anders weitergehen wird.
«Draussen wird es langsam frisch. Mein warmer Mantel liegt bereit. Der Winter kann kommen und ein paar Sommer habe ich noch. Hell yeah!» – Ist Altwerden mühsam?
Es ist ein elendes Massaker und nichts für sensible Seelen. Auf der anderen Seite muss ich auch sagen: Gestern Abend haben wir, wie gesagt, zwei Stunden abgerockt, und obwohl ich noch etwas lädiert bin von einer Ellbogen-OP und einer Bronchitis, fühlte ich mich dabei überhaupt nicht alt und auch nicht schlechter als mit 30, als wir mit Krokus monatelang auf USA-Tournee waren.
Am Morgen danach auch nicht?
Nein, es ist unglaublich, ich schaue manchmal in meinen Pass und denke: Hat sich beim Jahrgang vielleicht ein Druckfehler eingeschlichen. Und die Frauen – Feministinnen hallo! – sagen mir: ‹Du hast eine huere feine Caramelhaut. Wie ist das fucking möglich?› Im Moment spüre ich das Alter nur, wenn ich am Tag davor zu viel Rotwein getrunken habe. Der Hangover geht nicht mehr so schnell weg. Der Lauberhorn-King Bernhard Russi sagte kürzlich zu mir: ‹Hallo spinnt ihr, ihr bewegt euch ja wie junge Hunde auf der Bühne. Wie ist das nur möglich?› Der Rock’n’Roll hält uns einfach jung. Aber ich weiss, irgendwann macht es Bumm, und ich bin ein Greis. Aber der Greis ist heiss, wie Udo Lindenberg zu sagen pflegt.
«Du bist der unerschrockenste Mann, den ich je kannte, und wäre die Schweiz eine Monarchie, müsstest du ihr Oberhaupt sein, denn du hast da Herz, den Mut, die Weitsicht und Weisheit dazu.» – Ich dachte, dieser Satz von Leela, Ihrer Ex-Partnerin und Mutter Ihrer Tochter, wäre ein schöner Schlusssatz.
Ja, Leela ist eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Frau in meinem Leben. Ich mag ihren Satz sehr, auch wenn ich nicht an die Staatsform der Monarchie glaube. Sie bröckelt ja auch im Vereinigten Königsreich – bei allem Respekt vor der Queen. Die Monarchie hat wenig Zukunft. Ich bin überzeugt, dass wir in der Schweiz mit der direkten Demokratie, die absolute ideale Staatsform haben. Obwohl auch diese hin und wieder einen nicht vor Irrwegen schützt. Aber historisch belegt ist, dass das Volk sich deutlich weniger irrt als irgendwelche abgehobenen Politiker in ihren Elfenbeintürmen abseits des realen werktätigen Lebens.
Damit wären wir am Schluss – bleibt nur noch eine Frage offen: Welche drei Sätze in Ihrer Biographie «Himmel Hölle Rock’n’Roll», lieber Herr von Rohr, sind Ihrer Meinung die drei wichtigsten?
Jesses nein, das muss ich Ihnen nachreichen, das kann ich jetzt nicht einfach so aus dem Stegreif sagen ... – also ganz sicher gehört der Satz dazu ‹Nur Mut! Be yourself, lebe deinen Traum und arbeite daran›. Und der zweite wäre: Wenn man die richtige Frau findet – es braucht ja immer zwei –, dann lasst euch auf das Abenteuer mit Kindern ein, weil nichts bereichert ein Leben mehr als ein Kind. Und den dritten Satz werde ich per Mail nachliefern.
Was Chris von Rohr dann auch eineinhalb Stunden später tat. Er lautet:
Gott steckt im Detail, Sorgfalt und genaues Hinschauen sind angesagt.
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