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Bötschi fragt André Lüthi: «Ich weinte, schrie. Es war der blanke Horror»
Von Bruno Bötschi
20.8.2019
André Lüthi, CEO der Globetrotter-Gruppe, spricht über das Trauma seiner Jugend und den Klimawandel – und erklärt, wie die Stadt Luzern vor dem Overtourism gerettet werden könnte.
30 Minuten im Büro des CEO des Reiseunternehmens Globetrotter in Bern. Vielleicht werden es auch 45, was davon abhängt, ob André Lüthi die Fragen spannend findet – oder sie ihn anöden.
Lüthi tritt gern in den Medien auf. Super gern sogar. Eine Zeitung hat einmal über ihn geschrieben: «Für den gelernten Bäcker-Konditor ist die Anerkennung durch das Publikum wie der Schlagrahm auf der Erdbeertorte: Es geht nicht ohne.»
Die grosse Stärke des 59-Jährigen ist das Repräsentieren und Akquirieren. Seine vielen Auftritte haben längst nicht nur auf sein Unternehmen Einfluss. Ein Ausdruck der öffentlichen Präsenz: die vielen Posts von Lüthi auf Facebook und LinkedIn.
Herr Lüthi, wir machen heute ein Frage-Antwort-Spiel: Ich stelle Ihnen in den nächsten 30 Minuten möglichst viele Fragen – und Sie antworten möglichst schnell, kurz und spontan …
… das kommt auf die Komplexität Ihrer Fragen an – ich meine wegen der Kürze meiner Antworten.
Passt Ihnen eine Frage nicht, sagen Sie einfach «weiter».
Okay.
Matterhorn oder Kilimandscharo?
Kilimandscharo. Er ist der Gipfel meiner Träume. Zum 30-Jahre-Jubiläum unserer Firma Globotrek habe ich erst vor wenigen Tagen eine Gruppe Gäste auf den Kili geführt.
Wie oft waren Sie schon auf dem höchsten Berg Afrikas?
Es war meine vierte Besteigung.
Wann haben Sie zum ersten Mal das Meer gesehen?
Ich bin in sehr bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, ging mit meinen Eltern nie in die Ferien. Zum ersten Mal in einem Hotel schlief ich mit 16 Jahren während eines Trainingslagers. Zum ersten Mal das Meer gesehen? Mit 19. Ich reiste mit dem Interrail-Pass nach Marseille.
Lust als Tourist einmal auf den Mond zu fliegen?
Nein. Ich finde, das hat nichts mehr mit Tourismus zu tun. Wer auf den Mond fliegt, soll dort oben etwas entdecken, soll forschen. Von touristischen Reisen auf den Mond halte ich nichts.
Wie viele Wochen im Jahr sind Sie unterwegs?
Für acht bis 13 Wochen. Bei mir verzahnen sich private und geschäftliche Reisen oft. Deshalb sage ich auch immer: Ich brauche keine Work-Life-Balance, sondern ich habe das Glück in einer Life-Balance zu leben.
An wen ging Ihr letzter von Hand geschriebener Brief?
In letzter Zeit habe ich mehrere Briefe geschrieben – der allerletzte ging an die Frau eines vor Kurzem verstorbenen Freundes.
Ein erster Zwischenstand: Ist er sympathisch? Ja. Allein, wie er es mit dem Duzis durchzieht. Man kann dem cleveren Selbstvermarkter fast nicht böse sein, wie er einem da so gegenübersitzt.
Sie sind auf Twitter sehr aktiv, vor einigen Tagen schrieben Sie zur viel kritisierten Nordkorea-Reise von Claude Béglé, dem Waadtländer CVP-Nationalrat: «Er hat die Menschenrechtsverletzungen nicht scharf verurteilt. Ein Fehler! Doch an alle, die ihn jetzt grundsätzlich verurteilen – reist in das Land. Einmal sehen ist besser als tausend Mal hören.» – Was, glauben Sie, können Sie mit Ihren Twitter-Aktivitäten erreichen?
Ich möchte betonen, ich bin kein Nordkorea-Experte. Ich habe das Land viermal bereist und habe dabei einen kleinen Einblick bekommen. Das zweite Mal war ich drei Wochen lang mit einem Team der Sendung «10 vor 10» des Schweizer Fernsehens dort. Ich verurteile die Menschenrechtsverletzungen in diesem Land aufs Schärfste. Doch es gibt auch eine andere Seite in diesem Land. Die wollte ich damals zeigen. Was die westlichen Medien über Nordkorea berichten, das ist in meinen Augen oft ziemlich einseitig. Ich wollte damals die Diskussion über dieses Land lancieren und die Leute zu genauerem Hinschauen auffordern. Doch um auf Ihre Frage zurückzukommen: Aus diesen Gründen habe ich die Aussagen von Nationalrat Béglé deshalb zum Teil verstanden.
Ist es gut, wenn Firmen Geschäft und Politik vermischen?
Nein.
Anders als viele CEOs in der Schweiz beziehen Sie regelmässig öffentlich Stellung zu aktuellen Themen. Ist das hilfreich fürs Firmenimage?
Ob das hilfreich ist, weiss ich nicht. Ich lasse mich von meiner inneren Überzeugung leiten, wenn ich etwa meine Sicht über ein Land öffentlich kundtue. Übrigens erlaube ich es nicht, dass innerhalb unserer Firma ein Land als Reiseziel boykottiert wird. Denn sonst müssten wir wegen Menschenrechtsverletzungen bald die Hälfte aller Länder auf der Erde als Reiseziel streichen. Ich bin der Meinung, ein Reisebüro soll fundiert beraten, schlussendlich entscheidet aber der Kunde, ob er in ein Land reisen will oder nicht.
Was treibt Sie an?
Entdeckungslust und Freude. Das war schon als Sechsjähriger so, als ich hinter unserem Haus stand und zu meinem Vater sagte: «Ich möchte wissen, wie es hinter dem Wald weitergeht.»
Sie haben einmal gesagt, «Reisen ist eine Lebensschule».
Auf meinen Reisen habe ich mich selbst kennengelernt – meine Schwächen, meine Ängste. In Ländern wie Afghanistan oder Indien lernte ich Vertrauen zu haben. Ich lernte zu improvisieren, Geduld. Und ich lernte, wie ich auf Menschen zugehen kann, auch wenn die ganz anders denken als ich. Das hat mir als Unternehmer viel geholfen.
Jetzt: Überfall. Themenwechsel. Also: Familien-Fragen!
Vor einigen Wochen reisten Sie mit Ihrem 18-jährigen Sohn Levin per Autostopp von Bern nach London.
Das war eine spezielle Geschichte. Die Dok-Redaktion vom Schweizer Fernsehen hatte mich gefragt, ob ich meine allererste Auslandreise, die ich als 22-Jähriger allein unternommen hatte, nochmals gemeinsam mit meinem Sohn unternehmen würde.
Hat es Spass gemacht?
Ja, sehr. Gleichzeitig war es auch eine komische Situation, weil wir während 14 Tagen fast ständig verkabelt waren und uns ein Kameramann begleitet hat. Das gab auch die eine oder andere spezielle Situation. In Deutschland standen wir einmal bei 35 Grad im Schatten zwei Stunden lang vor einer Autobahn-Raststätte. Irgendwann sagte Levin: «Papi, das scheisst mich so an. Uns nimmt keiner mit.» Eine Sekunde später realisierte er, dass er verkabelt ist, und er fragte mich ziemlich entgeistert: «Kommt das jetzt im Fernsehen?»
Haben Sie Ihre zwei Kinder politisch erzogen?
Nein – aber meine Frau und ich haben sie weltoffen erzogen. Als unsere Kinder zwei und vier Jahre alt waren, sind wir mit ihnen bereits nach Indien gereist. Wir wollten unseren Kindern von klein auf die Welt zeigen, damit sie sich selbst ein Bild machen können.
Waren Ihre Kinder schon auf einer Klimademo?
Nein.
Wann waren Sie zuletzt demonstrieren?
Mit 17 habe ich gegen das AKW Mühleberg demonstriert.
Haben Ihre Eltern Sie politisch erzogen?
Überhaupt nicht.
Gehen Sie regelmässig wählen und abstimmen?
Nicht regelmässig, aber ich gehe. Die Absenzen haben oft mit meinen vielen Auslandsabwesenheiten zu tun – ja, ich weiss, ich könnte natürlich auch brieflich abstimmen.
Als junger Mann sollen Sie ziemlich radikal gewesen sein – Sie skandierten gegen Atomkraftwerke, anderseits machten Sie die Grenadier-Rekrutenschule ...
... und ich betrieb Spitzensport und rauchte Joints (lacht). Es war eine unglaublich spannende Zeit.
Loten Sie nach wie vor gern Grenzen aus?
Ja.
Ihre erste Droge?
Mit 14 rauchte ich zum ersten Mal. Beim Maisingen hatten wir Kinder viel Geld gesammelt. Danach stifteten wir einen älteren Kollegen an, uns ein Päckchen Zigaretten zu kaufen. Nachdem wir die Ziggis geraucht hatten, musste ich erbrechen.
Das Trauma Ihrer Jugend?
(Überlegt lange) Hinter unserem Haus gab es einen Hügel, den wir im Winter zum Skifahren nutzten. Ich trainierte dort oft auch allein. Einmal, es wurde bereits dunkel, stürzte ich und brach mir das Bein. Ich lag im Schnee, hatte schreckliche Schmerzen, dachte, ich müsse sterben. Ich weinte, schrie, aber lange Zeit hörte mich niemand. Es war der blanke Horror. Irgendwann lief meine Grossmutter hinter unserem Haus lang. Ich schrie noch lauter. Als sie mich sah, sagte sie: «Tu nicht so blöd. Steh endlich auf.» Es dauerte ziemlich lang, bis meine Grossmutter realisierte, dass ich nicht simuliere.
Als Jugendlicher waren Sie Ringer, Ihr Traum waren die Olympischen Spiele. Stimmt es, dass Sie mit 19 aufhörten, weil sie zu wenig gut waren?
Das stimmt. Ich war total begeistert von diesem Sport, aber leider war ich zu wenig gut, um meinen Traum zu verwirklichen. Aber eines habe ich gelernt als Ringer: Verlieren können.
Ihr übelstes mentales Gebrechen?
Die Niederlagen im Ringen. Während meiner Jugend hatte ich deshalb viele schlaflose Nächte.
Sein Gesichtsausdruck: Lüthi kann zwischen topfreundlich und topernst hin- und herschalten. Jetzt, nach den Sport-Fragen, geht es Richtung: traurig.
Welches ist das schönste Haus in Bern?
Das Zollhaus auf der Nydeggbrücke beim Bärengraben. Ein prägnanter Bau.
Was macht den Zauber vom Aarebad Marzili aus?
Der Zauber fängt fünf Kilometer weiter oben an …
… dort, wo man in die Aare springt und sich hinuntertreiben lässt?
Genau. Es ist einfach wunderbar, wenn die Aare so grün daher fliesst, wie es Endo Anaconda von der Band «Stiller Has» besingt. Und dann drehst du dich um im Wasser und siehst Eiger, Mönch und Jungfrau und später kommt das Bundeshaus ins Blickfeld. Vielleicht hat der Zauber auch mit dem Wissen zu tun, dass es das sonst nirgendwo auf der Welt gibt.
Wie sieht Ihre Badehose aus?
Schwarz, lang.
Warum fällt es uns Menschen so schwer, einfach zuhause zu bleiben?
Das stimmt nicht für alle Menschen. Meine Coiffeuse war erst zweimal im Ausland. Sie sagt, es sei nirgends schöner als daheim.
«Been there, done that» – Was halten Sie von der aktuellen Werbekampagne einer Schweizer Airline?
Quatsch.
Welches Buch würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?
Keines, ich lese nicht.
Eine ehrliche Haut, dieser Lüthi. Noch mehr Sympathiepunkte gesammelt.
Sind Sie ein mutiger Mensch?
Sobald ich Angst bekomme, mache ich etwas nicht. Angst ist ein schlechter Begleiter. Ich habe aber schon Dinge getan, von denen andere Menschen finden, es brauche viel Mut. Ich war schon an zwei Achttausender-Bergen. Ich habe mich auch schon mit dem Kanu in Alaska aussetzen lassen. Oder ist es mutig, mit einem Fallschirm aus einem Flieger zu springen? Jeder Mensch sieht das anders. Meine Unternehmungen sind immer mit viel Respekt und minutiös vorbereitet – vom Training über die Ausrüstung bis zum Notfallkonzept.
Bei der Patrouille des Glaciers in Zermatt wurden Sie vor neuen Jahren von einem Schneebrett erfasst, konnten sich aber selbst befreien.
Im Moment, als ich hinuntergerissen wurde, hatte ich Angst. Ob es Todesangst war, kann ich im Nachhinein nicht mehr sagen. Ich realisierte sofort, dass es Nassschnee ist und wusste, dass es sehr gefährlich werden kann. Doch ich hatte Glück im Unglück – als das Schneebrett stoppte, schaute mein Kopf zum Schnee hinaus und ich war unverletzt. Und weil es ein Rennen war, waren auch sofort Helfer, die mir halfen.
Wirklich wahr, dass Sie danach das Rennen zu Ende gefahren sind?
Ja, das stimmt. Die erste Frage an meine Helfer war: «Wo sind meine Ski? Bitte sucht sie, ich will das Rennen fertig fahren.»
Ihre Reisen scheinen nicht ungefährlich zu sein. Riskieren Sie weniger, seit Sie Vater geworden sind?
Nein. Aus meiner Sicht habe ich nie zu viel riskiert. Nur eines meiner Abenteuer schätze ich heute im Rückblick als ziemlich egoistisch ein: Als unsere Tochter sechs Monate alt war, bestieg ich einen Achttausender.
Gut gemacht. Jetzt ist aber fertig mit den Nettigkeiten, jetzt geht's ans Eingemachte – als da wären: die Fragen zum Klimawandel.
Die Klimadebatte ist in vollem Gang. Sind Sie umweltbewusster geworden, fliegen Sie heute weniger?
Nein – ich fliege aktuell sogar mehr als vor zehn Jahren.
Und die Kundinnen und Kunden von Globetrotter: Fliegen Sie weniger mit dem Flugzeug in die Ferien?
Nein – aber die Kundenzahl geht zurück. Aber nicht, weil die Menschen weniger fliegen, sondern weil sie die Flüge direkt bei den Airlines online buchen.
Die Fliegerei ist weltweit für knapp fünf Prozent des menschengemachten Klimaeffekts verantwortlich, in der Schweiz sogar für über 18 Prozent. Sie sagten kürzlich in einem Interview, es werde «zurzeit ein Flug-Bashing betrieben». An was machen Sie das fest?
Klar, das Fliegen trägt seinen Teil zum Klimawandel bei. Aber es ist eben nur ein Teil. Warum wird nicht gesagt, dass wir grundsätzlich ein Problem haben mit der Mobilität, mit dem Welthandel und unserem Konsumverhalten? Das stört mich.
Ist Fliegen eine Notwendigkeit?
Nein – es ist mehrheitlich ein Luxusgut.
Sollten Ihrer Meinung nach Flugreisen wieder teurerer werden?
Ja, das Fliegen ist heute viel zu günstig. Die erhöhten Flugbewegungen sind angetrieben worden durch die Dumpingpreise – im Speziellen auf den Kurstrecken. Zurzeit geht ein Gerücht um, dass eine europäische Airline demnächst Singapur hin und zurück für 299 Schweizer Franken anbieten will.
Was würde geschehen, wenn Globetrotter keine Flugreisen mehr anbieten dürfte?
Dann müssten wir schliessen.
Bitte kommentieren Sie die folgenden zwei Aussagen von Tourismusmanager Thomas Hodes kurz und knapp: «Wir sind nur noch zehn Jahre davon entfernt, unsere attraktivsten Städte in Disneyland-Parks zur verwandeln.»
Diese Chance ist gross – und ich denke, diese Gefahr besteht nicht nur für die Städte. Sie bedroht auch Sehenswürdigkeiten wie Machu Picchu, Taj Mahal oder Angkor Wat. Für mich gibt es deshalb nur einen Weg: Genauso, wie wenn wir zu einem Fussballmatch oder zu einem Konzert gehen, müsste es auch für Städte wie Luzern und andere beliebte Sehenswürdigkeiten ein Kontingent geben. Ich weiss, Martin Nydegger, der Chef von Schweiz Tourismus, hat an meiner Aussage gar keine Freude. Er sagt, ich läge falsch, wir hätten in der Schweiz keinen Overtourism. Eine spannende Diskussion ... (lacht)
«Wir müssen die Zahl der Menschen begrenzen, die in unsere Städte kommen. Wir sollten uns dabei auf Qualitätstouristen beschränken.»
Beschränken ja. Aber ich fände es arrogant, wenn wir das über irgendwelche Qualitätskriterien tun würden. Es gibt junge Menschen, die mit dem Rucksack nach Luzern reisen und sich davor sehr gut über die Stadt informiert haben. Gleichzeitig gibt es Gäste, die in Luzerner Fünfsternhotels absteigen, aber nichts über die Region wissen. Ich denke, die Mischung macht’s.
Wie könnte das Limitieren in Luzern konkret aussehen?
Das ist keine einfache Sache. In Venedig wollen die Behörden mit Drehkreuzen für Ordnung sorgen. Für Luzern sehe ich das nicht. Eine mögliche Methode könnte sein, die Parkplätze für Busse zu einschränken. Wenn man also zum Beispiel sagen würde: Pro Tag dürfen maximal nur noch 30 Touristenbusse ins Zentrum von Luzern fahren.
Und noch eine Aussage, die Sie bitte kommentieren: «Das Reisen verkommt leider immer mehr zu einem stinknormalen Konsumgut.»
Dieset bewusst provokative Satz stammt von mir. – Ich meinte damit, dass es eine ungute Sache ist, wenn das Reisen zu einer Art Kompensation wird. Für viele Menschen wird das Reisen immer mehr zu Flucht. Sie fliegen nach Mallorca und wollen dort ihre Landessprache sprechen, Bier trinken, Wurst essen und Gleichgesinnte treffen – also alles genauso haben, wie daheim auch. Für mich ist Reisen jedoch viel mehr, als nur einen braunen Bauch zu bekommen und sich zu erholen. Ich möchte fremde Länder entdecken und andere Kulturen und Menschen, Religionen und Küchen kennenlernen.
Reisen wir die Welt kaputt?
Ich glaube, das können wir gar nicht. Und sowieso: Ich habe eine andere Hoffnung.
Welche?
Es passiert immer häufiger, dass mir Freunde und Bekannte sagen, dass sie keine Lust mehr hätten am Flughafen oder vor irgendwelchen Sehenswürdigkeiten stundenlang anzustehen – und deshalb je länger desto mehr auf Auslandreisen verzichteten und stattdessen häufiger ihr Daheim genössen.
Sind Sie ein Zyniker?
Nein.
Sind Sie ein Optimist?
Ja.
Interessiert Sie, wie das Wetter morgen ist?
Wenn ich am Berg bin, ja. Oder wenn ich mit dem Töff in Indien unterwegs bin, dann auch. Aber dort funktioniert die Technologie meist nicht richtig, um eine wirkliche Vorschau zu bekommen.
Wo liegt der vollends entspannte André Lüthi?
Es gibt zwei Dinge, die ich nicht kann – ein Buch lesen und Faulenzen. Dabei weilte ich schon in Klöstern im Himalaya. Aber in der Schweiz schaffe ich es fast nicht, mich hinzulegen und einfach nichts zu tun. Was ich hingegen oft mache: Ich gehe frühmorgens allein auf eine Skitour, renne die Aare entlang oder gehe biken. Dabei kann ich mich wunderbar erholen.
Wie viel Geld geben Sie im Jahr aus?
Mit Wohnen und allem? Puh, da muss ich kurz rechnen. Ich würde sagen zwischen 60'000 und 120'000 Franken.
Verdirbt Geld den Charakter?
Ein gewisses Fundament an Geld macht zufrieden, aber viel Geld macht nicht glücklicher. Während der England-Reise mit meinem Sohn erinnerte ich mich immer wieder an meine erste Autostopper-Reise vor 37 Jahren. Damals hatte ich fast kein Geld und schlief häufiger unter Brücke – trotzdem war ich glücklich. Heute kann ich im Hotel übernachten und kann mir auch sonst mehr leisten, aber ich bin deswegen nicht glücklicher.
Die BMW-Erben Susanne Klatten und Stefan Quand beklagten sich neulich in einem Interview, wie hart das Milliardärsleben sei und fragten: «Wer würde denn schon mit uns tauschen wollen?»
Ich kenne das Interview nicht, aber dieser Satz ist ein Affront – und deplatziert. Das Problem ist nicht das viele Geld, sondern der Mensch, der mit den Milliarden nicht umgehen kann. Deshalb schätze ich den Buddhismus auch so sehr. Er ermutigt, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und sich durch eigene Bemühung geistig weiterzuentwickeln. So wie das etwa Hansjörg Wyss tut. Der Schweizer Unternehmer und Mäzen ist trotz seines Milliardenvermögens ein bescheidener Mensch geblieben. Er ist ein Vorbild für Milliardäre.
Die Bürotüre geht auf – eine Frau schaut rein: «André, dein nächster Besuch ist da.» Lüthi: «Sag bitte, dass er sich noch ein bisschen gedulden muss.»
Wo ist die Welt am schönsten?
In einem selber.
Wo wollen Sie unbedingt noch einmal hinreisen?
Nicht unbedingt – aber so lange ich kann und mag immer wieder nach Nepal.
An einen bestimmten Ort?
Ich war bis jetzt 49 Mal in Nepal. Und fast jedesmal war ich in Bodnath, das ist ein Stubba in Kathmandu. Dort leben Tibeter, die 1959 geflüchtet sind. Es ist ein heiliger Ort für die Buddhisten. Sie umwandeln die Stubba im Uhrzeigersinn und sollen dabei zu sich selber finden. Wenn ich dort bin, geht es mir immer richtig gut, und ich bin entspannt.
Wir sind fertig.
Das waren ja höllenviele Fragen.