Späte Lebensfreude Zufriedenheit: Im Alter kommt das Glück zurück

Kerstin Degen

18.9.2018

Karriere, Kinder, Traumfigur: Mit zunehmendem Alter sinkt der gesellschaftliche Erwartungsdruck. Vielleicht ein Grund, weshalb manch 70-Jähriger glücklicher ist, als jüngere Menschen.
Karriere, Kinder, Traumfigur: Mit zunehmendem Alter sinkt der gesellschaftliche Erwartungsdruck. Vielleicht ein Grund, weshalb manch 70-Jähriger glücklicher ist, als jüngere Menschen.
Bild: iStock

Mit steigendem Alter steigt die Gewissheit: Nichts ist so sicher wie der Tod. Trübe Aussichten, könnte man meinen. Und doch sind gerade Menschen im AHV-Alter sehr viel glücklicher, als jene in der Blüte ihres Lebens.

Die Kräfte verlassen uns, der Freundeskreis wird kleiner und was einst im Handumdrehen erledigt war, ist mit grossen Mühen verbunden.  Älter werden ist kein Zuckerschlecken, sondern ein unabdingbarer Prozess, der mehr oder weniger beschwerlich in unseren Alltag eingreift.

Doch viele Menschen über 70 beteuern im Alter glücklicher und zufriedener zu sein, als sie es zwischen ihrem 40. und 50. Lebensjahr waren.

Das «U» des Glücks

Den Verlauf von Glück und Zufriedenheit während unseres Erwachsenenlebens beschreibt die Glücksforschung mit einem «U».  Demzufolge erreichen wir unseren ersten Höhepunkt mit Anfang 20, nachdem wir uns unsere Freiheit erkämpft haben, die Welt uns offen steht und wir positiv in die Zukunft blicken.

Einige Jahre hält das Glücksgefühl an; doch ab dem 30. Lebensjahr scheinen die Familienplanung, Partnersuche oder der steigende Karrieredruck unsere Zufriedenheit zu beeinträchtigen.

Ihren Tiefpunkt erreicht die Glückskurve im Alter zwischen 40 bis 50 Jahren, der vermeintlichen Blütezeit unseres Lebens. Erst ab Mitte 50 steigt die Zufriedenheit wieder an und erreicht oft in den letzten Lebensjahren einen erneuten Höhepunkt.

In Anbetracht des nahenden Ablebens vielleicht ein Widerspruch, aber viele Seniorinnen und Senioren betrachten das Lebensende gelassen. Sterben werde ich sowieso, sagen sie sich, also kann ich die Zeit bis dahin genauso gut geniessen. Mit den Enkelkindern, beim Jassen, Reisen oder an der Senioren-Uni, noch nie waren die Möglichkeiten derart vielseitig. 

Die «Midlife-Crisis» gibt es wirklich

Noch überraschender aber, als die hohe Zufriedenheitsquote im Alter, ist deren Tiefpunkt während der hochgelobten Blüte unseres Lebens. Eine Feststellung, die sich überall auf der Welt, unabhängig von Kultur, Gesellschaft oder Wohlstand zu bewahrheiten scheint.

Was passiert aber zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr mit uns Menschen? Warum bezeichnen sich Mittvierziger häufig als unglücklicher, als gebrechliche Menschen kurz vor dem Tod?

Vermeintlich befinden wir uns in dieser Lebensphase auf dem Höhepunkt unserer Karriere, haben vielleicht eine Familie gegründet, verbringen unsere Freizeit mit Freunden, beim Sport oder bereisen die Welt. 

Nur wer keine Angst vor dem Scheitern hat, kann am Ende Erfolge verzeichnen, sagt Iris Apfel. «You only fail if you do not try» lautet einer der 10 Erfolgstipps der 97-jährigen Ikone.

Doch auch wenn es von aussen nach Bilderbuchglück ausschaut, im Inneren bröckelt oft die Fassade. Denn unter dem Streben, den Kindern die bestmögliche Ausbildung zu finanzieren, den nächsten Schritt auf der Karriereleiter zu tun oder beim nächsten Marathon mit Bestzeit über die Ziellinie zu laufen, leidet nicht selten das Glück. 

Viele Menschen erleiden während dieser Lebensphase die ersten Rückschläge. Das Karriereziel wurde nicht erreicht. Der Job wegrationalisiert. Die Kinder werden flügge, die Ehe scheitert. Aus diesem Sumpf muss man sich erst mal wieder aufrappeln.

Selbstbestimmt durchs Leben

Doch die Glücksforschung macht uns Mut.  Das Leben ist geprägt von Hochs und Tiefs und während uns das erste Tief noch komplett aus der Bahn wirft, sehen wir schon beim dritten oder vierten Mal nicht mehr ganz so schwarz. Wir wissen, es kommen wieder bessere Zeiten. 

Zudem verändert sich während der letzten Dekaden unseres Lebens zunehmend unsere Denkweise. Wir «müssen» nicht mehr, wir «dürfen»: Aufstehen wenn der Wecker klingelt, in der Hochsaison verreisen, die Schimpftiraden des Vorgesetzten ertragen und so weiter. Alltägliche Dinge, die zu ignorieren einen Befreiungsschlag darstellen kann.

Diese Erkenntnis und die damit wachsende Gelassenheit sind zwei der Eigenschaften, die Menschen mit zunehmendem Alter erwerben und sie mit einer gewissen Nonchalance durchs Leben schreiten lässt.

Die Weisheit des Alters

In einer Studie, die der Psychologe Alan D. Castel für sein Buch «Better With Age: The Psychology of Successful Aging» durchführen liess, wurde eine Gruppe von CEOs der Fortune 500 auf ihre Argumentationsfähigkeiten und Verarbeitungsgeschwindigkeit getestet.

Die zwischen 50 bis 70 Jahre alten Probanden schnitten zwar deutlich schlechter ab, als jüngere Kandidaten, dennoch führen sie ihre Unternehmen über Jahre hinweg mit durchschlagendem Erfolg.

Es scheint, als seien die mit dem Alter erworbenen Fähigkeiten, wie Distanz, Gelassenheit und die Gabe, die Spreu vom Weizen zu trennen, von grösserer Bedeutung, als jugendlich-frische Leistungskraft.

Beobachtet man Grosseltern im Umgang mit ihrer Familie erkennt man ähnliche Bilder. Nur einem Grosi oder Grosspapi gelingt es, eine lebhafte, quengelnde oder aufmüpfige Enkelschar mit einem ruhigen Lächeln wieder zur Vernunft bringen.

Fazit: Der Tod ist nicht verhandelbar, er kann vielleicht aufgeschoben werden, tritt aber irgendwann unweigerlich ein. Ein Glück also, dass so viele von uns ihm weiser, zufriedener und mit einem Lächeln auf den Lippen entgegen treten. 


Buchhinweis: Better with Age: The Psychology of Successful Aging, Alan D. Castel, 256 Seiten, Oxford University Press, ISBN 978-0-19-027998-1, 41.90 Fr.

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