Coronavirus Experte: Vermutlich ist man auch ohne Symptome schon ansteckend

Von Runa Reinecke

28.1.2020

Das Coronavirus breitet sich über die Grenzen Chinas hinweg aus – und noch sind viele Fragen offen. «Bluewin» hat mit einem führenden Schweizer Experten zur Erforschung dieses Erregers gesprochen.

Die Zahl der Infektionen mit dem Coronavirus steigt sprunghaft an. Prof. Dr. Volker Thiel, Leiter Virologie am Institut für Virologie und Immunologie an der Universität Bern, über das Ansteckungsrisiko, die Parallelen zur SARS-Pandemie vor 17 Jahren und Vorkehrungsmassnahmen für den Ernstfall in der Schweiz.

Herr Thiel, das derzeit in China kursierende Coronavirus gehört zur Gruppe der SARS-Erreger. Das Virus soll vom Tier auf den Menschen übergesprungen sein. Welcher Voraussetzungen bedarf es, damit das geschieht?

Dazu muss das Virus in der Lage sein, an menschliche Zellen anzudocken und einzudringen. Es muss also zwangsläufig ein Kontakt zwischen dem Tier und dem Menschen bestehen. Bei Fledermäusen hat man ein Virus gefunden, das dem derzeit im chinesischen Wuhan kursierenden Coronavirus sehr ähnlich ist.

Mit welchen Symptomen macht sich eine Coronavirus-Infektion bemerkbar?

Noch gibt es zu wenige Fallberichte, um eine klare Aussage machen zu können. Bei vielen Infizierten zeigen sich schwache bis moderate Symptome, ähnlich einer Grippe mit Fieber. Allerdings sind die Symptome bei etwa einem Drittel schwerer und können auch in eine Lungenentzündung münden. Tödliche Verläufe sind bis jetzt eher selten.

Wie ansteckend ist das Virus?

Um das abschätzen zu können, bedarf es noch weiterer Informationen. Wir beobachten im Moment, dass sich die Fallzahlen schnell erhöhen. Das hängt aber auch damit zusammen, dass wir bereits wissen, mit welchem Virus wir es zu tun haben und es nun nachweisen können.

Wie gut sich die Situation kontrollieren lässt, ist gemäss Prof. Dr. Volker Thiel «auch von der Dimension eines Ausbruchs abhängig».
Wie gut sich die Situation kontrollieren lässt, ist gemäss Prof. Dr. Volker Thiel «auch von der Dimension eines Ausbruchs abhängig».
Bild: zVg

Sie erwähnten, dass eine Infektion oft ohne Komplikationen und bis jetzt nur in Einzelfällen tödlich verläuft. Von welchen Faktoren ist der Erkrankungsverlauf abhängig?

Auch das können wir noch nicht einschätzen. Schwere Verläufe beobachteten wir bisher bei infizierten Menschen, die älter sind oder/und an einer oder mehreren Vorerkrankungen leiden.

Weiss man Genaueres über die Inkubationsphase, also die Zeitspanne zwischen der Ansteckung mit dem Virus und dem Auftreten erster Symptome?

Es gibt einzelne Berichte von Infizierten, die erst nach mehreren Tagen Symptome zeigten. Von einer Person in den USA weiss man, dass sie ohne Krankheitsanzeichen aus China kommend eingereist war und sich erst später Symptome bemerkbar machten. Man kann also davon ausgehen, dass die Inkubationszeit mehrere Tage beträgt.

Können Infizierte das Virus bereits während der Inkubationszeit weitergeben?

Beim 2002/2003 kursierenden SARS-Virus war es tatsächlich so, dass die Infektiosität erst dann gegeben war, wenn bereits Symptome aufgetaucht waren. Personen, die damals Anzeichen der Krankheit aufwiesen, konnte man sofort isolieren und dadurch unterbinden, dass das Virus weitergegeben wurde. Ob das auch auf das Coronavirus zutrifft, ist noch offen, es wird aber vermutet, dass das Virus schon während der Inkubationszeit weitergegeben werden kann.

Ist es denkbar, dass ein solches Virus im Verlauf seiner Ausbreitung mutiert und aggressiver/gefährlicher für die breite Bevölkerung wird?

Viren verändern sich ständig. Die Frage ist, ob diese Veränderung Konsequenzen mit sich bringt und welche. Eine Einschätzung ist schwierig, man geht aber davon aus, dass sich das Virus an den jeweiligen Wirt, also den Menschen, anpasst und dadurch eher weniger aggressiv ist. Deshalb halte ich die Befürchtung, dass das Virus im Laufe der Zeit bedrohlicher werden könnte, für unwahrscheinlich.




Ist die Mutationsfreudigkeit des Coronavirus der Grund dafür, dass es noch keinen Impfstoff gibt?

Dass es noch keinen Impfstoff gibt, hängt nicht mit der Mutationsfreudigkeit zusammen. Beim SARS-Ausbruch 2002/2003 kam es zu insgesamt etwa 8’000 Infektionen, und danach war das Virus verschwunden. Die Entwicklung eines Impfstoffs ist aufwendig und kostspielig. Da sich das Virus in der menschlichen Population nicht mehr verbreitete, war es für die Unternehmen aus wirtschaftlicher Sicht nicht interessant, einen Impfstoff zu entwickeln.

Welche Parallelen gibt es zwischen der SARS-Pandemie 2002/2003 und dem derzeitigen Coronavirus-Ausbruch?

Da kann man Vergleiche ziehen, vieles hat sich aber verändert. Wir sehen, dass wir uns in den vergangenen 20 Jahren sehr weiterentwickelt haben, insbesondere, was die Technologie angeht. Als sich vor 17 Jahren das SARS-Virus verbreitete, dauerte es Monate, bis das Virus identifiziert und das Genom sequenziert werden konnte. Beim derzeitigen Ausbruch des Coronavirus vergingen von der ersten erkannten Infektion bis hin zur Identifizierung nicht einmal zwei Wochen. Nun lässt sich schnell testen, ob eine Person tatsächlich infiziert wurde oder nicht.

Welche Lehren wurden damals seitens der Experten in der Schweiz gezogen, die sich bezüglich der aktuellen Situation anwenden lassen?

In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben wir sehr an der «Preparedness» (zu Deutsch: Bereitschaft), gearbeitet und sind gut gegen potenzielle Virusausbrüche gewappnet. Auch die Spitäler werden mit einbezogen, damit im Ernstfall sichergestellt wird, dass Infizierte unter Quarantänebedingungen behandelt werden können. Wie gut sich die Situation kontrollieren lässt, ist auch von der Dimension eines Ausbruchs abhängig. Bei mehreren tausend Infizierten stösst man bezüglich der Kapazitäten schnell an natürliche Grenzen. Auf einzelne Infizierte, die in die Schweiz einreisen, sind wir aber gut vorbereitet.

An einigen Flughäfen in China wurden bereits Fieberkontrollen für Reisende eingeführt.
An einigen Flughäfen in China wurden bereits Fieberkontrollen für Reisende eingeführt.
Bild: Keystone

Die besonders stark vom Coronavirus betroffene chinesische Millionenstadt Wuhan, und mittlerweile weitere Grossstädte, wurden abgeriegelt, um einer Ausbreitung des Erregers vorzubeugen. Ist das eine gängige Vorgehensweise?

Nein, das gab es zuvor noch nie. Ich könnte mir vorstellen, dass das in anderen Ländern so nicht möglich wäre. Bereits während der SARS-Pandemie griffen die Chinesen zu rigorosen Massnahmen, die sich aber als erfolgreich erwiesen.

Reisewarnungen wurden bisher nicht ausgesprochen. Welche prophylaktischen Massnahmen empfehlen Sie Personen aus der Schweiz, die demnächst nach China reisen?

Es gibt erste Länder, die dazu raten, nicht allzu wichtige Reisen zu verschieben. Wenn man vor Ort ist: die üblichen Massnahmen bezüglich Hygiene einhalten. Dazu gehört, regelmässig die Hände zu waschen und grössere Menschenansammlungen zu meiden.

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