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Interview Können wir noch sorglos Schweizer Leitungswasser trinken?
Von Runa Reinecke
6.9.2019
Grenzwertige Funde des Pestizids Chlorothalonil in Zürcher Quellen beunruhigen. Zu Recht? Wie steht es allgemein um die Qualität unseres Trinkwassers? Wir haben uns bei einem der führenden Schweizer Experten auf diesem Gebiet erkundigt.
Meldungen über Pestizide, Mikroplastik-Partikel und Antibiotika-Rückstände im Wasser – kann man das helvetische «Hahnenburger» überhaupt noch guten Gewissens geniessen? Im Interview hat sich «Bluewin» vom Wissenschaftler Urs von Gunten reines Wasser einschenken lassen.
Herr von Gunten, geniessen Sie lieber Mineralwasser aus der Flasche oder Wasser aus der Leitung?
Mineralwasser aus der Flasche trinke ich nur im Restaurant. Sonst ausschliesslich Leitungswasser.
Und dabei beschleicht Sie keinerlei Unbehagen?
Nein, überhaupt nicht. Die Qualität unseres Leitungswassers ist allgemein sehr gut, und auch aus ökologischer Sicht sehe ich keinen Sinn darin, in Flaschen abgefülltes Wasser zu kaufen.
Kürzlich wurden bei Kontrollen im Kanton Zürich Rückstände des krebserregenden Stoffs Chlorothalonil im Trinkwasser gefunden. In einer von drei Proben lag die Konzentration dieses Pestizids über dem Grenzwert. Erstaunt Sie das?
Nicht besonders, denn das Problem ist nicht neu. Die Höchstkonzentration für Chlorothalonil ist in der Schweiz mit 100 Nanogramm pro Liter Wasser zwar sehr tief angesetzt. Trotzdem ist das ein Warnsignal, und das muss vonseiten des Bundesamts für Landwirtschaft ernstgenommen werden.
Zudem müssen auch die Konsumenten eine Verantwortung übernehmen. Wenn sie Produkte aus intensiver Landwirtschaft kaufen, führt das auch zu einer grösseren Belastung des Trinkwassers. Erstaunlich finde ich auch, dass die Weltgesundheitsorganisation gar keine Empfehlung für Chlorothalonil macht. In den Richtlinien der WHO heisst es, es sei sehr unwahrscheinlich, dass man dieses Pestizid im Grundwasser finde.
Und jetzt ist dieser unwahrscheinliche Fall in der Schweiz eingetreten ...
Das liegt mitunter auch daran, dass die analytischen Methoden immer ausgefeilter werden und sich zusehends verbessern. Heute findet man Substanzen, auf die man früher nicht gestossen wäre. Dabei stellt das Chlorothalonil selbst nur einen Teil des Problems dar: Gelangt es in die Umwelt, wird es in biologische Abbauprodukte umgewandelt. Oft ist es schwierig, diese Vielzahl unterschiedlicher, sogenannter Metaboliten im Wasser ausfindig zu machen. Auch sie werden teilweise als gesundheitlich bedenklich eingestuft.
Wird unser Wasser auch auf die Abbauprodukte von Chlorothalonil getestet?
Sofern diese Stoffe bekannt sind, ja. Und diese werden zum Teil auch in hoher Konzentration gefunden.
Anhand welcher Kriterien werden Grenzwerte für Pestizide festgelegt?
Dabei stützt man sich auf Daten aus Tierexperimenten mit Ratten und Mäusen. Diese Tiere werden über einige Monate hohen Konzentrationen dieser Stoffe ausgesetzt.
Das heisst, es gibt keine aussagekräftigen wissenschaftlichen Analysen, bei denen der direkte Effekt auf den Menschen untersucht wurde?
Epidemiologische Studien sind nur wenige vorhanden, und diese können keinen Zusammenhang zwischen diesen Stoffen und der Gesundheit herstellen. Zudem werden auch beträchtliche Mengen an Pestiziden über Lebensmittel aufgenommen. Die Daten, die aus den Versuchen mit Tieren resultieren, wurden auf den Menschen – vereinfacht gesagt – «umgerechnet». Sie sagen zwar etwas über die Toxizität von Stoffen aus, sind aber mit grossen Unsicherheiten behaftet. Deshalb werden zur Festlegung von Höchstkonzentrationen hohe Sicherheitsfaktoren zur Übertragung vom Tier auf den Menschen eingebaut.
Wie gelangen Pestizide in unser Trinkwasser?
Durch die in der Schweiz intensiv betriebene Landwirtschaft werden sie auf den Feldern ausgebracht und geraten auf diesem Weg ins Grundwasser. Zum Schutz des Grundwassers werden bestimmte Gebiete in der Schweiz nicht oder nicht intensiv landwirtschaftlich genutzt.
Dann dürften solche Stoffe eigentlich doch kaum im Grundwasser zu finden sein.
Pestizide, die nicht schnell abgebaut werden, können auch im Grundwasser über grössere Distanzen transportiert werden. Hinzu kommt, dass man die landwirtschaftliche Produktion in der Vergangenheit höher gewichtet hat als die Wasserqualität. Das Grundwasser gerät aber auch durch die Siedlungsentwicklung unter Druck: Immer mehr schützenswerte Gebiete werden überbaut, ökonomische Interessen dem Schutz des Grundwassers übergeordnet.
Hat sich die Qualität unseres Wassers im Laufe der vergangenen Jahrzehnte stark verändert?
Seit der Industrialisierung kommen immer mehr Chemikalien zum Einsatz. Im täglichen Gebrauch sind es etwa 30'000, darunter auch viele Produkte aus dem Haushalt wie Kosmetikprodukte, Medikamente und Reinigungsmittel. Diese gelangen dann über verschiedene Wege in die Umwelt. Ein wichtiger Eintragspfad ist das Abwasser aus den Haushaltungen. Um diese teilweise schädlichen Stoffe aus dem Abwasser zu entfernen, werden Kläranlagen in der Schweiz aufgerüstet und mit speziellen Aufbereitungsstufen ausgerüstet. So kann die Belastung unserer Gewässer mit Chemikalien, beispielsweise aus Haushaltungen und Spitälern, vermindert werden. Allerdings hilft diese Massnahme nicht, Chemikalien, die aus der Landwirtschaft stammen, zu reduzieren.
Inwiefern ist das intensive Düngen der Felder für unsere Wasserressourcen problematisch?
Die zum Düngen ausgebrachte Gülle enthält unter anderem Stickstoff, der das ökologische Gleichgewicht unserer Gewässer gefährdet. Im Grundwasser führt das zu erhöhten Nitratgehalten, was hinsichtlich der Wasserqualität unerwünscht ist. Ein weiteres Problem sind Medikamente, die in der Nutztierhaltung eingesetzt werden: Arzneien wie Antibiotika können unter gewissen Bedingungen Resistenzen hervorrufen. Dann besteht die Möglichkeit, dass sie bei Infektionen mit bestimmten Keimen auch bei Menschen ihre Wirkung verlieren. Welche Rolle solche Resistenzen in der Umwelt für die menschliche Gesundheit spielen, ist noch nicht genügend erforscht.
Krank machen können uns aber auch die Erreger selbst, wenn sie über die Exkremente der Tiere ins Trinkwasser gelangen. Dieses Problem ist allerdings in der Schweiz gelöst: Für die Trinkwasseraufbereitung werden – falls nötig – Desinfektionsprozesse wie die Bestrahlung durch ultraviolettes Licht eingesetzt.
Zunehmend werden Mikroplastikpartikel in unseren Gewässern gefunden. Gemäss einem aktuellen WHO-Bericht gibt es keinen Hinweis darauf, dass Partikel im Trinkwasser gesundheitlich bedenklich sind. Darf man darauf vertrauen?
Es ist nicht zu erwarten, dass Mikroplastik im Grundwasser ein Problem ist. Auch in Oberflächengewässern wie dem Zürichsee konnten nur geringe Konzentrationen von Mikroplastik nachgewiesen werden. Aufgrund des heutigen Wissens ist zu erwarten, dass es in Bezug auf die menschliche Gesundheit kein Problem gibt, aber es braucht mehr wissenschaftliche Daten, um die Konsequenzen von Mikroplastik abschliessend zu beurteilen.
Hersteller teurer Wasserfilter-Apparate versprechen, Wasser von Pestizid-Rückständen oder von Mikroplastik befreien zu können. Lohnt sich die Anschaffung eines solchen Geräts für den privaten Haushalt?
Das macht in Ländern Sinn, in denen die Wasserqualität schlecht ist. In der Schweiz würde ich das nicht empfehlen. Filtersysteme wie die Umkehrosmose entfernen nicht nur Schadstoffe, sondern auch lebenswichtige Mineralstoffe und Spurenelemente aus dem Wasser. Das halte ich für kontraproduktiv.
Wie erfährt der Konsument, wie es um die Qualität des Wassers aus dem heimischen Wasserhahn steht?
Normalerweise erhält man einmal im Jahr per Post eine Information über die Wasserqualität seines Wohnorts. Wer sich aktiv informieren möchte, dem empfehle ich die Website des Schweizerischen Vereins des Gas- und Wasserfaches (SVGW). Man kann sich aber auch direkt an die Gemeinde oder Stadt wenden, in der man lebt.
Zur Person:
Prof. Dr. Urs von Gunten ist Experte für Wasserqualität und Wasseraufbereitung. Er ist Träger mehrerer Forschungspreise. An der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs, leitet er die Gruppe Trinkwasserchemie und das Kompetenzzentrum Trinkwasser sowie an der ETH Lausanne (EPFL) das Labor für Wasserqualität und Wasseraufbereitung. Zudem lehrt er an der EPFL als ordentlicher Professor in den Gebieten Umweltchemie und Wasseraufbereitung.