Angeschlagene Fitnessbranche«Diese Ungleichbehandlung ist frustrierend»
Von Sulamith Ehrensperger
14.12.2020
Die verschärften Corona-Massnahmen treffen auch die Fitnesscenter hart. Die ersten Konkurse sind Realität, neue Mitglieder bleiben fern und es lockt das Training ohne Fitnessabo. Nun warnt die Branche vor den Folgen.
Herr Ammann, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie von den neuesten Massnahmen des Bundesrates erfahren haben?
Ich habe die neuen Richtlinien nicht verstanden. In den letzten sechs Monaten wurden unserem Gewerbe Dutzende von Auflagen und Kontrollen aufgezwungen, die wir mit hohem Kostenaufwand durchgesetzt haben. Obwohl uns keine einzige Virusinfektion in einem Fitnesscenter bekannt ist, wird nun einfach geschlossen oder stark eingeschränkt. Ich vermisse einen Masterplan oder eine Roadmap. Vor allem vermisse ich aber, dass nachgeforscht wird, wo Ansteckungen stattfinden und dort eingeschritten wird.
Sie sind Präsident des Schweizerischen Fitness- und Gesundheits-Center Verbandes. Während des Lockdowns im Frühjahr hatten Sie die Zeit bis zur Wiedereröffnung der Fitnesscenter mit Blumenausliefern überbrückt. Wie ist es jetzt?
Ja, das stimmt. Meine Frau ist auch selbstständig und musste mit ihrem Blumenladen in den Lockdown. Ich habe sie unterstützt und den ganzen Verkauf über Online und Heimlieferung überbrückt. Und jetzt? Na ja mein Unternehmen im Kanton Solothurn ist seit dem 11. Dezember geschlossen. Ich werde die Zeit sicher nutzen, um unsere Mitglieder zu unterstützen betreffend Umsatzausfällen und Mietzins-Reduktionen. Ich hoffe, dass wir so noch einige unserer KMU retten können. Die ersten Konkurse sind schon Realität.
Wie gross ist die Unsicherheit in Ihrer Branche?
Wie in anderen Branchen auch ist diese Unsicherheit die grösste Bürde. Wird nächste Woche geschlossen oder ist geöffnet? Warum werden einige Branchen sehr streng kontrolliert und auf ein Minimum reduziert, während in anderen Bereichen einfach laufengelassen wird? Ich verstehe nicht, warum in einem Fitnesscenter nur fünf Personen in einer Gruppenstunde erlaubt sind mit 16 Quadratmeter pro Person, bei einem Gross-Detailhändler hingegen am Samstag in der Gemüseabteilung Menschentrauben ohne jeglichen Abstand herumwuseln und das ohne Handschuhe. Diese Ungleichbehandlung ist frustrierend.
Zur Person: Claude Ammann
zVg
Claude Ammann ist Präsident des Schweizerischen Fitness- und Gesundheitscenter Verband SFGV, Co-Präsident der Oda Bug Bewegung und Gesundheit (Dachverband der Bewegungsberufe Schweiz) und Geschäftsführer des «Physio In Fit» in Zuchwil SO. Der SFGV ist der grösste Arbeitgeberverband der Schweizer Fitnessbranche und vertritt 400 Fitness- und Gesundheitscenter-Unternehmungen.
Vor allem kleine Anbieter ächzen unter der Corona-Krise, und was ist mit den Grossen?
Die Billig- und Kettenbetriebe verfügen über gewaltige finanzielle Ressourcen, die den KMU des SFGV nicht zur Verfügung stehen. Ich denke, dass dies in anderen Branchen nicht anders ist. Schlussendlich liegt es aber am Konsumenten, die KMU und regionalen Anbieter zu unterstützen. Am meisten hilft es uns, wenn uns die Kunden trotz der Schliessung treu bleiben und uns in dieser schweren Zeit unterstützen.
Der Deutsche Sportstudio-Verband erwartet für die Branche wegen Corona einen Umsatzrückgang von 865 Millionen Euro in diesem Jahr. Wie gross dürfte der Schaden für die Schweizer Fitnessbranche sein?
Der Gesamtumsatz der Schweizer Fitnessszene liegt laut Branchenreport 2020 bei zirka 1,4 Milliarden Franken. Wir gehen von einem Umsatzrückgang von rund 40 Prozent aus. Dies wäre ein Schaden von rund 600 Millionen Franken.
Eine erstarkte Konkurrenz fürs klassische Fitnesscenter droht auch aus den Wohnzimmern. In der Corona-Krise haben viele Menschen gemerkt, dass man sich auch im Freien bewegen oder zu Hause in Form halten kann. Eine Konkurrenz?
Ich sehe darin keine Konkurrenz, sondern eine wertvolle Ergänzung. Es spricht nichts gegen ein tägliches pulsgesteuertes Ausdauertraining – ob im Fitnesscenter oder zu Hause ist dem Herz egal, Hauptsache der Körper ist in Bewegung. Beim Hanteltraining hingegen ist das Problem, dass die Übungen nicht korrekt durchgeführt werden und sogar kontraproduktiv sind, wenn man sie einfach aus dem Internet herunterlädt. Im Fitnesscenter haben Sie ausgebildete Fachkräfte, die Ihnen die richtigen Übungen in der richtigen Intensität zeigen. Dies ist zu Hause nur beschränkt möglich.
Fitnesscenter und weitere Sportanlagen müssen nun an Sonntagen geschlossen bleiben. Wie wichtig ist der Sonntag für Fitnessbetreiber im Allgemeinen?
Es ist nun mal so, dass es Menschen gibt, die sechs Tage in der Woche arbeiten oder lange Arbeitstage haben. Eine sinnvolle Trainingsplanung sagt: an mindestens zwei nicht aufeinanderfolgenden Tagen trainieren. So wird es für diese Leute schwierig ein gesundheitsorientiertes Training zu absolvieren. Der Sonntag ist daher ein wichtiger Trainingstag für viele Menschen, die unter der Woche keine Zeit finden.
Was bedeutet die 5-Personen-Regel für Ihre Branche?
Wenn man auf die betriebswirtschaftliche Seite wechselt, ist es absolut unrentabel, eine von einer Fachperson geleitete Gruppenstunde mit lediglich vier Personen durchzuführen.
Der Januar ist bekanntlich für die Fitnessbetreiber die Hochsaison und bei Neuverträgen richtungsweisend fürs ganze Jahr. Die neuen Massnahmen gelten aber bis mindestens 22. Januar. Was bedeutet das für Sie?
Es ist absolut richtig, dass der Januar zu einem der wichtigsten Monate im Jahr gehört. Auch der November ist ein sehr umsatzstarker Monat, der durch die Pandemie sehr schlecht ausgefallen ist. Viele, vor allem kleinere Betriebe, sind durch das schlechte 2020 noch stark geschwächt. Viele Kunden habe ihr Abo nicht erneuert, da sie ja auch nicht wussten, wie es weitergeht. Wer verlängert schon sein Abo, wenn das Fitnesscenter geschlossen ist oder jeden Moment geschlossen werden kann. Laut einer ersten Blitzumfrage haben die Center rund 40 Prozent ihrer Kunden in den letzten neun Monaten verloren.
Ein Ende der Durststrecke im Corona-Winter ist kaum absehbar. Wie halten Sie sich bei der Stange und bei positiver Perspektive?
Es ist nicht so, dass wir die Gefahren dieser ausserordentlichen Lage nicht sehen. Nach wie vor sind wir aber überzeugt, dass unsere Schutzkonzepte wie bisher so funktionieren, dass es in Fitnesscentern keine Ansteckungsherde gibt – und geben wird. Aus diesem Grund fordern wir vom Bund oder den Kantonen eine finanzielle Entschädigung für den entstandenen Schaden und die willkürlichen Schliessungen.