Schritteregel 10’000 Schritte – ein Mythos, Werbegag oder Gesundheitstipp?

Von Sulamith Ehrensperger

19.8.2019

Es muss kein Marathon sein: Mit ein paar einfachen Tricks kann man auch im Arbeitsalltag seine Schrittzahl erhöhen. 
Es muss kein Marathon sein: Mit ein paar einfachen Tricks kann man auch im Arbeitsalltag seine Schrittzahl erhöhen. 
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Können 10'000 Schritte pro Tag wirklich den Sport ersetzen? Sind sie ein Werbegag oder das Rezept, um fit und gesund zu bleiben? Das Interview mit Walter O. Frey gibt Antwort. 

Herr Frey, Sie sind Sportarzt am universitären Institut für Sportmedizin «Move>med» in Zürich. Wie viele Schritte gehen Sie an einem Arbeitstag?

Ich komme auf rund 4’000 Schritte – obwohl das Institut, in dem ich arbeite, immerhin dreistöckig ist und ich ständig unterwegs bin. Die 10’000-Schritte-Grenze knacke ich nur, wenn ich mich zusätzlich bewege.

Es gibt verschiedene Studien, die auf eine geringere als die 10’000-Schritte-Grenze hinweisen. Andererseits solche, die auf 15’000 bis 18’000 Schritte kommen, um langfristig eine positive Wirkung auf die Gesundheit zu haben. Warum sind sich die Forscher nicht einig?

In einem sind sich alle einig: Mit jedem Schritt tun wir uns etwas Gutes. Entscheidend ist nicht, ob Sie genau 10000 Schritte schaffen, sondern dass Sie aktiv sind. Anerkannt ist die Dauer, während der man sich bewegt. Das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt täglich 30 Minuten zügiges Gehen. Beim Joggen erreichen Sie den Effekt schon nach der Halbzeit. Jede Minute zählt. Auch wer sich nur zehn Minuten bewegt, hat schon einen riesigen Vorsprung gegenüber denjenigen, die sitzen bleiben.

Jede Minute zählt: Wer die 30 Minuten nicht am Stück schafft, kann sie auch über den Tag verteilen. 
Jede Minute zählt: Wer die 30 Minuten nicht am Stück schafft, kann sie auch über den Tag verteilen. 
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Was viele nicht wissen: Die 10’000-Schritte-Regel hat ihren Ursprung nicht in der Wissenschaft, sondern ist eine mehr als 50 Jahre alte Werbung für einen Schrittzähler. Ist die Regel nicht mehr als ein Werbegag?

Im Gegenteil, die neuesten Forschungen zeigen, dass die Grundrahmenbedingungen mit diesen 10’000 Schritten übereinstimmen. Das mag ein glücklicher Zufall sein. Die Forschung hat verschiedene Parameter untersucht. Alle kommen übereinstimmend zu gleichen Resultaten. Eine halbe bis eine Stunde zügiges Gehen entspricht ungefähr der 10'000-Schritte-Regel. Das hat also seine Berechtigung und ist für die nächsten zehn Jahre quasi in Urner Granit gemeisselt.

Seit den sechziger Jahren haben sich die Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten wiederum sehr verändert. Müsste die Schritte-Regel nicht für heute angepasst werden?

Die Medizin hat das Thema jahrelang verschlafen, weil man erst Patient ist, wenn man krank ist und liegen muss. Heute wird auch der bewegte Mensch genauer studiert. Dabei hat man herausgefunden, dass der Muskel neben der Fortbewegung und Fettverbrennung noch eine dritte Eigenschaft besitzt: Der aktive bewegte Muskel schüttet Botenstoffe aus, die den Stoffwechsel in eine gesunde Richtung lenken. Er funktioniert dann wie eine Drüse. Dieses «zusätzliche Organ» macht, dass wir länger leben und weniger krank werden.

Fitter, schneller, schlanker – mit smarter Fitnesstechnik können wir uns erstrebenswerte Ziele setzen und uns motivieren. Sie können einen aber auch unter Druck setzen. In welchen Fällen sind Schritte-Regeln kontraproduktiv?

Ich sehe das sehr locker. Bewegung soll meiner Meinung nach auch Spass machen. Erreichen Sie Ihr Ziel, leiden dabei aber nur, lohnt sich das nicht. Wer die 30 Minuten nicht am Stück schafft, kann sie auch über den Tag verteilen. Wer Mühe hat, kann es gemütlich nehmen.

Nutzt jede Gelegenheit, um sich zu bewegen: Walter O. Frey ist Sportarzt am universitären Institut für Sportmedizin «Move>med» in Zürich und Chefarzt von Swiss Ski. 
Nutzt jede Gelegenheit, um sich zu bewegen: Walter O. Frey ist Sportarzt am universitären Institut für Sportmedizin «Move>med» in Zürich und Chefarzt von Swiss Ski. 
Bild: Walter O. Frey

Welche anderen Tricks und Tipps gibt es, um genug Bewegung in den Alltag einzubauen?

Ich spaziere zwei Tramstationen, so habe ich schon ein Drittel meiner täglichen Bewegung gehabt. Ich bewege mich, wann immer ich kann. Beim Klassiker Treppensteigen bleibt noch anzumerken, dass Sie ein Stockwerk in zirka zehn Sekunden erreichen. Sie müssten schon zuoberst in einem Hochhaus arbeiten, um auf genügend Bewegungszeit zu kommen. Ein Tipp ist, über Mittag gemeinsam ins Restaurant zu spazieren – Sie können sich unterhalten, sind produktiver und werden dabei gesünder.

Mehr Bewegen im Alltag mit den Tipps vom Bundesamt für Gesundheit. 

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