Finsterer Frankfurter «Tatort» Warum werden Familienväter zu Mördern?

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18.4.2022

Der Fall einer vermissten Frau liess die Frankfurter Ermittler im «Tatort» am Ostermontag rätseln und am Ende wohl auch an der Auflösung verzweifeln: Wie realistisch war die Mordtat des von Charakterdarsteller Uwe Preuss so beängstigend gespielten Familienvaters?

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Ein Vermisstenfall sorgte im Frankfurter «Tatort: Finsternis» am Ostermontag für viele Fragezeichen: Eine Frau verschwand spurlos, nur ihr Auto wurde im Wald gefunden. Während für die Frankfurter Ermittler Janneke (Margarita Broich) und Brix (Wolfram Koch) vieles dafür sprach, dass sie Opfer eines grausamen Verbrechens wurde, sah die Familie der Vermissten das ein wenig anders: Ihr kranker Mann (Uwe Preuss) und die beiden Töchter glaubten, dass alles in Ordnung war.

Als Zuschauer konnte man an diesem Fall schier verzweifeln: Was war wirklich geschehen? Was ging in der seltsamen Familie vor? Und am Ende dürften sich viele auch gefragt haben: Was macht einen Familienvater und Ehemann zum Mörder?

Worum ging es?

Der «Tatort: Finsternis» begann wie ein Horrorfilm: Ein junges Paar mit Fahrrad nahm «die Abkürzung» von einer Tankstelle nach Hause zu ihm, durch den nächtlichen Frankfurter Stadtwald. Plötzlich hörten sie Schreie und fanden offenbar eine Frauenleiche in ihrem Blut – ehe sie durch einen Angreifer in die Flucht geschlagen wurden. Am nächsten Morgen ging das Pärchen noch einmal mit den Ermittelnden Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) zum Ort des Geschehens. Dort fand man zwar Spuren eines möglichen Verbrechens, aber keine Leiche.

Ganz in der Nähe des Tatorts wurde jedoch während der Nacht ein im Wald geparktes Auto bemerkt, dessen Besitzerin Maria Gombrecht tatsächlich verschwunden war. War die Mutter zweier erwachsener Töchter tatsächlich zum Fastenwandern nach Frankreich aufgebrochen und hatte aus Einkehr-Gründen ihr Handy ausgeschaltet? Oder war sie auf ewige Zeit nicht mehr erreichbar? Die Ermittler standen vor einem eigenartigen Fall, der sie zur Familie der Verschwundenen führte.

Worum ging es wirklich?

Um die eigenartigen Dynamiken einer rätselhaften Familie, die die Realität zu verweigern schien: Als Janneke und Brix die Gombrecht-Familie aufsuchten, trafen sie auf den krebskranken Ehemann Ulrich (Uwe Preuss) und seine schwangere Tochter Kristina (Odine Johne). Die fürsorgliche Frau wohnte mit ihrem neuen Mann Freder (Caspar Kaeser) und dem Teeanger-Sohn aus einer früheren Beziehung genau gegenüber des Vaters. Aus Berlin war die jüngere Schwester Judith (Julia Riedler) angereist.

Janneke und Brix wurden – genau wie die Zuschauerinnen und Zuschauer – aus den Gombrechts nicht richtig schlau. Sie wirkten merkwürdig zuversichtlich, was den Verbleib der Mutter anging – obwohl viele Indizien dafür sprachen, dass Maria Gombrecht, die von Charakterdarstellerin Victoria Trauttmansdorff in kurzen Rückblenden dargestellt wurde, nicht mehr lebte. Wussten die Mitglieder der Familie mehr, oder handelte es sich um einen Fall von «Es kann nicht sein, was nicht sein darf»? – Das war die Frage, die zunächst über allem schwebte.

Doch der Fall wurde von Minute zu Minute psychologischer und fokussierte immer mehr den offensichtlich hoch manipulativ agierenden Familienvater, der von Charakterdarsteller Uwe Preuss (61), sonst unter anderem als Rostocker «Polizeiruf 110»-Teamchef tätig, so herausragend wie beängstigend gespielt wurde. Er war ein Mörder, wie man ihn nicht alle Tage im Fernsehkrimi sieht.

Wenn aus Liebe Hass wird: Wie stimmig war die Tat?

Das im «Tatort»-Fall dargestellte Phänomen ist leider absolut realistisch und in der Psychologie gut erforscht: Es kommt vor, dass die grosse Liebe in pure Mordlust umschlägt. Das Verhaltensmuster, das schliesslich in eine schwere Störung mündet, weist nach Auffassung der Forscher Parallelen zum Suchtverhalten auf. Hinter einer Gewalttat steckt oft eine lange Historie. Was die Forschung auch längst belegt hat: Männer töten in Beziehungen deutlich häufiger als Frauen.

Viel diskutiert wurde in diesem Zusammenhang in letzter Zeit auch über sogenannte «Femizide» – also das Töten einer Frau aufgrund ihres Geschlechts, meist durch ihren Partner, Ex-Partner oder Familienmitglieder. «Opfer von Tötungsdelikten innerhalb der Partnerschaft sind zu 90 Prozent Frauen», liess der Bundesrat 2021 mitteilen. Zwischen 2011 und 2020 wurden in der Schweiz 147 Menschen von ihrem (ehemaligen) Partner getötet, 134 davon waren weiblich. 

Auch in dem von Uwe Preuss so eigenwillig verkörperten Familienvater hat sich die Verbitterung über einen vermeintlichen Kontrollverlust und die offenbar ungleichen Machtverhältnisse in der Beziehung zu seiner Frau angestaut. Als sie beschliesst, aus dem Alltag auszubrechen und noch einmal mit einem Studium zu beginnen, ist in ihm die Bitterkeit schon längst in Wut, Trauer und Wahnsinn umgeschlagen, so setzt er schliesslich einen akribisch geplanten Mord um.

«Sie wollte weg von ihm, neu anfangen, da hat er sich das mit der Leukämie ausgedacht, um sie zu halten», wird der Sachverhalt im Film zusammengefasst. Janneke konstatierte trocken: «Er hat seine Frau immer ‹Abfall› genannt. Entsprechend hat er sie nicht nur getötet, sondern regelrecht vernichtet.» Es stellte sich heraus, dass die Leiche der Frau verbrannt und mit Säure aufgelöst wurde ... Nichts für schwache Nerven.

Wie gut war der Film?

Hier werden sich die Geister scheiden – wie eigentlich immer, wenn es im «Tatort» allzu psychologisch zugeht. Das Rätsel um eine verschwundene Frau, die sich einfach nicht melden will, von der aber einige in der Familie an das Gerücht oder die Tatsache glauben, sie habe zwischenzeitlich Lebenszeichen von sich gegeben, war als Prämisse interessant, aber auch überschaubar. «Finsternis» war ein in manchen Szenen fast leerer Film mit verlorenen Menschen in grossen Bildräumen, in deren Tankstellen-, Hörsaal- oder Krankenhausmotiven sich die von weitem gefilmten Charaktere fast verloren.

Ob man den «Tatort: Finsternis» gut fand oder nicht, lag wahrscheinlich daran, wie faszinierend man die Figuren des von Uwe Preuss gespielten Vaters und seiner beiden Töchter fand. Die Stuttgarterin Odine Johne («Der Palast») sowie die Salzburgerin Julia Riedler («Goster») verkörperten zwei in jeder Beziehung ungleiche Frauen, über deren Binnenverhältnis Zuschauende genauso rätseln dürften wie über beider «Connection» zur verschwundenen Mutter wie zum Vater.

Wer aufs Ergründen merkwürdiger, ja irritierender Familien steht, ein Spiel, welches das Drehbuch allerdings auf recht zurückhaltende Weise betrieb, konnte an diesen recht anstrengenden Zuschau- und Aufpasskrimi seine Freude haben. Der «Tatort: Finsternis», für dessen Regie und Drehbuch Petra Lüschow («Petting und Pershing») verantwortlich zeichnete, war ein eher unspektakulärer, aber dafür ziemlich dunkler und nicht in jeder Erzählfaser glaubwürdiger Krimi aus dem in letzter Zeit etwas schwächelnden – gerade weil lange Zeit erzählerisch so starken – Frankfurter Revier.

Wer sorgte für den nervenaufreibenden Soundtrack?

Der seine «Tatorte» stets selbst produzierende Hessische Rundfunk liess für den Film vom hauseigenen hr-Sinfonieorchester einen subtil enervierenden Soundtrack einspielen. Ein Schachzug, der zum Erzählten passt. «Einsam ist es da draussen», scheint einem der Film zurufen zu wollen – und das, obwohl eine Familie gezeigt wird, in der sich die Mitglieder umeinander zu kümmern scheinen. In dieser psychologischen Irritation liegt der grösste Reiz des ziemlich leisen Ostermontag-Krimis aus Frankfurt.

Wie geht es weiter mit dem Frankfurter «Tatort»?

Unter dem Titel «Leben. Tod. Ekstase» wurde der nächste Frankfurter «Tatort» bereits im vergangenen Sommer inszeniert. Der Krimi unter Regie von Nikias Chryssos soll in der zweiten Jahreshälfte 2022 zu sehen sein – und mit einem alten «Tatort»-Bekannten aufwarten: Martin Wuttke, einst Leipziger Kommissar, verkörpert einen Psychoanalytiker, in dessen Therapiesitzung sechs Menschen sterben. Ausserdem soll derzeit ein weiterer «Tatort» aus der Main-Metropole in Arbeit sein, der 2023 seine Premiere feiern wird.