Wiener «Tatort» über Schuld und Moral Wann sind Täter «schuldunfähig»?

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3.4.2022

Die Wiener Ermittler schienen im «Tatort: Alles was Recht ist» ihren einfachsten Fall zu erleben. Doch dann kam alles – verblüffend – anders. Hatten Sie auch den Eindruck, eigentlich drei Krimis gesehen zu haben?

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Es war eine der cleversten ersten Viertelstunden seit langem beim «Tatort». Ein oberkorrekter Biedermann (Johannes Zeiler) tötet seine Frau und ihre Freundin in einem Eifersuchtsanfall. Doch der Mann kann sich nicht an die Tat erinnern – und die Zuschauenden des Films wurden lediglich Ohrenzeugen der Tat. Trotzdem ein eindeutiger Fall, oder?

Pustekuchen – ein Staranwalt, spezialisiert auf «unmögliche» Fälle, haut den mutmasslichen Doppelmörder raus. Doch der ist unglücklich damit, denn er ist ein Mann des Glaubens und damit auch der Schuld. Unter welchen Umständen und mit welchen Rechtsargumenten kommt man bei einer derart drückenden Beweislast davon? 

Worum ging es?

Als Stefan Weingartner (Johannes Zeiler) überraschend aus dem Büro zurückkehrt, wird er Ohrenzeuge, wie seine Frau ihrer Freundin einen sexuell äusserst anregenden Seitensprung schildert. Mit Weingartner gehen die Nerven durch, und die Zuschauenden werden ihrerseits Ohrenzeugen, wie zwei Frauen sterben. Was weder die Ermittelnden Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) noch die Zuschauenden erwarten: Anwalt Thomas Hafner (Julian Loidl) haut den mutmasslichen Täter Weingartner raus.

Kurze Zeit später liegt der Jurist allerdings selbst tot im Büro. Für die Polizei beginnt eine akribische Suche nach Motiven und Tatverdächtigen. Nach der Overtüre voller überraschender Wendungen beginnt nun ein zweiter Fall, der akribische Polizeiarbeit in Sachen Motiv- und Tätersuche zeigt. Im dritten Schritt folgt die Holterdiepolter-Schnellauflösung. Der klar schwächste Part dieses anfangs hervorragenden Wien-Krimis.

Worum ging es wirklich?

Auch hier die Antwort: Man sah eigentlich drei Krimis. Im überwältigenden ersten Part liess Drehbuchautorin Karin Lomot die Gedankenwelt Ferdinand von Schirachs mehr als nur aufblitzen, an dessen verzwickt rechtsphilosophische Geschichten dieser Krimi erinnerte: Warum wird ein Mann freigesprochen, der offenbar schuldig ist – und auch büssen möchte?

Im zweiten Teil war «Alles was Recht ist» dann ein akribisches Polizei-Puzzle über Motiv- und Tätersuche, bei dem stets ein Teilchen nicht zu passen schien. Auch Teil zwei, zwar etwas spröder, war durchaus gelungen. Es folgte das eher enttäuschende, räuberpistolige Finale – als wäre den Kreativen bei der Herstellung eines runden Handlungsbogens plötzlich das Werkstück ausgebüxt. So benoten wir den Wiener «Tatort»-Dreiteiler in seinem Verlauf mit den Schulnoten 1, 2+ und 4-.

Wann sind Mörder «schuldunfähig»?

Im «Tatort» wird Stefan Weingartner freigesprochen, weil er von einem Psychiater als nicht zurechnungsfähig eingeschätzt wird. Grundlage dafür ist die Tatsache, dass sich Weingartner an alle Details vor und nach der Tat erinnern kann, jedoch nicht an die Morde selbst. Das Geschworenengericht urteilt mit 8:0 Stimmen, dass eine «nicht vorsätzliche» Tötung vorliegt. Der Angeklagte ist frei.

Tatsächlich kann im deutschen und auch österreichischen (§ 11 StGB Zurechnungsunfähigkeit) Recht juristische Schuld ganz oder teilweise durch seelische, psychische Störungen ausgeschlossen sein. Man spricht dann gerne von Unzurechnungsfähigkeit.

Diese Terminologie ist jedoch juristisch veraltet, heute spricht man von Verschuldensfähigkeit und Verantwortlichkeit, wie in § 827 StGB definiert. Schuldunfähigkeit definiert sich – in drei Schritten – zunächst nach dem Alter. Bis 14 Jahre ist man schuldunfähig, von 14 bis 18 Jahre bzw. 18 bis 21 Jahre eventuell eingeschränkt schuldfähig. Bei Erwachsenen kommen folgen Gründe für eine Schuldunfähigkeit in Betracht: Gebrauch psychotroper Substanzen wie Alkohol oder Drogen, deutlich verminderte Intelligenz («Schwachsinn»), Psychosen und andere tiefgreifenden Bewusstseinsstörungen.

Wie ist es mit der Schuldunfähigkeit in der Schweiz?

Schuldunfähigkeit und verminderte Schuldfähigkeit sind in Art. 19 des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 geregelt. Demnach muss ein Täter, eine Täterin schuldfähig sein, um bestraft werden zu können. Man muss gemäss Wortlaut des Strafgesetzbuches fähig sein, «das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln.» Bei Kindern und Jugendlichen gilt komplette Strafunmündigkeit in der Schweiz übrigens nur bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres. Bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen muss diese Frage bezogen auf die strafbare Handlung geklärt werden.

Im Strafgesetzbuch (Art. 19 Abs. 1 und 2) sind die Schuldunfähigkeit und die verminderte Schuldfähig­keit wie folgt definiert: «War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder ge­mäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar. War der Täter zur Zeit der Tat nur teilweise fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so mildert das Gericht die Strafe.»

Wie geht es beim Wiener «Tatort» weiter?

Noch ein weiterer Fall mit Bibi Fellner und Moritz Eisner soll 2022 zu sehen sein. Er trägt den Titel «Das Tor der Hölle». Es geht um den Tod eines Priesters, der ein Satans-Amulett bei sich trug. Der Krimi über Okkultismus und Satanismus entstand im Sommer 2021.

Aktuell stehen Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser wieder für eine neue Folge vor der Kamera: Im «Tatort: Kreisky ist tot» – geplant für 2023 – steuert die österreichische Indie-Kultband Kreisky sinnigerweise die Filmmusik bei und bestreitet einen Gastauftritt. Eisner und Fellner müssen den Mord an einem extrem erfolgreichen IT-Mitarbeiter aufklären und erarbeiten Erkenntnisse, die auch ihre Kollegin Meret Schande (Christina Scherrer) vor eine grosse Bewährungsprobe stellen.