Interview Warum die Neue im «Tatort» morgens schnell fertig ist

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2.2.2019

Eine deutsche Musical-Darstellerin wird Hollywood-Superheldin. Und nun auch noch «Tatort»-Kommissarin. Florence Kasumba über ihre neue Rolle, ihren Lebensweg und den Vorteil kurzer Haare.

Kaum einer deutschen Musical-Darstellerin gelingt es, sich im Film- und Fernsehgenre zu etablieren. Noch unwahrscheinlicher ist es, mit Musicals als Background den Sprung nach Hollywood zu schaffen. Florence Kasumba ist beides auf wundersame Weise gelungen. So ist sie unter anderem in Marvel-Blockbustern wie «Avengers: Infinity War» oder «Black Panther» mit von der Partie.

Am Sonntag, 3. Februar, ist die 42-Jährige aus dem Ruhrgebiet nach einer durchgängigen Rolle in der Amazon-Serie «Deutschland 86» nun als neue Partnerin von Maria Furtwängler im «Tatort: Das verschwundene Kind» zu sehen. Damit darf Kasumba für sich verbuchen, erste schwarze «Tatort»-Kommissarin in der Geschichte des seit 1970 ausgestrahlten Krimi-Phänomens zu sein.

Wobei sie exakt um diesen «Rekord» nicht viel Aufhebens machen will, wie sie im Interview erklärt. Die Frau mit der Superheldinnen-Physiognomie spricht über ihren erstaunlichen Lebensweg, den Rollenwandel, den Figuren mit Migrationshintergrund derzeit im deutschen Fernsehen erfahren, sowie über den Vorteil extrem kurzer Haare.

Wie kommt es, dass Sie Maria Furtwängler an die Seite gestellt wurden? Lange Jahre war sie die einsame Wölfin des «Tatort».

Ich weiss nicht, wie Maria das sieht. Bei mir war es so, dass ich irgendwann mal den Wunsch geäussert hatte, dass ich gerne eine Kommissarin spielen würde. Und immer, wenn ich mir bisher etwas sehr gewünscht habe, hat es tatsächlich auch geklappt. Es war so bei meinem Abitur, bei der Schauspielschule und natürlich auch beim Wunsch, in diesem Beruf zu arbeiten.

Nun haben Sie ja schon «Tatort»-Erfahrung ?

Ja, ich habe bereits in einigen Folgen mitgespielt. Ich glaube, allein 2010 drehte ich drei «Tatort»-Episoden. Aber es waren nie Ermittler-Rollen. Ich habe den Kollegen damals genau zugesehen – und mir hat die Aufgabe gefallen. Klar, es ist eine grosse Verantwortung. Aber eine, die mich sehr reizt.

Furtwänglers Kommissarin Charlotte Lindholm ist erst mal nach Göttingen strafversetzt – wo sie auch Sie trifft. Allerdings will Lindholm schnell wieder weg. Ist das neue Team also eine Konstellation für nur kurze Zeit?

Ich entscheide das nicht. Da müssen Sie die Verantwortlichen beim Sender fragen. Momentan sind wir in Göttingen, und da soll es auch weitergehen. Es ist jedenfalls kein Experiment, dass nur wenigen Folgen dauern soll.

Sie sind ausgebildete Musical-Darstellerin. Wollten Sie ursprünglich gar nicht ins klassische Schauspielfach?

Ich habe in Holland Tanz, Gesang und Schauspiel studiert. Mich also mit allen drei Kunstformen intensiv beschäftigt. Ich habe als Kind im Ruhrgebiet «Starlight Express» gesehen, das damals in Bochum aufgeführt wurde. Das, was ich sah, wollte ich auch machen. Zum Glück fand ich diese Hochschule in Tilburg. Ursprünglich wollte ich dorthin, weil ich nicht ganz so weit von meinen Eltern in Essen weg leben wollte. Im Nachhinein war es auch aus anderen Gründen eine gute Wahl. Die vier Jahre dort sind hart. Aber jeder, der da rauskommt, kann auch wirklich etwas.

Wie sind Sie vom Musical zum Film gekommen?

Ich wurde während meines letzten Jahres in Tilburg von Filmemachern angesprochen. Die mussten für eine niederländische Kinoproduktion eine Rolle besetzen, auf die mein Profil zu 100 Prozent passte: jemand, der afrikanische Wurzeln hatte, in Deutschland aufgewachsen war und in Holland studierte. Da ich auch niederländisch spreche, war ich also die perfekte Wahl. (lacht)

Danach hat sich Ihre Karriere zweigleisig entwickelt – beim Musical und beim Film?

Ja, ich wollte einfach immer arbeiten. Es gab nicht den einen grossen Durchbruch, sondern es war eine kontinuierliche Entwicklung. Was mir natürlich geholfen hat, war die Zeit. Musicals wurden in Deutschland immer beliebter. Für grosse Rollen engagierte man damals gerne Darsteller aus den USA, Australien oder London. Weil sie oft schon weiter waren, als die hiesigen Künstler. Allerdings mussten sie auch erst mal Deutsch lernen. Ich konnte das alles schon, und auf einmal wurde ich für Shows wie «König der Löwen», «Cats», «Aida» oder «Westside Story» besetzt.

Und die Filmrollen kamen nach und nach dazu?

Ja, so ähnlich. Ich glaube, es war 2005. Da spielte ich gerade «Cats» und wurde für ein «Tatort»-Casting eingeladen. «Tod aus Afrika» hiess diese vom ORF produzierte Folge, in der ich meine erste Krimirolle spielte. Es war mein dritter Dreh überhaupt. Damals befand ich mich immer in festen Engagements. Ich konnte ohnehin nur kleine Rollen drehen – dann, wenn die Musicals Pause machten.

Wie lange haben Sie dieses Leben so geführt?

2012 und 2013 habe ich in St. Gallen «Chicago» gespielt – das war mein letztes festes Musical-Engagement. «Chicago» ist eines meiner Lieblings-Musicals. Das wollte ich unbedingt noch machen. Danach aber dachte ich: Hey, du musst dich nicht auf eine Sache beschränken! Mach doch ganz verschiedene Projekte. Um grössere Rollen in Filmen spielen zu können, braucht man Zeit. Die Zeit musste ich mir nehmen. Deshalb spiele ich seitdem keine festen Musical-Produktionen mehr. Wenn du da drin bist, hast du vielleicht drei Wochen pro Jahr frei.

Seit ein paar Jahren spielen Sie auch in amerikanischen Blockbustern und Serien mit. Wie sind die auf Sie gekommen?

Ich habe neben einer deutschen Agentur auch eine in London. Die sondieren für mich den englischsprachigen Markt. Mein Englisch ist sehr gut, ich kann dort ohne Probleme arbeiten. Da kam eben eines zum anderen.

Mit welcher Sprache sind Sie aufgewachsen?

Mit Deutsch. Ich wurde zwar in Uganda geboren, allerdings sind meine Eltern seit den 60ern in Deutschland. Sie fanden es wichtig, dass wir zu Hause deutsch sprechen. Englisch habe ich in der Schule gelernt – im meinem Leistungskurs. Und natürlich auch bei MTV, in Holland während der ersten Zeit, als ich noch kein Niederländisch konnte. Und natürlich dann später bei den amerikanischen Film-Produktionen.

Wie viel bedeutet Ihnen die Tatsache, dass Sie die erste schwarze «Tatort»-Kommissarin sind?

Ich bin dankbar für die Rolle, aber ich möchte meine Hautfarbe in diesem Zusammenhang nicht so hoch hängen. Ich habe zwar selbst mal gesagt, als es im Gespräch war, dass ich die Rolle bekommen könnte und dass ich in diesem Fall die erste schwarze Ermittlerin beim «Tatort» wäre. Aber persönlich bedeutet mir das nicht so viel.

Es ist noch nicht lange her, da setzte man im deutschen Fernsehen Schauspieler mit Migrationshintergrund meist für stereotype Rollen ein. Der Deutschtürke war dann meist Gemüsehändler oder Gangster. Ist es nicht ein Fortschritt, wenn eine schwarze Deutsche die Kommissarin spielt, ohne dass es gross thematisiert wird?

Da sehe ich genauso. Wir erklären im «Tatort» nicht, warum Anaïs Schmitz – so heisst meine Figur – schwarz ist. Sie ist mit einem weissen Deutschen verheiratet, daher der Name Schmitz. Das muss als Erklärung genügen, und das finde ich gut so.

Warum?

Weil es darum geht, was diese Frau tut und wie sie ist. Es geht nicht darum, dass sie schwarz ist. Die Menschen sind mittlerweile so weit, dass sie so etwas auch nicht mehr so interessant finden. Weil sie wissen, unsere Gesellschaft ist eben heute durchmischter. Natürlich gibt es immer noch Leute, die sagen zu mir: «Wow, Ihr Deutsch ist aber sehr gut!» Aber die meisten Menschen, mit denen ich zu tun habe, sind genauso wie ich. Viele haben einen Migrationshintergrund. Sie interessiert die Frage, wo ich herkomme, nur am Rande. Es geht uns darum, was wir in diesem Leben tun.

Deshalb wollen Sie auch nicht so viel Aufhebens um Ihre schwarze Kommissarin machen?

Sehen Sie, die gemischte Gesellschaft ist heute Mainstream in Deutschland. Wer das nicht sieht oder akzeptiert, lebt im Gestern. Früher war es eine Sensation, wenn Fernsehkommissare weiblich waren. Da gab es eigentlich nur Männer in solchen Rollen. Mittlerweile sind Frauen voll etabliert, was die TV-Ermittlerinnen betrifft. Und das hat nur zwei, drei Jahrzehnte gedauert. Weil ich viel im Ausland arbeite, habe ich gesehen, wie unverkrampft andere Gesellschaften mit Hautfarbe und Herkunft von Figuren umgehen. Und das hat mir Mut für Deutschland gegeben.

Wie meinen Sie das?

Ich habe in internationalen Produktionen Ärztinnen, Soldatinnen und Fantasy-Figuren gespielt. Niemand hat es da als etwas Besonderes hingestellt, dass ich schwarz bin.

Ihr Erscheinungsbild – kurze Haare, durchtrainiert – erinnert an Grace Jones. Reiner Zufall, oder waren Sie Styling-technisch ein Fan von ihr?

Ich werde darauf immer wieder angesprochen. Grace Jones ist eine tolle Künstlerin, aber ich war nie ausgewiesener Fan. Früher trug ich lange Haare. Beim Tanzen habe ich sie mir nach hinten gebunden. Auch geflochtene Zöpfe waren immer wieder mal angesagt. 2004 beendete ich in Essen «Aida» und wusste, ich fange ein paar Tage später bei «Cats» an. Da sollte ich ein Jahr lang Perücke tragen. Ich sagte zu meinem Mann: «Schatzilein, bitte einmal die Haare abrasieren!» So haben wir es gemacht, und seitdem trage ich kurz.

Ihr Mann hatte keine Bedenken?

Nein, es war okay für ihn. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich mich das getraut habe. Mittlerweile bin ich ja ein wenig in der Marvel-Ecke. Als Superheldin habe ich da immer rasierte Haare, und es macht keinen Sinn mehr, sie lange wachsen zu lassen. Meine Frisur hat eine Menge Vorteile. Im Gegensatz zu anderen Frauen stehe ich morgens auf – und bin bereits fertig (lacht).

«Tatort: Das verschwundene Kind» läuft am Sonntag, 3. Februar, um 20.05 Uhr auf  SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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